GASTBEITRAG

Chinas Abwertung hat nichts mit "Währungskrieg" zu tun

Börsen-Zeitung, 23.12.2015 Während über die Aussichten Chinas weiter spekuliert wird, sehen wir zwei Dinge immer deutlicher: Die chinesische Wirtschaft kühlt sich ab, und die Politik kämpft mit einer Reihe von sich widersprechenden Zielen. Sie will...

Chinas Abwertung hat nichts mit "Währungskrieg" zu tun

Während über die Aussichten Chinas weiter spekuliert wird, sehen wir zwei Dinge immer deutlicher: Die chinesische Wirtschaft kühlt sich ab, und die Politik kämpft mit einer Reihe von sich widersprechenden Zielen. Sie will das Wachstum stabilisieren, ein liberalisiertes Wechselkurssystem managen, die Exportmärkte unterstützen, die Volkswirtschaft besser ausbalancieren und finanzielle Ungleichgewichte korrigieren. In diesem Kontext passen sich gerade die Geld- und die Währungspolitik sehr schnell der neuen Realität an. Die chinesischen Politiker haben verstanden, dass sie nicht alles auf einmal haben können: Wenn sie den Kapitalverkehr liberalisieren und gleichzeitig eine unabhängige Geldpolitik verfolgen wollen, müssen sie der Währung erlauben, gemäß den Marktkräften zu schwanken. Das ist die Krux im magischen Dreieck und ein Grund dafür, warum der Renminbi wahrscheinlich in kurzer Frist abwerten wird. Schließlich ist die Wirtschaft zyklischem und strukturellem Gegenwind ausgesetzt.Indem Kapital freier über die Grenzen Chinas fließt und die Nationalbank weiterhin eine lockere Geldpolitik betreibt, ist es nur natürlich, dass der Renminbi gegen den Dollar abwertet. China und die USA bewegen sich nämlich auf unterschiedlichen Pfaden: Während ein starker Arbeitsmarkt und eine starke Binnennachfrage die USA an die Schwelle einer Zinserhöhung bringen, stockt in China die Nachfrage, weil das Land mit den Nachwirkungen von Konjunkturprogrammen und des Häuserbooms zu kämpfen hat. So, wie die Fiskal- und die Geldpolitik Chinas auf das schwache Wachstum antworten, sollte es auch der Währung erlaubt sein, sich anzupassen.Das ist kein Währungskrieg, wie oft behauptet wird. Ein solcher würde bedeuten, dass Abwertungsschritte vorgenommen werden, die eine Währung im Wettbewerb mit anderen künstlich unter ihren fairen Wert drücken, um Marktanteile im Export zu gewinnen und die Last der Anpassung auf andere Länder zu verschieben. Das ist nicht die Politik, die China derzeit betreibt. Im Gegenteil: Chinas Währungsregime wurde im Lichte der zunehmenden Divergenz zwischen den fundamentalen makroökonomischen Gegebenheiten Chinas und der USA unhaltbar. Sich an den Dollar zu binden, bedeutet bis zu einem gewissen Grad einen Import der amerikanischen Geldpolitik, weil der Kapitalverkehr nur teilweise kontrolliert ist. Indem sie ein flexibleres – gleichwohl gemanagtes – Wechselkursregime erlauben, gewinnen die Behörden einen größeren monetären Spielraum. Schwierige AnpassungEbenso kann der Renminbi so sein natürlicheres Niveau finden inmitten des schwierigen Anpassungsprozesses der chinesischen Wirtschaft. Solange jede weitere Abwertung allmählich, mäßig und – wichtiger noch – im Lichte der Entwicklung der Fundamentaldaten geschieht, muss sie auch nicht destabilisierend oder deflationär auf den Rest der Welt wirken. Nicht nur zwischen China und den Vereinigten Staaten, auf der ganzen Welt sehen wir auseinanderlaufende Strategien der Geldpolitik, weil Nationalbanken im Interesse ihrer Länder oder Regionen handeln. China ist