IM INTERVIEW: MICHAEL HUGMAN, INVESTEC

Chancen in Ländern mit niedriger Inflation gesehen

Stratege: Markt für Lokalwährungsanleihen aus den Emerging Markets hat Zinssenkungspotenzial noch nicht voll erfasst

Chancen in Ländern mit niedriger Inflation gesehen

– Herr Hugman, wie sind derzeit die Perspektiven für Investoren an den Märkten für Emerging-Market-Bonds?China bleibt das beherrschende Thema. Die jüngsten Daten lassen uns skeptisch auf die jüngste Erholung schauen. Die Abwärtsrisiken überwiegen hier. Beim ebenfalls wichtigen Einflussfaktor Rohöl sind wir dagegen optimistischer. Ein Preis zwischen 40 und 50 Dollar ist eine gute Unterstützung für ölexportierende Emerging Markets. Der dritte wichtige Faktor, nämlich die verlangsamte Normalisierung der Geldpolitik der amerikanischen Notenbank Federal Reserve, sollte in den kommenden Monaten ebenfalls positiv auf Emerging-Markets-Anleihen wirken.- In welchen Ländern der Emerging Markets (EM) sehen Sie die größten Chancen und wo die größten Risiken?Anleihen in lokaler Währung aus Ländern, in denen disinflationäre Tendenzen vorherrschen und für die der Markt noch nicht in vollem Umfang das Zinssenkungspotenzial erfasst hat, bieten gute Chancen. Konkret also Russland und Brasilien. Außerhalb des High-Yield-Segments ist Korea interessant, wo der schwache Wachstumsausblick die Zentralbank unter Zinssenkungsdruck setzt.- Zu welchen Branchen raten Sie, und von welchen Werten sollten Anleger derzeit lieber die Finger lassen?Rohstoffexporteure aus Russland und Lateinamerika bieten attraktive Gelegenheiten. Hier sind die Ratings wegen des Landesrisikos herabgestuft worden, jedoch sind die Unternehmen fundamental gesund. Zudem hilft der zuletzt gestiegene Ölpreis diesen Unternehmen.- Wodurch zeichnen sich Ihre Favoriten unter den EM-Bonds aus?Idealerweise sind sie von Emittenten, die in einem disinflationären Umfeld agieren und deren Zentralbank in absehbarer Zeit Zinssenkungen vornehmen dürfte. Im Dollar-Segment sind es vor allem Emittenten aus dem Ölsektor, deren Renditeniveaus noch nicht das verbesserte Nachfrage-Angebot-Verhältnis reflektieren.- Halten Sie derzeit Hartwährungsanleihen oder in lokalen Währungen denominierte Bonds für attraktiver?Wer eine Alternative zu den ultraniedrigen Renditen in Europa sucht, für den könnten Dollar-Anleihen aus den Emerging Markets mit Euro-Absicherung interessant sein. Für risikofreudigere Investoren wären Emerging-Markets-Anleihen in lokaler Währung eine Option. Wenn die dortige Datenlage weiterhin positiv überrascht, wären wir klar auf Seiten lokaler EM-Anleihen, weil die Währungen davon deutlich profitieren würden.- Der Dollar hat gegenüber vielen Schwellenländerwährungen deutlich an Wert gewonnen. Welche Auswirkungen hat dies für die Zahlungsfähigkeit von Emittenten von Hartwährungsanleihen?Mal abgesehen von Venezuela und wenigen anderen Staaten drehen sich die größten Sorgen um die Emittenten aus dem Unternehmenslager. Allerdings sind deren Anleiheemissionen im vergangenen Jahr bereits deutlich zurückgegangen, weil sie entweder kein neues Geld benötigten oder andere Finanzierungsquellen wie zum Beispiel lokale Anleihen nutzten. Auch darf man nicht vergessen, dass viele Emittenten Erträge in Dollar erwirtschaften. Das relativiert den negativen Einfluss bei der Verschuldung in Dollar.- Und umgekehrt: Wie schätzen Sie vor diesem Hintergrund Bonds in lokaler Währung ein?Die lokalen Währungen sehen wir in Summe und nach der Rally vom Jahresanfang aktuell fair gepreist und erwarten keine ausgeprägte Schwäche gegenüber dem Dollar. Einzige Ausnahme wäre ein schockähnliches Ereignis wie zum Beispiel eine Abwertung des Renminbi.- Erwarten Sie, dass Unternehmen aus den Emerging Markets aufgrund der niedrigen Zinsen verstärkt in Euro emittieren werden?Absolut. Einige Unternehmen aus den Emerging Markets gehen diesen Weg auch schon. Bei den Ländern schichten zum Beispiel Slowenien und Litauen von relativ teuren Dollar-Schulden in Euro-Schulden um.- Wie groß sind die Risiken, die sich durch die von der Fed geplante Normalisierung der Geldpolitik ergeben?Die Fed reagiert inzwischen anders und berücksichtigt die globalen Risiken viel stärker. Zugleich hat sie aber auch von Seiten der Inflation keinen Druck zu Zinserhöhungen. Eine Erhöhung im Juni ist unwahrscheinlich, zumal das Volatilität vor der Brexit-Abstimmung erzeugen würde. Danach sieht sich die Fed wiederum wachsendem Gegenwind von den US-Wahlen ausgesetzt. Unter dem Strich hat die Fed wenig Handlungsspielraum für eine Normalisierung der Geldpolitik im laufenden Jahr. Mit Blick auf Emerging-Markets-Anleihen würde es nur dann stärkeren Einfluss geben, wenn die Fed größere Schritte unternehmen würde.- Erwarten Sie, dass die Fed den Zinsanhebungszyklus mit Blick auf die Emerging Markets noch langsamer als bisher angenommen vollziehen wird?Ja. Frau Yellen dürfte vor allem China im Blick haben. Ein Zinsschritt der Fed würde sehr wahrscheinlich Kapitalabflüsse aus China nach sich ziehen. Das wiederum würde die dortigen Wachstumsperspektiven und damit auch die Weltwirtschaft dämpfen. Höhere Volatilität an den globalen Finanzmärkten wäre die Folge. Eine langsamere Gangart, reflektiert in der Markterwartung von höchstens noch einem Schritt in diesem Jahr, ist daher angemessen.- Was müsste passieren, dass die Fed ihren Zinsschritt von Dezember 2015 wieder rückgängig macht?Es müsste ein starkes Ereignis in den Emerging Markets eintreten. Beispielsweise eins, das Chinas Finanzsystem betrifft, global ausstrahlt und die US-Konjunktur ins Schlingern bringt.- Durch Downgrade-induzierte Zwangsverkäufe ergeben sich Renditechancen. Entschädigen die Renditen für das übernommene Risiko?Bei einzelnen Titeln durchaus. Ein Unternehmen mit diversifiziertem und globalem Geschäftsmodell kann gesündere Fundamentaldaten haben als das Heimatland. Genau diese Kreditqualität muss man allerdings in einer Analyse ermitteln. Das tun wir seit geraumer Zeit verstärkt bei Emittenten aus Russland und Lateinamerika.—-Die Fragen stellte Dieter Kuckelkorn.