MARKTCHANCEN 2020

Das Null- und Negativzinsumfeld bleibt 2020 intakt

Konjunkturelle Unsicherheiten drücken Verzinsungen von Bundesanleihen - Anleger fliehen in sichere Häfen - EZB-Bondkäufe treiben Renditen herunter

Das Null- und Negativzinsumfeld bleibt 2020 intakt

Von Kai Johannsen, FrankfurtAn den internationalen Anleihemärkten ist das Umfeld aus Niedrig-, Null- und Negativrenditen auch im Jahr 2020 vollkommen intakt. Damit setzt sich ein Trend, der mit den krisenbedingten Verwerfungen des Jahres 2007, als die Subprime-Krise ausbrach, seinen Ausgang nahm, das 13. Jahr in Folge fort. Von kurzzeitigen Ausbruchsversuchen der Renditen nach oben einmal abgesehen. Anleger sollten sich für 2020 darauf einstellen, dass bei den Renditen im Negativbereich Meilensteine bzw. Rekordmarken aufgestellt werden. Am Markt wird es in diesem Umfeld zum Beispiel durchaus für möglich gehalten, dass die zehnjährige Bundrendite – im Handel gilt die zehnjährige Bundesanleihe als eine entscheidende Benchmark im Zinsbereich – in Richtung von minus 1 % oder sogar noch tiefer gehen könnte. Das wäre etwa ein solcher Rekord.Verschiedene Faktoren werden dazu führen, dass dieses Umfeld aus Null- und Negativzinsen Fortbestand hat. Die meisten Experten gehen davon aus, dass der Handelskonflikt zwischen den USA und China noch eine ganze Weile andauern wird. Viele stellen sich darauf ein, dass es zu Teileinigungen der beiden Mächte kommen wird, aber dass der Handelsstreit insgesamt beigelegt werden kann, diesem Aspekt messen die meisten Marktteilnehmer nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit bei. Damit bleiben 2020 auch die Unsicherheiten aus dem Handelskonflikt und die konjunkturellen Beeinträchtigungen durch denselben weiter bestehen. Das deutet natürlich nicht auf höhere Bondrenditen hin. Unruhe durch BrexitUnsicherheit wird 2020 auch aus dem Brexit-Gerangel resultieren. Viele am Markt gehen davon aus, dass der Brexit durchaus das Zeug hat, zu einer Never Ending Story zu werden. Das lässt die Anleger ebenfalls die sicheren Häfen ansteuern, und somit kommt auch von dieser Seite Druck nach unten auf die Renditen. Auch das ist schon seit geraumer Zeit zu beobachten. Selbst wenn es zu einem Brexit-Deal zwischen Großbritannien und der EU kommen sollte und dann das Vereinigte Königreich aus der Staatengemeinschaft ausscheidet, bleibt abzuwarten, wie sich der Handel zwischen der EU und Großbritannien entwickelt. Das ist für alle Beteiligten Neuland. Auch in dieser Situation ist erst einmal mit Zurückhaltung und damit mit einem Ansteuern der sicheren Häfen zu rechnen. Das drückt also auf die Renditen. Das Gleiche gilt für die seit Jahren zu beobachtenden geopolitischen Risiken. Immer wieder kann es hier zu Brandherden kommen. Nordkorea oder die Türkei haben in der Vergangenheit auch immer wieder dafür gesorgt, dass die Anleger in Aufruhr versetzt wurden. Auch das ließ weite Investorenkreise das Wort Sicherheit wieder größer schreiben. Bundesanleihen waren und sind als sichere Wertpapiere dann immer sehr gefragt. Die Staatsanleihen der USA und Deutschlands gelten weltweit als die sichersten Papiere und haben somit bei den Anlegern in Krisenzeiten Hochkonjunktur.In diesem konjunkturellen Umfeld lässt sich schwer argumentieren, dass etwa die US-Notenbank Federal Reserve das Ruder herumreißen kann und wieder in den Zinserhöhungsmodus geht. Ganz im Gegenteil: Die US-Zentralbank wird auch 2020 im Zinssenkungsmodus bleiben. Das höchste der Gefühle wird für das zinsbeschlussfassende Gremium um Fed-Chef Jerome Powell wohl sein, dass sie sich mal eine kleine Zinspause gönnen können, also nicht gerade bei jeder Sitzung des Offenmarktausschusses im kommenden Jahr zur Leitzinssenkung greifen müssen. Die Zinsstrukturkurve hat in den USA im Jahr 2019 zunächst eine enorme Verflachung gesehen, die in eine Inversion der Kurve überging. Signal für RezessionenBei einer inversen Zinsstrukturkurve sind die langfristigen Bondrenditen niedriger als die kurzfristigen, zum Beispiel liegen die zehnjährigen Marktsätze unter den zweijährigen Renditen. Damit stellt sich der Markt auf konjunkturelle Abschwächungen ein, die die Notenbank auf längere Sicht mit Leitzinssenkungen beantwortet, um der Wirtschaft unter die Arme zu greifen. Dieses aufziehende konjunkturelle Szenario bildet der Bondmarkt bereits heute mit Blick auf die Zukunft ab. Diese Inversion der Zinsstrukturkurve ist in der Vergangenheit ein sehr verlässliches Signal für Rezessionen gewesen, ging doch jeder Rezession in den USA in den vergangenen 50 Jahren eine Inversion der Zinsstrukturkurve voraus. Momentan hat sich zwar die Kurve wieder verflacht, aber es braucht nicht viel Zeit, um die US-Zinsstrukturkurve wieder in den inversen Zustand zu versetzen.In der Eurozone wirken bekanntlich noch ganz andere Kräfte, die dafür sorgen, dass die Renditen an den Anleihemärkten niedrig bleiben bzw. noch tiefer ins Minus sinken. