CO2-Emissionspreis bleibt gedrückt

Hoher Überschuss an Zertifikaten belastet - Debatte über vierte Handelsphase dauert an

CO2-Emissionspreis bleibt gedrückt

Das Brexit-Referendum hat auch auf dem Emissionshandelsmarkt seine Spuren hinterlassen. Die ohnehin gedrückten Preise sind noch weiter abgerutscht. Befürchtungen, dass Großbritannien aus dem Handelssystem aussteigen könnte, dürften aber überzogen sein. Viel schwerer wiegt der anhaltende Überschuss an Zertifikaten, der auch in der vierten Handelsphase ein Problem bleiben dürfte.Von Dietegen Müller, FrankfurtDas Brexit-Votum hat nicht nur Aktien- und Devisenmärkte, sondern auch den Emissionshandel durcheinandergewirbelt. Unmittelbar nach dem überraschenden Entscheid sind die Preise für europäische Emissionsrechte (EUA) um rund 20 % unter 4,50 Euro je Tonne abgestürzt. Derzeit notieren sie am Spotmarkt der Energiebörse EEX mit 4,71 Euro. Auch am Terminmarkt hat es keine größere Erholung gegeben.Der Markt ist verunsichert, weil Großbritannien sich womöglich mit dem Austritt aus der EU auch aus dem europäischen Emissionshandel (ETS) verabschieden muss. Denn möglicherweise vergrößert sich dadurch der ohnehin im Markt befindliche Überschuss an Emissionszertifikaten noch weiter.”Es ist völlig offen, ob das Vereinigte Königreich im Emissionshandelssystem bleibt oder nicht. Derzeit gibt es dringendere politische Prioritäten zu entscheiden, und es wird einige Zeit brauchen, um die Position zu klären”, sagt Adam Whitmore, Head of Policy beim britischen Emissionshandelslobbyisten Sandbag, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. “Der Ausgang des Brexit-Referendums schwächt die Stimme Großbritanniens, das bisher eher progressiv war, was eine Verschärfung der Emissionsobergrenzen anbelangt.” Whitmore schließt aber nicht aus, dass die Briten im Handelssystem integriert bleiben könnten, da die britische Regierung dazu tendiert, eine Teilnahme an marktwirtschaftlich basierten Emissionsreduktionsmechanismen zu favorisieren und dies kein Streitpunkt mit der EU ist.Die Großbank Unicredit rechnet als Folge des Brexit-Votums mit einer schwächeren Konjunkturentwicklung und mit sinkenden Treibhausgas-Emissionen, was dazu führe, dass sich das Überangebot an Zertifikaten weiter vergrößere. Würde sich Großbritannien aus dem ETS verabschieden, dürften große Mengen an Zertifikaten aus aufgelösten Absicherungsgeschäften auf den Markt kommen. Wenn das Land bereits 2018 aus dem Handel aussteigen würde, müsste aber auch die Obergrenze (Cap) für den CO2-Ausstoß um 400 bis 500 Mill. Tonnen gesenkt werden.Da Großbritannien in den drei Jahren der dritten Handelsphase, die noch bis 2020 dauert, mit 375 Mill. Tonnen weniger Treibhausgase emittieren dürfte, würde dies – entgegen der Intuition, wie Unicredit schreibt, – eine Verringerung der Netto-Longposition im Markt zur Folge haben. Dies könnte den Preis ab 2019 wieder stützen, nachdem vorgängig ein Abrutschen auch unter die Marke von 4 Euro je Tonne für möglich gehalten wird. Leichte PreiserholungCommerzbank-Emissionshandelsexperte Ingo Ramming ist etwas zuversichtlicher. Er rechnet bis Ende diesen Jahres mit einem Preis von 5 bis 5,50 Euro je Tonne. Auf diesem “fairen” Niveau dürfte der Markt wohl auch weiter bleiben. Ramming hält eine Einschätzung zum Brexit für schwierig, weist aber darauf