da keine Ausnahme. In dem Maße, in dem das Wachstum sich abschwächt und die chinesischen Unternehmen unter der Verschuldungsorgie der Nachkrisenzeit leiden, wird die People’s Bank of China (PBOC) wohl die Geldpolitik weiter lockern müssen, als Antwort auf die sich verfestigende Deflation und abnehmende Investitionen. Die Erzeugerpreise sind in 44 Monaten in Folge gesunken, und die Verbraucherpreise sind in den letzten Monaten zurückgegangen. Einer der Hauptgründe für den Stress ist die Überinvestition der vergangenen Jahre und der abnehmende Ertrag dieser Investitionen. Solch ein Umfeld schreit geradezu nach deutlicher monetärer Lockerung, um die Finanzierungskosten zu senken.In der aktuellen Aufstellung kann jedoch die Geldpolitik nicht so wirksam und autonom sein, wie es nötig wäre. Eine Studie der Asian Development Bank zeigt, dass eine Öffnung der Kapitalverkehrs bei gleichzeitiger Beibehaltung eines fixen Wechselkurses gegenüber dem Dollar die Fähigkeit der PBOC, eine autonome Geldpolitik zu betreiben, begrenzt. Die Gefahr ist, dass volatile Kapitalströme die inländischen Zinsen beeinflussen und die Anstrengungen der PBOC konterkarieren. Als im August das neue Währungsregime verkündet wurde, ist genau das passiert: Im August floss dreimal so viel Kapital ab wie im Schnitt der letzten zwölf Monate. Wenn die Öffnung der Märkte allmählich weiter zunehmen soll, muss die Regierung eine größere Flexibilität in den Wechselkursen in Kauf nehmen, wenn die PBOC gleichzeitig einen hohen Grad an Autonomie behalten und den Kapitalverkehr weiter reformieren will.Die Alternative ist, makroprudentielle Maßnahmen zu ergreifen und die großzügigen Währungsreserven zu nutzen, um den RMB-Kurs zu stabilisieren. Tatsächlich hat die PBOC seit August in großem Umfang ihre Fremdwährungsreserven eingesetzt, um die beschriebenen Kapitalabflüsse auszugleichen. Analysten haben umgehend die Frage aufgeworfen, wie lange China bereit sein würde, seine Reserven aufzubrauchen, nur um eine Überbewertung der eigenen Währung aufrechtzuerhalten. Das Ziel, in den Währungskorb aufgenommen zu werden, aus dem sich die Sonderziehungsrechte des IWF zusammensetzen, wurde als ein Grund für die Anstrengungen gesehen, den RMB trotz der großen Abflüsse stabil zu halten. Dann könnte China jetzt, da der RMB offiziell in den Korb des IWF aufgenommen wurde, an der Schwelle zu einem volatileren Wechselkurs stehen. Das wäre aus meiner Sicht nur konsequent. Eine weitere Stützung des RMB würde die anderen Ziele chinesischer Wirtschaftspolitik gefährden. Für eine große Volkswirtschaft wie China ist die Herrschaft über die Geldpolitik ein wichtiges Element effektiver Steuerung. Wenn sich China für den Kapitalverkehr immer weiter öffnet, sollte sich die Politik für eine noch höhere Flexibilität des Wechselkurses entscheiden, um für ihre Geldpolitik einen ausreichenden Grad an Autonomie zu gewinnen. Lehre für die PolitikDas muss nicht heißen, dass der RMB sofort und scharf abwertet. Die Panik der Märkte, die im August auf die überraschende Flexibilisierung folgte, dürfte den Politikern eine Lehre gewesen sein, was die Kommunikation angeht. Die wahrscheinlichere Entwicklung ist eine weitere geldpolitische Lockerung als Antwort auf das nachlassende Wachstum und den zunehmenden Finanzierungsdruck – mit einer allmählichen Abwertung des RMB als Folge davon.—-Alex Wolf, Analyst für Emerging Markets bei Standard Life Investments