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat wegen der düsteren konjunkturellen Perspektiven wieder die Geldschleusen sehr weit geöffnet. Der Einlagensatz wurde im September noch tiefer ins Minus gesenkt und liegt aktuell bei minus 0,5 %. Außerdem – und das wird die Märkte stark beeinflussen – kauft die EZB seit November wieder Anleihen, und sie will das bis kurz vor Anhebung der Leitzinsen tun.Das wird tiefe Spuren an den Märkten hinterlassen, die ohnehin schon durch die jahrelangen Käufe der EZB gekennzeichnet sind. Die Liquidität in einzelnen Bondmarktsegmenten wird noch weiter abnehmen. Die Spreads werden sich noch stärker einengen, und die Renditen der betreffenden Anleihepapiere, die Gegenstand der EZB-Käufe sind, werden noch tiefer fallen. Es ist nicht wirklich absehbar, dass die EZB genau diese Käufe im kommenden Jahr einstellen wird, und so werden die Märkte genau diese Kaufkraft der europäischen Währungshüter wohl das gesamte Jahr über zu spüren bekommen.Die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland etwa spricht auch nicht gerade dafür, dass sich die Anleger für höhere Bondmarktrenditen wappnen sollten. Deutschland ist im dritten Quartal knapp der Rezession entkommen. Der US-Handelskonflikt und auch Brexit-Unsicherheiten haben dafür gesorgt, dass die Stimmung in den Unternehmen immer düsterer wurde. Man sollte sich auf weitere negative Konjunkturmeldungen aus Deutschland einstellen, da Handelsstreit und Brexit aller Voraussicht nach andauern werden.In einem solchen Umfeld wird bei den Anlegern die Tendenz zu einer Flucht in Sicherheit fortbestehen. Hinzu kommt, dass weite Anlegerkreise Bonds verständlicherweise kaufen werden, um sie weiter an die EZB durchzureichen – mit einem entsprechenden Preisaufschlag. Auch das drückt auf die Renditen. Das ist ebenfalls schon länger zu beobachten.Darüber hinaus ist einzukalkulieren, dass viele institutionelle Investoren wie Assetmanager/Fonds, Versicherungen und Pensionsfonds enorme Kapitalvolumina anzulegen haben. Viele wollen und können die Null- und Negativrenditen nicht mehr akzeptieren und suchen noch nach auskömmlichen Alternativen in den Fixed-Income-Märkten. Zwei Auswege wurden in der Vergangenheit gern genutzt. Zum einen gingen Anleger die Laufzeitenkurve herauf, um über die längeren Laufzeiten noch einen positiven Ertrag zu bekommen. Im Ergebnis fielen auch in den langen Laufzeiten die Renditen immer weiter zurück. Zweitens: Die Anleger nahmen mehr Risiko in Kauf, d. h., sie investierten in schwächere Bonitäten, d. h. in Anleihen von Unternehmen mit schlechteren Kreditwürdigkeiten, so dass auch bei diesen Papieren die Renditen immer weiter zurückfielen. Es ist mittlerweile so, dass bereits im High-Yield-Markt, der vor vielen Jahren mal Kupons von 7, 8 oder 9 % oder sogar noch mehr bereithielt, die Renditen teilweise ins Minus gefallen sind. Investoren greifen zuGern wird argumentiert, dass sich bei einer Aufhellung der konjunkturellen Situation das Bild auch wieder komplett wandeln würde. Die Notenbanken würden dann beginnen, die Leitzinsen anzuheben. An den Anleihemärkten wird das rosigere wirtschaftliche Bild von steigenden Anleiherenditen begleitet. In diesem Zusammenhang ist aber zu berücksichtigen, dass Marktteilnehmer jetzt schon geraume Zeit mit diesen Niedrig-, Null- und Negativrenditen leben. Sollte es wirklich einmal zu einem Anstieg der Renditen kommen, werden weite Anlegerkreise beherzt zugreifen, weil sie sich dann Renditen im positiven Bereich sichern wollen, die sie dann schon über sehr viele Monate nicht mehr festzurren konnten. Allein diese Nachfrage wird dazu führen, dass jeglicher Renditeanstieg – zum Beispiel im Bereich der Bundesanleihen – enorm abgebremst wird. Ein verstärktes Interesse von Anlegern sollte bei sogenannten runden Marken einkalkuliert werden. Es könnte sein, dass einem Renditeanstieg am Markt dadurch der Garaus gemacht wirdUnd wer ist der Nutznießer der niedrigen Renditen? Das sind Emittenten wie Unternehmen, Banken, Staaten sowie supranationale Adressen. Sie werden weiter sehr günstig frisches Kapital einbuchen können. Die Emittenten werden das nutzen, und sich fürs Schuldenmachen weiter mit Parkgebühren entlohnen lassen. Das Anleihevolumen, das weltweit im negativen Bereich liegt, sollte 2020 noch größer werden. Eine gute Bond-Nachfrage ist wohl weiter sicher. Das war auch in den Vorjahren zu beobachten. Und es spricht nichts dagegen, dass sich diese Entwicklung 2020 fortsetzt. Doch Anleger sollten sich die Frage stellen, ob dieser immer größer werdende globale Schuldenberg nicht langsam zu einem sehr ernsthaften Risiko für Märkte und Akteure geworden ist.