Daimler-Aktie leidet unter Industriewandel
Von Isabel Gomez, StuttgartMit der Mitteilung, den Pkw-Absatz im Geschäftsjahr 2016 um 11,3 % auf ein Rekordniveau von 2,08 Millionen Autos gesteigert zu haben, hat Daimler einen kleinen Vorgeschmack auf die Vorlage der Konzernbilanz am 2. Februar gegeben. Erstmals seit 2005 übernahm die Marke Mercedes-Benz wieder die Marktführerschaft von BMW – sofern man die Nebenmarken Smart, Mini und Rolls-Royce außen vor lässt. Die Ziele für 2016, einen Konzernumsatz auf dem Vorjahresniveau von 149,5 Mrd. Euro und ein leicht höheres bereinigtes operatives Ergebnis (Ebit) im Vergleich zu den 13,8 Mrd. Euro 2015, sollte der Konzern erreicht haben.Der Aktienkurs des Dax-Konzerns hat von diesem Wachstum kaum profitiert. Lediglich seit der Absatzerfolg am 9. Januar kommuniziert wurde, entwickelte sich das Daimler-Papier etwas besser als der Dax und einen guten Prozentpunkt besser als BMW. Auf Sicht von 12 Monaten dagegen, in denen der Dax um 18,3 % gestiegen ist, der BMW-Kurs um 11,8 % zulegte und die Volkswagen-Vorzüge ein Plus von 29,8 % verbuchten, liegt Daimler mit einer Steigerung um knapp 10 % deutlich zurück. Mittelfristziel in ReichweiteDabei ist der Konzern auf einem guten Weg, seine Mittelfristziele zu erreichen. Die bereinigte Ebit-Marge im Pkw-Geschäft, deren Zielwert bei 10 % liegt, erreichte per Ende September 9,6 %. Die Transportersparte sowie die Busse lagen nach neun Monaten deutlich über ihren Zielwerten. Die Eigenkapitalrendite von Daimler Financial Services war mit 18,1 % einen Prozentpunkt besser als gefordert. Nur die Truck-Sparte verpasste das 8-Prozent-Ziel mit 6,8 % sehr deutlich.Die zweitgrößte Konzernsparte Trucks ist einer der Gründe, warum der Aktienkurs trotz vieler Erfolgsmeldungen kaum steigt. Durch den Einbruch in Brasilien und der gegenüber dem Vorjahr geringen Nachfrage in den USA wurden 2016 in den amerikanischen und brasilianischen Werken Tausende Mitarbeiter entlassen. Das Spartenziel für Absatz und Ergebnis wurde im Mai gekappt. Es gebe “keine Alternative, die 8 % nicht zu erreichen”, heißt es bei Daimler intern. Das machte Spartenvorstand Wolfgang Bernhard zum Jahresende deutlich, als er das ohnehin ambitionierte Sparziel von 1 Mrd. Euro für 2017 und 2018 um 400 Mill. Euro erhöhte. Wenngleich der Verband der Automobilindustrie (VDA) damit rechnet, dass sich Russland und Brasilien 2017 wieder besser entwickeln: Für Analysten ist das Nutzfahrzeuggeschäft eines der Kursrisiken.Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von derzeit 9,5 ist das Papier dabei günstig bewertet, wenngleich BMW mit 8,6 darunterliegt. Der Erwartungswert für 2017 liegt bei der DZ Bank bei 8,1 für Daimler und 9,4 für BMW, der Median inklusive Volkswagen, Peugeot und Renault bei 8,9.Mit ihren Aussagen zu den künftigen Investitionen haben die Vorstände um Konzernchef Dieter Zetsche zuletzt bereits darauf vorbereitet, dass die Ergebnisentwicklung in den nächsten Jahren eher belastet werden dürfte. 2017 sollen erneut rund 7 Mrd. Euro in Anlagen und mindestens die gleiche Summe in Forschung und Entwicklung fließen. In die deutschen Standorte investiert der Konzern in den nächsten Jahren insgesamt knapp 5 Mrd. Euro. Die US-Produktion wird für 1,3 Mrd. Dollar erweitert. Die Batteriefertigung erhält 1 Mrd. Euro. Der Aufbau der Elektromarke EQ kostet 10 Mrd. Euro. Dazu kommen Investitionen in neue Kooperationen, die angesichts des Wandels in der Branche nötig geworden sind. Etwa die Beteiligung am Kartenanbieter Here oder an der Initiative zum Ausbau eines europäischen Schnellladenetzes.Dabei verdienen die neuen Technologien und Services, mit denen sich Daimler zum Mobilitätsdienstleister entwickeln will, noch kein Geld. Das Carsharing Car2go ist zwar in einigen Städten profitabel, unter dem Strich bleibt die Tochter aber ebenso eine Investition wie die Plattform Moovel. Der neue Forschungs- und frühere Vertriebsvorstand Ola Källenius hält bis 2020 “Hunderte von Millionen Euro Umsatz” mit digitalen Diensten für vernetzte Autos für möglich, wie er der Wirtschaftswoche jüngst sagte. Heute lägen die Erlöse aus Angeboten wie der Kundenbindungsplattform “Mercedes me” im Millionenbereich. Die Dienstleistungspakete für Kunden könnten “eines Tages” für Milliardenumsätze stehen. Wann und ob es so weit kommt, ist freilich ungewiss.Ähnliche Ungewissheit herrscht bei der Elektromobilität, von der keiner so genau weiß, wann ihr Durchbruch bevorsteht. Das erste Modell der Elektromarke EQ wird erst 2019 in Serie gehen. Die DZ Bank sieht in dieser Technologie daher BMW im Vorteil. Die Münchner haben mit der i-Reihe bereits eine größere Palette anzubieten als Daimler mit dem E-Smart und der B-Klasse. Zudem will BMW künftig auch die Kernbaureihen elektrifizieren: 2019 den Mini und 2020 den Geländewagen X3. BMW-Chef Harald Krüger gab jüngst das ambitionierte Ziel aus, den Absatz von E-Autos 2017 von 60 000 auf 100 000 Einheiten steigern zu wollen. So präzise hat Daimler ihre Erwartungen bisher nicht benannt. Beide Konzerne erwarten, den Absatzanteil von E-Autos bis 2025 höchstens auf 25 % zu steigern.Bis zu diesem Zeitpunkt wird feststehen, ob die Autohersteller derzeit die richtigen strategischen Entscheidungen treffen. Bisher waren die Konzerne erfolgreich, indem sie – kurz gesagt – ihre bestehenden Modelllinien verbessert und expandiert haben. Mit dem Eintritt in das digitale Zeitalter haben sich die Prämissen aber verschoben. Es sind neue Geschäftsmodelle gefragt, die schnell getestet und bei ausbleibendem Erfolg schnell wieder eingestampft werden müssen. Und das, während der Bau von S- und C-Klassen reibungslos weiterläuft, um damit das Geld für die nötigen Investitionen zu verdienen. Die Erfolgsaussichten dieses Unterfangens abzuschätzen, ist schwierig. Dennoch überwiegt bei den Analysten die Zuversicht für die Daimler-Aktie knapp. Von 35 bei Bloomberg aufgeführten Analysten bewerten 19 die Aktie als Kauf, während elf für Halten plädieren und fünf zum Verkauf raten.