hin, dass Großbritannien die Teilnahme am europäischen Emissionshandelssystem auch im nationalen Recht verankert hat.Entscheidend für die weitere Preisentwicklung wird nach Einschätzung von Adam Whitmore von Sandbag sein, auf welche Rahmenbedingungen sich die EU-Mitgliedstaaten für die vierte Handelsphase einigen, die von 2021 bis 2030 dauert. “Maßgebend wird sein, wie hoch die Obergrenze für Emissionen ist, die zugrunde gelegt wird.” Bisher gehen die Überlegungen in die Richtung, die Begrenzung für die Phase 4 von dem bisher geltenden Cap von 2020 zu starten. Jährlich sollen die CO2-Emissionen dann um 2,2 % sinken. “Doch dürften die tatsächlichen Emissionen im Jahr 2020 wahrscheinlich etwa bereits 10 % tiefer sein”, so Whitmore. Reale Emissionen als Basis?Es wäre deswegen besser, die Obergrenze zu senken und als Ausgangswert für die vierte Handelsphase das tatsächliche Emissionsniveau zu nehmen, meint Whitmore. Dies auch zusätzlich zur derzeit erst ab 2019 eingeführten Marktstabilitätsreserve, in der eigentlich für eine Auktionierung vorgesehene Zertifikate bei einer Überschusssituation zurückgehalten werden können.In der Debatte, wie die Phase 4 aufgesetzt wird, könnte Deutschland eine zentrale Rolle spielen, so Whitmore, eine Einschätzung, die auch Ingo Ramming teilt. Darüber hinaus spiele auch die veränderte Absicherung der Stromkonzerne eine Rolle, sagt der Commerzbank-Experte. So sei bis vor zwei Jahren ein Großteil der Stromerzeugung im Voraus verkauft worden. Die dafür notwendigen Kohle- und Gasmengen wurden dann auch über den Emissionshandel abgesichert. Inzwischen würden, so Ramming, Versorger oft nur noch einen geringen Teil im Voraus am Terminmarkt verkaufen, was das Absicherungsvolumen deutlich verringert und damit auch die Nachfrage nach Emissionszertifikaten reduziert hat.Einen – wenn auch geringen – Einfluss auf den Markt hat, dass einige Staaten – wie Großbritannien und nun Frankreich – für Zertifikate inzwischen eine Preisuntergrenze kennen. Im Fall von Frankreich habe dies aber kaum direkten Einfluss auf die Stromerzeugung, da das Land anders als Deutschland nur einen geringen Anteil an Erzeugung aus fossiler Energie habe. Ramming meint, erst eine CO2-Steuer in Deutschland oder eine entsprechende europaweite Abgabe könnten deutlichen Einfluss auf den Markt haben – dazu fehle aber ein politischer Konsens.Eine zusätzliche Nachfrage nach Emissionszertifikaten könne vom Einbezug der globalen Airline-Branche in den CO2-Handel kommen, doch sei die Form eines möglichen Abkommens immer noch Bestandteil schwieriger Verhandlungen, und es könne zu einer Lösung kommen, die weitgehend separiert vom Europäischen Handelssystem und anderen nationalen Programmen bleiben könnte, so Whitmore.Ramming erwartet, dass die International Civil Aviation Organization (ICAO) im Herbst 2016 die Einführung eines globalen marktbasierten Klimaschutzinstruments mit Beginn im Jahr 2020 beschließen wird, wenngleich dies möglicherweise nur auf freiwilliger Basis geschieht. Er verweist dabei auch auf den chinesischen Emissionshandel, wo der Binnenluftverkehr ebenfalls – wie schon in Europa – einbezogen werden soll. Laut der International Finance Corporation wird der chinesische Markt – das asiatische Land ist der größte Emittent – das Gleichgewicht im weltweiten Emissionsmarkt mittelfristig ändern.