Anlagethema im Brennpunkt (209)

Das Ende der Technologie­hausse?

Die von der veränderten Geldpolitik ausgelöste Schwäche von Growth-Aktien scheint übertrieben. U. a. die zu erwartende Unternehmens­gewinn­entwicklung spricht dafür, dass Growth attraktiver ist als Value.

Das Ende der Technologie­hausse?

Die Aktienmärkte haben das Jahr 2022 mit einem klassischen Fehlstart begonnen, vor allem Growth-Aktien mit hohen Bewertungskennzahlen stehen unter Verkaufsdruck. An der US-Technologiebörse Nasdaq sind die Kurse im Januar um 9% gefallen, noch schlechter entwickelten sich europäische Technologiewerte. Das Minus von 12% stellt die schlechteste Entwicklung seit Oktober 2008 dar. Aber nicht alle Aktien haben sich negativ entwickelt. Insbesondere Value-Titel mit niedrigen Bewertungskennzahlen liegen seit Jahresbeginn im Plus.

Abnehmender Rückenwind

Die Ursachen für den schwachen Jahresauftakt sind vielfältig. Als Belastungsfaktor neu hinzugekommen ist die Kriegsangst. Die zunehmenden politischen Spannungen zwischen Russland und der Ukraine bzw. Russland und der Nato erhöhen die wirtschaftlichen Unsicherheiten und vermindern den Risikoappetit der Anleger. Doch der entscheidende Punkt für die Schwäche der Technologiewerte und die Renaissance der Value-Aktien ist die Zinsentwicklung. So hat die hohe Inflation zu einer Neubewertung der zukünftigen Geldpolitik geführt. Die US-Notenbank wird im März beginnen, ihren Leitzins zu erhöhen. Bis Jahresende wird mittlerweile von fünf Zins­erhöhungen ausgegangen, weitere Schritte dürften 2023 folgen. Zudem hat die Fed deutlich gemacht, dass sie die aufgeblähte Notenbankbilanz zügig und in „signifikantem“ Ausmaß zurückführen will. Auch wenn die EZB bisher betont hat, die Zinsen in diesem Jahr nicht zu erhöhen, schwindet angesichts der hohen Inflationsraten der Glaube der Marktteilnehmer daran, aber auch der der Notenbank, wie die Äußerungen ihrer Präsidentin Christine Lagarde vom Donnerstag zeigen. An den Euribor-Futures lässt sich ablesen, dass auch in der Eurozone mittlerweile mit bis zu zwei Zinserhöhungen in diesem Jahr gerechnet wird. Der geldpolitische Rückenwind, von dem die Aktienmärkte in den letzten Jahren profitiert haben, nimmt also ab.

Dass Growth-Aktien besonders unter diesem Szenario leiden, ist auf den ersten Blick plausibel. Denn ein wesentlicher Grund, warum hoch bewertete Aktien in den vergangenen Jahren starke Kurssteigerungen aufwiesen, ist in der expansiven Geldpolitik der Notenbanken und den gesunkenen Zinsen bzw. Kapitalmarktrenditen zu sehen. Denn je niedriger der Zins ist, mit dem zukünftige Gewinne diskontiert werden, desto höher ist der heutige Barwert. Somit ist die Zinsentwicklung ein wichtiger Faktor, der die relative Attraktivität von Anlagestilen wie Growth und Value beeinflusst. Allerdings hat der Markt sehr heftig auf den Zinsanstieg reagiert. In Europa haben sich Growth- gegenüber Value-Aktien im Januar so schlecht wie niemals zuvor seit Mitte 1997 entwickelt. Angesichts der Tatsache, dass die Zinsen bzw. die Zinserwartungen in früheren Phasen, in denen die Geldpolitik vor einem Kurswechsel stand (zuletzt Ende der 1990er, 2004 und 2015), deutlich stärker anstiegen, scheint dieses Mal die Reaktion an den Kapitalmärkten übertrieben zu sein.

Und es gibt noch ein weiteres Argument, das die deutlich bessere Wertentwicklung der Value- gegen-über Growth-Aktien in Frage stellt: die Entwicklung der Unternehmensgewinne. Denn in den meisten Fällen geht eine nachhaltige Börsenschwäche einher mit einer wirtschaftlichen Rezession. Da in diesem Fall die Unternehmensgewinne häufig sehr deutlich sinken, verringert sich auch der Wert börsengehandelter Firmen. Doch eine neue Rezession ist nicht in Sicht. Im Gegenteil, die Weltwirtschaft wächst aller Voraussicht nach auch 2022 überdurchschnittlich stark, so dass viele Unternehmen ihre Gewinne in diesem Jahr weiter steigern werden. Während die Gewinne des MSCI World Value 2021 aufgrund von Basiseffekten bei Energie- und Rohstoffaktien stärker als die der Growth-Sektoren zulegen konnten, ist das erwartete Gewinnwachstum der Growth-Aktien sowohl 2022 als auch 2023 höher als bei den Value-Sektoren. Blickt man also allein auf die erwartete Gewinnentwicklung, sind Growth-Aktien aus unserer Sicht attraktiver als Value-Aktien.

Überreaktion

Um die Zins- und Gewinnent­wicklung gleichzeitig zu berück­sichtigen, haben wir ein Modell aufgestellt­, mit dem die relative Wertentwicklung von Growth- zu Value-Aktien erklärt wird. Das Ergebnis ist eindeutig: Zwar begünstigt der derzeitige Zinsanstieg die Value-Titel gegenüber den Growth-Aktien, allerdings ist die tatsächliche Outperformance von Value deutlich größer, als es das Modell erwarten lässt. Erst bei einer Rendite von etwa 4% für eine 30-jährige­ US-Staats­anleihe ließe sich die derzeitige Entwicklung rechtfertigen. Aus unserer Sicht ist dies ein Signal dafür, dass der Aktienmarkt­ auf die Aussichten einer restriktiveren US-Geldpolitik überreagiert hat und eine Erholung der Growth-Aktien wahrscheinlich ist.

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