GELD ODER BRIEF

Corona ist für Grifols Fluch und Segen

Von Thilo Schäfer, Madrid Börsen-Zeitung, 19.6.2020 Die meisten börsennotierten Firmen haben unter der Corona-Pandemie stark gelitten, und nur sehr wenige konnten dagegen vom Lockdown profitieren. Für den spanischen Pharma- und Gesundheitskonzern...

Corona ist für Grifols Fluch und Segen

Von Thilo Schäfer, Madrid Die meisten börsennotierten Firmen haben unter der Corona-Pandemie stark gelitten, und nur sehr wenige konnten dagegen vom Lockdown profitieren. Für den spanischen Pharma- und Gesundheitskonzern Grifols ist das Virus ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite hat die Pandemie die Beschaffung von Blutplasma, auf dem die Mehrheit der Produkte von Grifols basiert, erschwert. Auf der anderen Seite sind die Spanier kurz davor, eine Therapie für Covid-19-Patienten mit dem Blutplasma von Personen, die die Infektion bereits hinter sich und somit Antikörper haben, auf den Markt zu bringen.Der Kurs der A-Klasse-Aktien von Grifols hat seit Jahresbeginn mehr als 10 % verloren, während der Schwergewichtsindex Ibex 35, dem das Unternehmen angehört, ein Minus von mehr als 20 % aufweist. Im Februar erreichte das Papier mit 34,31 Euro den Höchststand, rutschte dann mit Ausbruch der Coronakrise auf 23,61 Euro ab und hat sich seitdem bis Donnerstag auf 28,30 Euro erholt. In den vergangenen zwölf Monaten legte Grifols um 16 % zu. Das Unternehmen hat auch nicht stimmberechtigte B-Klasse-Aktien, die am Mercado Continuo in Madrid und über ADRs am Nasdaq notieren. Die Analysten sind sich uneinig ob der mittelfristigen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Geschäft von Grifols, sehen die Aussichten aber mehrheitlich positiv. Solides WachstumDer Konzern entstand aus dem 1909 von Josep Antoni Grifols i Roig gegründeten Labor in Barcelona. Dessen Nachfahren leiten auch heute noch die Geschäfte, und die Familie besitzt bedeutende Minderheitsanteile an dem Unternehmen mit Sitz in Sant Cugat, einem Vorort der katalanischen Hauptstadt. Das Kerngeschäft ist die Verwertung von Blutplasma, das weltweit von Spendern gesammelt wird, für medizinische Zwecke. Grifols versorgt auch Krankenhäuser und Apotheken mit Analyseapparaten und Dienstleistungen. Der Konzern gehört mit 24 000 Mitarbeitern in 30 Ländern zu den drei größten Anbietern der Plasmaindustrie, die zusammen auf einen Marktanteil von 75 % kommen.Nach Ansicht der Analysten von Berenberg bietet das Geschäft mit Plasmaprodukten eine Kombination von stabilen Wachstumsraten von 5 bis 7 % pro Jahr bei “relativ stabilen Kosten”. “Die Eintrittshürden sind sehr hoch, und der Markt ist einigermaßen konsolidiert”, schreibt Berenberg. Grifols sei wegen ihrer Investitionen der vorigen Jahre gut in dieser Branche positioniert. Eine Branchenstudie von Allied Market Research von dieser Woche sieht ein jährliches Wachstumspotenzial von 4,5 %, was mit der steigenden Nachfrage nach Medikamenten und Therapien aus Blutplasma einer alternden Bevölkerung begründet wird. In Nordamerika ist der Markt am weitesten entwickelt, während Asien das größte Wachstumspotenzial bietet.Im März schloss sich Grifols in China mit Shanghai RAAS Blood Products zusammen, über welche die Produkte der Katalanen dort vertrieben