GASTBEITRAG

Chinesische Anleihen bestehen den Lackmustest

Börsen-Zeitung, 18.7.2020 Staatsanleihen gelten als der typische Rückzugsort für die Märkte, wenn die Bedingungen schwierig werden. Während der Pandemie waren sie allerdings genauso rückläufig wie Risikoanlagen. Der Grund dafür: Anleger weltweit...

Chinesische Anleihen bestehen den Lackmustest

Staatsanleihen gelten als der typische Rückzugsort für die Märkte, wenn die Bedingungen schwierig werden. Während der Pandemie waren sie allerdings genauso rückläufig wie Risikoanlagen. Der Grund dafür: Anleger weltweit verlangten nach Sicherheit und Liquidität. Der Umfang – und das Tempo – der Risk-off-Maßnahmen veranlassten Anleger dazu, Sicherheit an ungewöhnlichen Orten zu suchen. Hinzu kam, dass die Liquidität in den eher leicht zu handelnden Anlageklassen fast vollständig versiegte. Besonders liquide AnlagenAngesichts dieser Durststrecke erwiesen sich chinesische Staatsanleihen als besonders liquide Investments – und zwar so sehr, dass der Handel mit ihnen einfacher war als der mit europäischen Staats- und staatsnahen Anleihen. Die chinesischen Kapitalkontrollen schützten den inländischen Anleihemarkt vor der geballten globalen Fluchtbewegung in Barmittel. Zudem sorgte die geringere Zahl ausländischer Investoren am Markt dafür, dass Abflüsse aus Investmentfonds und Portfolioumschichtungen, die andernorts zu erschwerten Handelsbedingungen führten, sich in Grenzen hielten.Der Lackmustest eines voll funktionsfähigen Kapitalmarktes ist Liquidität. Waren die Erfahrungen mit der Renditekurve in China auch durchwachsen, so hat sich die Liquidität bei Anleihen mit bis zu 30-jährigen Laufzeiten verbessert. Ab Ende 2018 neu emittierte Anleihen blieben weitgehend liquide.Historisch betrachtet waren ausländische Investments am chinesischen Anleihemarkt eingeschränkt. Aufgrund der früheren Vorherrschaft inländischer Buy-and-Hold-Anleger gab es hinsichtlich der Liquidität Bedenken. Ausländische Anleger, die sich dennoch für einen Markteintritt entschieden, sahen sich mit schwierigen Bedingungen und operativen Problemen für den Handel und ihre Anlagetätigkeit konfrontiert.Der chinesische Inlandsanleihemarkt ist der zweitgrößte inländische Rentenmarkt der Welt. Er wuchs in den letzten zehn Jahren von 2 Bill. auf über 13 Bill. US-Dollar an. Dennoch ist der Marktanteil ausländischer Anleger mit lediglich 2,2 % der ausstehenden Gesamtforderungen relativ gering.Viele Strategien am Bondmarkt standen vor der aktuellen Wirtschafts- und der jüngsten Marktkrise aufgrund der Aufnahme chinesischer Anleihen in globale Indizes am Scheideweg. Solange China von den wichtigsten Anleiheindizes ausgenommen war, sahen die meisten Anleger keinen Grund, sich mit diesem Markt zu befassen. Doch durch die Aufnahme in die Indizes ändert sich das. China unterzugewichten wurde jetzt eine immer wichtigere aktive Entscheidung für die Anleger, da dies zuvor nicht möglich war. Grund hierfür ist, dass die wichtigen globalen Anleihebenchmarks in den Anlegerportfolios immer entscheidender werden.Doch bevor das Chaos wirklich ausbrach, strömte bereits ausländisches Kapital in den chinesischen Inlandsanleihemarkt: Anleger suchten Schutz vor der raschen Ausbreitung von Covid-19 und rechneten mit finanzpolitischer Unterstützung durch die People’s Bank of China. Ende April lag der ausländische Eigentumsanteil am Markt für chinesische Staatsanleihen bei 8,9 %, und das Interesse ausländischer Anleger an chinesischen Anleihen ist nach wie vor das stärkste in Asien. Chinas Aufnahme in globale Anleiheindizes wird weiterhin zu passiven Zuflüssen führen. Gleichzeitig helfen Zuflüsse durch Reserveallokationen dabei, einen Teil des zunehmenden Angebots zu absorbieren.Inzwischen lassen sich die strategischen Argumente für ausländische Anleger, Positionen in China aufzubauen, kaum noch ignorieren. Chinesische Anleihen werfen in einem rasch wachsenden Universum negativ rentierender Anleihen weiterhin positive Nominalrenditen ab, und die Marktliquidität verbessert sich. Bedenken neu abwägenZweifel an der Zuverlässigkeit chinesischer Daten als Argument gegen diese Anlageklasse müssen gegen den ökonomischen Renditebedarf abgewogen werden. Bedenken hinsichtlich des Verschuldungsgrades der Volkswirtschaft sollten im Vergleich neu betrachtet werden – auch angesichts der beispiellosen fiskalischen Bemühungen anderer Regierungen, die langfristigen wirtschaftlichen Schäden durch die Pandemie einzudämmen. Verbleibende Vorbehalte müssen durch die Überzeugung untermauert werden, dass Allokationen in China gegenüber globalen Benchmarks zu einem schlechteren Abschneiden führen würden.Bislang erfolgte die chinesische Reaktion auf die Coronakrise schrittweise und verteilt auf die Bereiche Kredit-, monetäre und fiskalpolitische Lockerung sowie regulatorische Entlastung und Toleranz für Währungsflexibilität. Dieser maßvolle Ansatz steht im Kontrast zum “Big-Bang-Stimulus”, der sowohl im Zuge der globalen Finanzkrise als auch in den vergangenen Wochen in diversen Industrieländern verfolgt wurde. Er verdeutlicht auch, dass die politischen Entscheidungsträger das hohe Verschuldungsniveau der Volkswirtschaft berücksichtigen. Eine expansive Geldpolitik und gewissenhafte fiskalpolitische Lockerung liefern weitere Argumente, die für ein Engagement in chinesischen Staatsanleihen sprechen. Zusatzkontrollen möglichGleichwohl warnen wir davor, chinesische Anleihen als sicheren Hafen zu betrachten. China ist bislang der einzige große Finanzmarkt, der zur Eindämmung des Coronavirus vollständig geschlossen wurde. Die Zentralbank hatte die Feiertage des chinesischen Neujahrsfests und damit automatisch die Abwicklungsdauer von Transaktionen verlängert. Es ist vielleicht auch einer der Märkte, der am ehesten zusätzliche Kapitalkontrollen einsetzt, wenn die Behörden dies für notwendig erachten.Das jüngste Wiederaufflammen der Handelsspannungen zwischen den USA und China stellt ein gewisses Risiko für die Kapitalmarktintegration dar. Allerdings halten sich die kurzfristigen Auswirkungen auf die chinesischen Anleihemärkte in Grenzen. Chinesische Anleihen haben ohne Zweifel den Test bestanden, indem sie ihre Liquidität aufrechterhalten konnten, als der Druck auf die Anleger zunahm. Hugh Briscoe, Global Fixed Income Portfoliomanager bei Goldman Sachs Asset Management