„Es verbleibt viel Risiko im Markt“
Im Gespräch: Tim McCourt
„Es verbleibt viel Risiko im Markt“
Spitzenmanager der CME Group rechnet trotz nahender geldpolitischer Wende mit neuerlichen Trading-Aufschwüngen an weltgrößter Terminbörse
Tim McCourt sieht im US-Wahlkampf viel Volatilität auf die Märkte zurollen. Der Spitzenmanager der weltgrößten Terminbörse CME rechnet mit höheren Volumina in allen Assetklassen – auch bei Zinsfutures, bei denen Analysten angesichts nahender geldpolitischer Lockerungen eigentlich eine eingedämmte Aktivität vorhersagen.
Von Alex Wehnert, New York
Die Aussicht auf eine geldpolitische Wende der Federal Reserve treibt die Teilnehmer an den Terminmärkten um – und wenngleich die Sorge vor einem Einbruch im Zinsfutures-Handel kreist, sieht die CME Group als Marktführer in einem schwierigen Umfeld Potenzial für neuerliche Trading-Sprünge. „Es verbleibt viel Risiko im Markt, sodass wir noch höhere Handelsvolumina und Open Interests in allen Segmenten sehen könnten“, sagt Tim McCourt, globaler Leiter für Aktien-, Devisen- und Alternatives-Produkte bei dem Chicagoer Marktbetreiber, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Wir wollen außerdem mit neuen Produkten auf diesem Momentum aufbauen.“
Angebot ausgebaut
Die CME hat ihr Angebot sowohl im Futures- als auch im Optionsmarkt in den vergangenen Jahren kräftig ausgebaut, beispielsweise durch neue Optionen mit kürzerer Ausübungszeit und Krypto-Produkte. Hinzu kommt eine breitere Suite an sogenannten Micro-Kontrakten, die kleinere Anteile an einem Aktienindex-, Zins-, Währungs-, Krypto- oder Rohstoff-Standardprodukt abbilden und damit für eine breitere Investorenbasis erschwinglich sein sollen. Während neue Wettbewerber wie die FMX Futures Exchange von Milliardär Howard Lutnick Druck auf die CME machen wollen, heben die Chicagoer eine hohe Kapitaleffizienz als Pluspunkt bei Anlegern hervor. „Wir bieten unseren Kunden durch Verrechnungseffekte Margin-Einsparungen von 20 Mrd. Dollar pro Tag – da kann niemand sonst mithalten“, betont McCourt.
Im Zuge der geldpolitischen Straffung der Fed in den vergangenen zweieinhalb Jahren haben insbesondere Zinsfutures als Risikomanagement-Werkzeuge stark an Popularität gewonnen und sind zum Wachstumstreiber für die CME geworden. „Die anhaltende Unsicherheit könnte unabhängig von möglichen Zinssenkungen im September zu erhöhten Volumina führen“, sagt McCourt. „Obwohl der Markt zwei oder drei Zinssenkungen im laufenden Jahr einpreisen, sind sich die Teilnehmer über weitere Handlungsoptionen der Fed uneins – auch der Rohstoffmarkt spiegelt das“, unterstreicht McCourt. Schließlich wirke sich die Zinsentwicklung direkt auf die Investitionsausgaben von Landwirten und der rohstoffverarbeitenden Industrie aus und stelle damit neben geopolitischen und Makro-Sorgen eine weitere entscheidende Kraft im Segment dar.
Volatilität um US-Wahlen
McCourt betont, dass die Volatilität rund um die US-Wählen auch ein Treiber der Aktivität bei Aktien- und Devisen-Futures sowie -Optionen sei. „Ob wir im November einen politischen Wechsel in den USA sehen oder nicht, gibt es übergreifende Entwicklungen wie Importzölle oder die Repatriierung von Einkommensströmen multinationaler Konzerne, die den Devisenmarkt betreffen“, sagt der Manager. „Die Märkte müssen erst noch verstehen, wie sich die Agenden der Präsidentschaftskandidaten von denen der Biden-Administration unterscheiden.“
Unabhängig vom Ausgang der Wahlen rechnet McCourt damit, dass sich die Kreditaufnahme des amerikanischen Staates in den kommenden Jahren noch ausweiten wird. „Die Verschuldung und Defizitfinanzierung wird also ebenfalls deutlich wachsen“, sagt die CME-Führungskraft. „Die Frage ist, über welche Kanäle die Treasury Anleihen begeben wird: Zuletzt lief viel über T-Bills – allerdings lässt sich darauf schließen, dass das Finanzministerium langfristig eine verlässliche Allokation zwischen kürzer- und längerfristigen Krediten behalten will.“
Laut dem Strategen erreichen die Schatzwechsel-Emissionen langsam ihren Zenit, während die Begabe länger laufender Anleihen wieder Fahrt aufnimmt. „Investoren müssen daher zu dezent erhöhten Zinsniveaus ein Risikomanagement für mehr langlaufende Staatsanleihen betreiben als in früheren Phasen“, betont McCourt. „Das wird für viel Schwung im Treasury-Markt sorgen – für die CME ist das eine positive Entwicklungen, da unsere wichtigsten Produkte am langen Ende der Zinskurve handeln.“
Zudem würden Retail-Investoren an den Börsen der CME zunehmend aktiver, insbesondere in Micro-Futures. Micro-Gold- und sogar Kupfer-Kontrakte hätten hinsichtlich des Open Interest zuletzt Rekorde erreicht. „Aktive Privatanleger wissen es zu schätzen, dass unsere Märkte von Sonntag- bis Freitagnacht nahezu 24 Stunden am Tag geöffnet sind – insbesondere in Phasen hoher Volatilität“, sagt McCourt. Dabei verweist er auf vergangene Wahljahre wie 2016, damals übertrafen die Trading-Volumina in Futures auf den S&P 500 jene an den Cash-Aktienmärkten ungefähr um den Faktor 300.
