DEVISENWOCHE

Das Pfund im Banne der Brexit-Umfragen

Von Lars Edler und Frank Hübner *) Börsen-Zeitung, 19.4.2016 Für die beiden ersten Monate dieses Jahres kann man für die Devisenmärkte schon fast von einer "Anomalie" sprechen. Die Kurse risikobehafteter Anlageklassen fielen infolge aufkeimender...

Das Pfund im Banne der Brexit-Umfragen

Von Lars Edler und Frank Hübner *)Für die beiden ersten Monate dieses Jahres kann man für die Devisenmärkte schon fast von einer “Anomalie” sprechen. Die Kurse risikobehafteter Anlageklassen fielen infolge aufkeimender Sorgen um die globale Konjunktur. Eine der üblichen Beobachtungen in einem derartigen Umfeld ist Druck auf die sogenannten Rohstoff-Währungen oder auch Währungen von Emerging Markets. Unter allen Währungen erfuhr aber das britische Pfund die empfindlichste Abwertung, als Anfang Februar die Finanzmärkte in den Risk-off-Modus schalteten. Es verlor in den ersten zwei Monaten 2016 gegenüber dem Dollar fast 6 %, gegenüber dem Euro waren es 5,7 %.Ein Gutteil dieser Bewegung lässt sich mit der am 23. Juni anstehenden Abstimmung der Briten über den Verbleib in der Europäischen Union (EU) erklären. Als Premierminister David Cameron am 20. Februar offiziell das Datum der Abstimmung verkündete, hatten die Märkte längst begonnen, die Entwicklung einzupreisen. Erste Unsicherheiten an den Devisenmärkten zeigten sich bereits im August 2015 in Form erhöhter Volatilität und erster kräftiger Korrekturen im Euro-Pfund-Kurs. Große UnsicherheitDie Unsicherheit an den Währungsmärkten ist hoch. Hauptsächlich liegt dies daran, dass eine klare Richtung in den Umfragen bisher nicht zu erkennen ist. Gegner und Befürworter eines Austritts liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen; die Quote der Unentschlossenen ist hoch. Dies dürfte der größte Unsicherheitsfaktor sein, den die Märkte derzeit mit Abschlägen bepreisen. Hinzu kommen Großbritannien-spezifische Fragestellungen, die eine seriöse Prognose des Resultats unmöglich machen. Hierzu gehört die große Diskrepanz zwischen Telefonumfragen und Interneterhebungen, welche bereits bei der letzten Parlamentswahl zu einem von den Umfragen vollkommen abweichenden Wahlergebnis führten.Des Weiteren dürfte es kaum möglich sein, den Ablauf des Referendums mit dem einer normalen Wahl zu vergleichen. Dazu unterscheidet sich der Kampagnenverlauf zu sehr von dem üblicher Urnengänge. Es zeichnet sich ab, dass ein Großteil der bisher Unentschlossenen erst wenige Tage vor der Abstimmung beginnen wird, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Entsprechend bedeutsam dürfte die dann vorherrschende (tagespolitische) Stimmung werden. Was bedeutet dies für den Wechselkurs des Pfund gegenüber dem Euro? Erhebliches Potenzial für eine nachhaltige Erholung des Pfund besteht, falls die Briten für einen Verbleib in der EU votieren. Im umgekehrten Fall würde sich – wenn man den Aussagen der allermeisten Marktteilnehmer folgt – die Abwertung fortsetzen und möglicherweise noch beschleunigen. Aufgrund der genannten Argumente ist hierzu jedoch keine seriöse Voraussage möglich. “Stay” in Wettbüros vornEinen Ansatzpunkt, um sich gedanklich den zwei Szenarien “Stay” oder “Leave” zu nähern, kann man in Form der aktuellen Quoten der Wettbüros finden. Diese variieren zwar von Anbieter zu Anbieter leicht. Allerdings kann man die Quote für ein “Stay”-Votum derzeit im Durchschnitt bei ungefähr zwei zu eins taxieren, was approximativ als Eintrittswahrscheinlichkeit interpretiert werden kann. Übersetzt in den Erwartungswert kann mal also davon ausgehen, dass ein Votum für den EU-Verbleib dem Pfund zu einer Aufwertung verhelfen würde, der eine Abwertung in doppelter Stärke gegenüberstände, sollten sich die Briten gegen einen Verbleib entscheiden. Letzteres würde das Pfund zumindest zu einer sehr niedrig bewerteten, wenn nicht sogar stark unterbewerteten Währung machen. Natürlich ist es möglich, dass die Einschätzung von Devisenmarktstrategen bezüglich des EU-Referendums erheblich von den in den Wettquoten reflektierten Wahrscheinlichkeiten abweicht. Bei Betrachtung des Verlaufs des Euro/Pfund-Wechselkurses über die vergangenen sechs Monate kann der Eindruck entstehen, der Markt würde eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für einen Brexit einpreisen, als die Wettbüros dies suggerieren. Ein klareres Bild unter den Wahlberechtigten kann auf dem Devisenmarkt erhebliche Kräfte in beide Richtungen freisetzen.Aus der Perspektive des Portfoliomanagers reduziert sich die Kernfrage auf das akzeptable Risiko. In Anbetracht der Unvorhersagbarkeit ist es bei Benchmark-gebundenen Konzepten sicherlich ratsam, keine aktiven Positionen im Pfund aufzubauen. Bei Konzepten, denen keine konkrete Benchmark zur Seite gestellt ist, deuten die Wettquoten derzeit darauf hin, dass mit einem Investment in britische Pfund zwar viel gewonnen, aber im – als momentan unwahrscheinlicher gesehenen – Fall eines Austritts der Briten aus der EU noch mehr verloren werden könnte.—-*) Lars Edler ist Co-Chief Investment Officer und Frank Hübner Leiter Zentrale Kapitalmarktberatung von Sal. Oppenheim.