KREDITWÜRDIG

Credit Spreads kaum anfällig für Coronavirus

Von Carsten Lüdemann *) Börsen-Zeitung, 6.2.2020 Die rasanten Ansteckungsraten des Coronavirus haben die Welt aufgeschreckt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO sah sich gar gezwungen, den internationalen Notstand auszurufen. Die Auswirkungen für...

Credit Spreads kaum anfällig für Coronavirus

Von Carsten Lüdemann *)Die rasanten Ansteckungsraten des Coronavirus haben die Welt aufgeschreckt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO sah sich gar gezwungen, den internationalen Notstand auszurufen. Die Auswirkungen für die betroffene Bevölkerung sind dramatisch, und auch die Wirtschaft wird teilweise erheblich von den Folgen eingeschränkt. In China wurden einige Städte und Regionen abgeriegelt, und damit sind das öffentliche Leben und auch die Wirtschaftsaktivitäten zum Erliegen gekommen. Selbst wenn sich die Lage zügig beruhigt, so dass die Produktionsstätten bald wieder geöffnet werden, dürfte Schätzungen zufolge das Wirtschaftswachstum des Landes im ersten Quartal nur stagnieren, anstatt wie gewohnt kräftig zuzulegen. Wenn die Werksschließungen jedoch länger andauern, ist von einem Schrumpfen der Wirtschaft auszugehen. Auch wenn im späteren Jahresverlauf ein großer Teil der Ausfälle aufgeholt werden kann, wäre für das Gesamtjahr von einer spürbaren Eintrübung des Wirtschaftswachstums auszugehen.Auf den ersten Blick scheinen die wirtschaftlichen Beeinträchtigungen hauptsächlich auf China beschränkt zu sein, doch in einer globalisierten Welt sind Lieferketten international weit verzweigt. Besonders abhängig von chinesischen Exporten sind natürlich asiatische Länder, doch auch Europa bezieht viele Zwischenprodukte und Zulieferteile aus China. So importieren europäische Firmen beispielsweise fast ein Drittel ihrer elektronischen Bauteile und Textilwaren aus China. Sollte der Ausnahmezustand deutlich verlängert werden, könnten fehlende Bauteile auch hierzulande die Produktion kräftig ausbremsen, denn neue Lieferanten werden so kurzfristig nicht zu finden sein. Flucht in SicherheitAn den Kapitalmärkten sind die Folgen natürlich ebenfalls zu spüren, der erste Reflex ist üblicherweise Flucht in Sicherheit. Die Renditen besonders sicherer Assets wie Bundesanleihen und US-Treasuries hatten sich gerade erst vom ersten Schrecken des Jahres, dem Aufflammen der Irankrise, erholt. Doch der Pandemie-Schock traf tiefer und führte die Renditen nochmals deutlich weiter nach unten. Denn gleichzeitig machen sich Marktteilnehmer Sorgen um die konjunkturelle Stabilität, daher werden auch wieder mögliche Zinssenkungen der großen Notenbanken eingepreist. Risikobehaftete Anlageformen wurden dagegen abgestoßen, und die meisten Aktienindizes verzeichneten zwischenzeitliche Kursverluste.Bemerkenswert stabil haben sich jedoch die Risikoaufschläge von europäischen Unternehmensanleihen gehalten. Hier wiederholte sich das Muster vom Jahresbeginn, als sich die Spreads von der Verunsicherung durch die Irankrise bereits nahezu unbeeindruckt gezeigt hatten. Etwas stärker sind die Auswirkungen allerdings bei Unternehmen aus dem High-Yield-Sektor. Firmen, die ohnehin knapp kalkulieren müssen, können selbst durch kurzfristige Schwächephasen auf eine harte Probe gestellt werden. Produktionsausfälle oder Umsatzrückgänge machen sich bei einer dünnen Kapitaldecke besonders empfindlich bemerkbar.Die Virus-Epidemie wirkt sich in erster Linie regional aus, und schwerwiegende globale Auswirkungen sind nur bei vereinzelten Produktgruppen und Branchen zu erwarten. Aus europäischer Sicht wird die Tourismusbranche besonders hart getroffen. Ganz unmittelbare Auswirkungen