Effizienteres Risikomanagement
„Die Produktauswahl ist gerade rund um Wahlen oder andere marktbewegende Ereignisse entscheidend, die nicht während der regulären Handelszeiten zwischen Montag und Freitag ablaufen“, unterstreicht McCourt. Der Stratege sieht die CME dabei im Vorteil, da der Chicagoer Marktbetreiber eine große Zahl an liquiden Produkten in allen wichtigen Assetklassen an einem zentralen Ort anbiete: „Für Investoren läuft das Risikomanagement einfach effizienter ab, wenn sie für verschiedene Produkte nicht zwischen unterschiedlichen Börsen hin und her wechseln müssen.“
Während die New York Stock Exchange und die Nasdaq am Markt für Aktienlistings und den Cash-Handel von Dividendenpapieren dominant sind, versuchen CME-Konkurrenten wie die CBOE Global Markets ebenfalls in das Segment vorzudrängen. Mit der TXSE soll zudem eine neue, in Dallas ansässige elektronische Börse ab dem kommenden Jahr um Trading-Volumina und ab 2026 um Listings konkurrieren. „Dass zusätzliche Cash-Börsen in den USA ans Netz gehen, könnte Arbitrage-Chancen für Trader eröffnen“, sagt McCourt. „Asymmetrische Informationsflüsse oder unterschiedliche Handelsstrategien könnten zu einer höheren Aktivität und Umlaufgeschwindigkeit im Markt sorgen, die sich auch auf Futures auswirken sollte."
Aufbruch in neue Märkte
Die CME selbst verfolgt laut McCourt aktuell keine Pläne, in den Listing-Markt vorzustoßen. „Wenn wir in neue Segmente eintreten, tun wir das in Reaktion auf eine klar artikulierte Kundennachfrage“, betont der Manager. Von Investoren sei zu hören, dass der Listing-Markt in seiner aktuellen Form gut funktioniere. „Die Nyse und Nasdaq sind ebenfalls Schlüsselkomponenten im verzahnten Ökosystem, dessen Teil wir alle sind", führt McCourt aus.
In den vergangenen Jahren ist die weltgrößte Terminbörse durch Deals durchaus in neue Märkte aufgebrochen. Im Jahr 2018 übernahm die CME beispielsweise NEX Markets und deren Fixed-Income- sowie Devisen-Plattformen BrokerTec und EBS, womit sie sich eine Präsenz im Brokerage-Markt verschaffte. „Wir werden uns weiterhin mit Kunden austauschen, um die Nachfrage nach zusätzlichen Angeboten abzuschätzen, fürs Erste bleiben wir aber auf Risikomanagement-Lösungen fokussiert“, sagt McCourt.
Institutionelle Krypto-Adoption hinterlässt Spuren
Diese werden auch im Kryptomarkt mit der voranschreitenden institutionellen Adoption wichtiger. „Die US-Handelsstarts von Spot-ETFs auf Ether haben für viel Interesse gesorgt – die neuen Produkte werden definitiv Einfluss auf den Futures-Markt haben“, sagt McCourt. Frühere Ether-ETFs investierten nicht direkt in die zweitgrößte Cyberdevise, sondern über Terminkontrakte. Einige der zuletzt lancierten Vehikel nutzten Futures aber immer noch in einem synthetischen Creation-Redemption-Prozess.
McCourt sieht darin eine Parallele zu Aktien- oder Bitcoin-ETFs und verweist zudem darauf, dass Fondsinvestoren Futures als Hedge gegen die neuen Indexprodukte nutzten, was ebenfalls zu Anstiegen beim Volumen und Open Interest führe. Im zweiten Quartal wurden an der CME 81.000 Krypto-Kontrakte pro Tag gehandelt und damit so viele wie noch nie. Bereits am 1. April stieg das Open Interest auf einen Rekordwert von 163.401 Kontrakten. Die Zahl der offenen Kontrakte und die Assets under Management „werden definitiv die Metriken sein, die es zu beachten gilt, wenn der erste ETF-Hype abebbt“, sagt McCourt. Die Trading-Volumina sollten sich hingegen stabilisieren, sobald mehr Produkte über registrierte Investmentberater verfügbar würden.
Regulatorische Unsicherheit bleibt
Derweil verbleibt nach harten Maßnahmen der Marktaufsichtsbehörden SEC und CFTC gegen Kryptobörsen regulatorische Unsicherheit im Segment. „Marktteilnehmer können sich nicht von Regeln zum Investorenschutz und gegen Wertpapierbetrug freimachen“, sagt McCourt. „Gerade für institutionelle Investoren ist es wichtig, dass sie regulierte Produkte über offizielle Börsen handeln können.“ Mehr regulatorische Sicherheit sei aber auch für die CME wünschenswert. „Es gibt noch tausende Token mit unklarem Status – ob sie als Wertpapiere eingestuft werden oder nicht, wird auch die weitere Entwicklung unserer Krypto-Produktsuite beeinflussen."