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Pessimismus gerechtfertigt?

Im Gegensatz zu den demografischen und politischen Belastungsfaktoren könnte der RMB von der rasanten technologischen Entwicklung Chinas profitieren.

Pessimismus gerechtfertigt?

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Chinesischer Renminbi: Pessimismus gerechtfertigt?

Von Van Luu *)

Die Hoffnungen, dass die Öffnung der chinesischen Wirtschaft nach den Corona-Lockdowns dem chinesischen Renminbi (RMB) und der Weltkonjunktur Auftrieb verleihen würde, sind inzwischen verpufft. Gegenüber dem US-Dollar ist der RMB seit Jahresanfang um etwa 5% gefallen, zum Euro um mehr als 7%. Zwar ist im Wechselkurs schon sehr viel Pessimismus eingepreist, was die kurzfristige Wirtschaftsentwicklung angeht. Die langfristigen demografischen und geopolitischen Herausforderungen, denen China sich entgegensieht, stehen aber einer schnellen Erholung der Währung im Wege.

Kurzfristige Risiken eingepreist

Nach der Aufhebung der Covid-Sperren in China Anfang dieses Jahres gab es zunächst einen Wachstumsschub. Inzwischen stockt der Konjunkturmotor jedoch. Die Verbraucherpreise sinken und die Exporte brechen ein. Die Jugendarbeitslosigkeit schwoll auf kaum fassbare 20% an, bevor die Regierung die Veröffentlichung der Daten einstellte. Der Immobilienmarkt, der lange Zeit ein Motor des chinesischen Wachstums war, befindet sich in einer andauernden Krise. Die Evergrande Group, einst Chinas führender Immobilienentwickler, hat in den USA Insolvenzschutz beantragt, um ihre hohen Schulden zu restrukturieren. Country Garden, ein anderer großer Immobilienkonzern, musste den Handel mit seinen Anleihen aussetzen, nachdem er eine Zahlung versäumt hatte.

Die Versuche der chinesischen Behörden, dem Abschwung entgegenzuwirken, sind bisher nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Vor einer Woche senkte die Zentralbank den Ein-Jahres-Leitzins wie erwartet um 10 Basispunkte auf 3,45%, überraschte die Märkte jedoch, indem sie den fünfjährigen Zinssatz wegen Bedenken über einen abwertenden RMB unverändert ließ. Am Montag kündigte die Regierung weitere Maßnahmen an, um das Vertrauen der Anleger in die Aktienmärkte zu stützen. Sie senkte die Börsenumsatzsteuer von 0,1% auf 0,05%. Zuletzt wurde diese Steuer im April 2008 von 0,3% auf 0,1% angepasst. Dies führte damals zu einer sehr starken Rally bei chinesischen Aktien, wobei der CSI 300 innerhalb von drei Wochen nach der Ankündigung um 20% zulegte. Die Gewinne wurden jedoch damals ziemlich schnell zurückgegeben.

Große Herausforderungen

Zweifelsohne steht die chinesische Wirtschaft vor großen Herausforderungen. Allerdings ist unseres Erachtens im RMB-Wechselkurs schon einiges an Pessimismus eingepreist. Oft hat der USDCNY-Wechselkurs eine enge Korrelation mit der Differenz in den Ein-Jahres-Renditen zwischen China und den USA. Diese Korrelation spiegelt die unterschiedliche Geldpolitik in den beiden Ländern wider, die sich auf die Attraktivität von Anlagen in den jeweiligen Währungen auswirkt. Wenn die Renditedifferenz zugunsten der USA steigt, was seit 2022 der Fall ist, zieht dies Kapitalflüsse in den Dollar an und von China ab. Die relative konjunkturelle Schwäche der chinesischen Wirtschaft spiegelt sich im derzeitigen Zinsgefälle zwischen Amerika und China wider und scheint im Wechselkurs angemessen eskomptiert zu sein.

Demografische Hürden

In den vergangenen Jahren hat der RMB eine höhere Volatilität durchlebt. Die schwelenden Handelskonflikte mit den USA sowie regulatorische Maßnahmen seitens der chinesischen Regierung haben für Verunsicherung an den Märkten gesorgt. Die Angst, dass diese Einflussfaktoren das Wachstum der chinesischen Wirtschaft langfristig negativ beeinflussen könnten, hat zu einer skeptischen Haltung gegenüber dem RMB geführt.

Die wahren Herausforderungen für den RMB könnten jedoch anderswo liegen: in den Bereichen der Demografie und der Geopolitik. Die Alterung der Bevölkerung dürfte langfristig das Wachstumspotenzial Chinas einschränken. Laut Oxford Economics hat die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte 2015 mit 998 Millionen ihren Höhepunkt erreicht und ist seitdem um 1% gefallen, mit beschleunigt absteigender Tendenz. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor sind die geopolitischen Konflikte um Taiwan und den Ukraine-Krieg. In beiden Spannungsherden ist China mit den Vereinigten Staaten und ihren Bündnispartnern auf Konfrontationskurs. Wirtschaftlich schlägt sich dies in einer sinkenden Investitionsneigung nieder. Zuletzt fielen die ausländischen Direktinvestitionen nach China auf den niedrigsten Stand seit über zehn Jahren.

Im Gegensatz zu den demografischen und politischen Belastungsfaktoren könnte der RMB von der rasanten technologischen Entwicklung Chinas profitieren, insbesondere von der globalen Verschiebung hin zu erneuerbaren Energien und grüner Technologie. Die Volksrepublik hat sich ehrgeizige Ziele in diesen Bereichen gesetzt und ist zu einem führenden Akteur in der grünen Wirtschaft aufgestiegen. Bei Elektrofahrzeugen hat die Volksrepublik die stolze Autonation Deutschland lange hinter sich gelassen. Etwaige Schadenfreude in Deutschland über die derzeitigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten in China wären angesichts der hiesigen Probleme unangemessen. Die kommenden Monate könnten für China eine Zeit der Anpassungen sein, da die Aussichten für Wirtschaftswachstum und Währung stark von der Gegenreaktion der Regierung abhängig sein werden. Meiner Meinung nach ist im derzeitigen Wechselkursniveau des RMB zwar viel kurzfristiger Konjunktur-Pessimismus eingepreist, angesichts der großen demografischen und geopolitischen Herausforderungen ist eine rasche Erholung wie Phoenix aus der Asche aber schwer vorstellbar.

*) Van Luu ist Global Head of Solutions Strategy, FI and FX, bei Russell Investments.