spüren Fluglinien, die die Asien-Route bedienen. So hat z. B. Lufthansa den Flugbetrieb von und nach China für den gesamten Monat Februar zu großen Teilen eingestellt. Der Risikoaufschlag für Anleihen der Fluglinie hat sich in der Folge spürbar ausgeweitet. Der Spread von Credit Default Swaps (CDS) hat sich um ca. 15 Basispunkte (BP) auf 72/75 BP ausgeweitet. Andere Fluggesellschaften sind ähnlich betroffen. Bei der Air France KLM beträgt die Spread-Ausweitung sogar 40 BP auf 210 BP. Hier macht sich der Effekt der erhöhten Risikogruppe bemerkbar, denn Air France ist dem High-Yield-Bereich zuzuordnen.Von deutlichen Umsatzeinbußen dürfte auch der Retail-Bereich und darunter besonders Hersteller von Luxusgütern betroffen sein. Diese spüren einbrechende Tourismusströme von China nach Hongkong und nach Europa. Doch während die Auswirkungen auf die entsprechenden Aktienkurse deutlich zu erkennen sind, haben sich die Spreads nur unmerklich ausgeweitet. Louis Vuitton beispielsweise hat gerade erst für 2019 Rekordergebnisse vorgelegt, daher sind die Sorgen, dass voraussichtlich vorübergehende Umsatzrückgänge höhere Risikoaufschläge nötig machen, sehr gering. Unmittelbar betroffen sind viele europäische Hersteller, die in China produzieren und deren Werke nun stillstehen. Allen voran VW mit seinen großen Werken vor Ort. Auch in der Chemiebranche wird zunehmend auf die Produktion in China gesetzt. In beiden Branchen sind die Auswirkungen auf die Risikoaufschläge für Fremdkapital aber bisher gering. Renditen geben nachDie Flucht in Sicherheit hat durch kräftig nachgebende Bundrenditen auch die Renditen von Unternehmensanleihen weiter nach unten gedrückt. Modellrechnungen lassen erwarten oder vielmehr hoffen, dass der Höhepunkt der Anstiegsraten von Neuinfektionen bald erreicht sein sollte. Sobald diesbezüglich die Zuversicht steigt, dürften viele Sicherheitspositionen wieder aufgelöst werden und die Renditen steigen. Für die Spreads dürfte dies keinen spürbaren Effekt mit sich bringen, da sich zuvor die Risikoflucht zumindest bei Unternehmen aus dem Investment-Grade-Bereich auch nicht negativ ausgewirkt hatte. Allerdings hatte sich bei jüngsten Zinsbewegungen gezeigt, dass das Anlegerinteresse nach Zinsanstiegen wieder schnell spürbar geweckt wurde und somit bei höheren Renditen verstärkte Käufe von Unternehmensanleihen beobachtet werden sollten.Stark unterstützend wirkt natürlich auch weiterhin die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihren Anleihekäufen. In den ersten Wochen des neuen Jahres hat die Notenbank wiederum recht stark zugegriffen. Zusätzlich zu der Nettoausweitung der EZB-Bestände von bisher etwa 4,6 Mrd. Euro mussten die Notenbanker im Januar auch recht hohe Fälligkeiten in Höhe von 2,5 Mrd. Euro ersetzen. In den nächsten Monaten stehen wiederum teilweise hohe Fälligkeiten an.Eine Chance ergibt sich aktuell für risikofreudige Investoren. Die gestiegenen Risikoaufschläge bei direkt betroffenen Unternehmen wie Fluglinien oder Retailer mit erhöhtem Risikoprofil sollten Aufholpotenzial haben, sofern die Virusinfektion tatsächlich nachhaltig eingedämmt werden kann. Hierbei ist natürlich das erhöhte Risiko zu bedenken, und es empfiehlt sich eine breite Streuung bei der Auswahl der Titel. Insgesamt haben die Kreditmärkte, wie auch schon zu Jahresbeginn während der Irankrise, ihre Stabilität bewiesen. Internationale Investoren verfügen über sehr hohe Mittel und nutzen jede Chance, auch nur kleine Renditeaufschläge zu vereinnahmen. Zusammen mit den Käufen der EZB dürften sich Unternehmensanleihen daher weiter sehr stabil halten. *) Carsten Lüdemann ist im Makroresearch der DekaBank tätig.