werden. Einen Monat zuvor hatte man mit dem saudi-arabischen Staatsfonds PIF den Bau einer Fabrik in dem Golfstaat vereinbart. Auf der Hauptversammlung vor einem Jahr kündigte der Vorstand Investitionen von 14 Mrd. Euro bis 2022 an. Im vergangenen Jahr erreichte der Umsatz erstmals die 5 Mrd. Euro, bei einem Ebitda von 1,43 Mrd. Euro und einem Konzernergebnis von 625 Mill. Euro. Im ersten Quartal lief das Geschäft weiter gut, da die Corona-Pandemie noch keine wesentlichen Spuren hinterlassen hatte. So stieg der Umsatz gegenüber dem Vorjahresquartal um fast 12 % auf 1,3 Mrd. Euro. Doch in den Monaten April und Mai hat die Krise auch Grifols getroffen, da wegen des Lockdown weltweit Spender für Blutplasma ausblieben.Anfang Juni kündigte das Unternehmen daher an, für das zweite Quartal Rückstellungen von 200 Mill. Euro für die coronabedingten Ausfälle im Inventar zu verbuchen. Demgegenüber sollen 100 Mill. Euro an operativen Kosten eingespart werden – ohne Personalabbau. “Grifols bekommt Gegenwind bei den Plasmaspenden, was zwar das Umsatzwachstum kaum bedeutend einschränken sollte, sich aber in den nächsten zwölf Monaten negativ auf die Rentabilität und die Cash-Erzeugung auswirken wird”, schrieben die Analysten von J.P. Morgan nach der Gewinnwarnung.Grifols versicherte, dass die Blutplasmaspenden sich im Juni mit dem Ende der Einschränkungen in den meisten Ländern bereits wieder erholt hätten und man sowieso über Reserven für ein halbes Jahr verfüge. Die Corona-Pandemie kann sich mittelfristig sogar positiv auf das Geschäft der Katalanen auswirken. J.P. Morgan hält geringere Kosten für das Blutplasma für möglich, weil wegen der Rezession die Spender “weniger Beschäftigungsalternativen” haben werden und so das Entgelt nicht steigen dürfte. Erwartungen gewecktIm Markt hat auch die Covid-19-Therapie mit den Antikörpern des Blutplasmas der bereits geheilten Infizierten Erwartungen geweckt. Das Produkt, an dem Grifols zusammen mit der US-Gesundheitsbehörde FDA und anderen Einrichtungen arbeitet, soll bereits im Juli erhältlich sein. Auch in Spanien und Deutschland forscht Grifols nach Mitteln gegen das Virus. Ein weiterer vielversprechender Geschäftsbereich ist eine Methode zur Behandlung von Alzheimer-Erkrankungen.Grifols hat vor dem erwarteten Einschnitt durch die Coronakrise ihre Kreditfazilität jüngst auf 1 Mrd. Euro verdoppelt, um genügend Liquidität zu sichern. Die hohe Nettoverschuldung von 5,8 Mrd. Euro, das 4,12-Fache des Ebitda, ist jedoch nach wie vor die Achillesferse des Unternehmens. Nach den Fortschritten der jüngsten Zeit, wie der erfolgreichen Refinanzierung der Verbindlichkeiten, bleibt der Schuldenabbau “eine Priorität” für das Management. Analysten glauben, dass diese Last den Spielraum von Grifols bei möglichen Kaufangeboten stark einschränkt.Im Gegensatz zu anderen Ibex-Konzern hält Grifols an der Dividende und einer Ausschüttung von 40 % fest. Der Gewinn pro Aktie lag 2019 bei berichteten 0,91 Euro. Die Analysten von HSBC haben ihre Empfehlung für Grifols kürzlich heraufgestuft. Die britische Bank sieht das Kurspotenzial der A-Aktien jedoch nur bei 27,30 Euro, unterhalb der aktuellen Notierung. Barclays hält dagegen 35 Euro für möglich. Der Konsens von Reuters liegt bei 32,4 Euro.