Konstantin Veit, Pimco

„Das Szenario des Marktes ist nicht plausibel“

Konstantin Veit sieht die Anleihemärkte in einer deutlich besseren Lage als vor einem Jahr. Nach Meinung des Portfoliomanagers von Pimco sind sie nun deutlich attraktiver.

„Das Szenario des Marktes ist nicht plausibel“

Christopher Kalbhenn.

Herr Veit, wie beurteilen Sie die jüngsten Beschlüsse und Äußerungen der Europäischen Zentralbank?

Die Februar-Entscheidung der EZB war ziemlich genau, was wir erwartet hatten. Im März wird es noch mal 50 Basispunkte geben, und dann wird die EZB entscheiden, wie die Zinsreise weitergeht. Es wird jedoch vermutlich noch weitere Zinsschritte nach März geben. Auch bei der Rückführung der Anleihekäufe gab es keine Überraschungen. Die Marktreaktion am Tag der Entscheidung war unserer Meinung nach nicht intuitiv und war vermutlich größtenteils von den Entscheidungen der Fed und Bank of England beeinflusst. In den Tagen nach der Entscheidung hat der Markt sich dann auch umentschieden, und die Zinsen sind wieder zurück nach oben marschiert.

Wo drückt die EZB der Schuh?

Die EZB hat mit drei Herausforderungen zu tun. Ihre Hauptsorge ist die Lohnentwicklung. Im Oktober zeigten ihre Äußerungen noch, dass sie nicht sonderlich besorgt war. Mittlerweile sieht sie die Entwicklung jedoch mit verschärfter Sorge. Eine Erhöhung der Löhne, die mit dem Inflationsziel kompatibel ist, liegt bei ungefähr 3% – unter der Annahme eines Produktivitätswachstums von 1%. Alles, was über 3% liegt, ist mit dem Inflationsziel von 2% nicht kompatibel. Vor der Pandemie war die Lohnentwicklung mit dem Ziel kompatibel. Wenn sie über einen zu langen Zeitraum über 3% liegen sollte, wird es problematisch, und wir erreichen allmählich Größenordnungen, bei denen die EZB hellhörig wird.

Welche weiteren Sorgen treiben die Notenbank um?

Zum einen die Fiskalpolitik. Die EZB hat erklärt, dass die Expansion gezielt und temporär erfolgen soll, um nicht inflationär zu wirken. Was sie derzeit sieht, ist nicht temporär und nicht kompatibel mit dem Erreichen des Inflationsziels. Zum anderen werden die Finanzierungsbedingungen von der EZB seit dem Oktober mit Sorge betrachtet, weil diese nicht angezogen haben. Sie betrachtet die Rally am Aktienmarkt und die Entwicklung der Anleihebedingungen nicht mit Wohlwollen. Die Rally ist ein Stück weit mit der zuvor negativen Stimmung zu erklären, außerdem mit dem zu Jahresanfang zur Verfügung stehenden frischen Kapital sowie den attraktiveren Renditeniveaus. Die EZB hat jedenfalls klargestellt, dass sich die Dinge anders entwickeln, als sie sich das vorstellt. Ihre im Dezember vorgelegten Inflationsprognosen liegen deutlich über dem Ziel, auch die erstmals für 2025 vorgelegte Prognose.

Die Notenbanken betonen immer wieder, dass sie die Zinsen noch um einiges erhöhen werden, um die Inflation einzudämmen. Aber die Marktteilnehmer glauben das nicht.

Es ist in der Tat interessant, dass der Markt für das zweite Halbjahr sogar wieder aggressive Zinssenkungen der Fed erwartet. Er sieht das Zinshoch der Fed bei circa 5% und das Hoch des Einlagesatzes der EZB bei 3,5%. Ferner preist er eine relativ schnelle Rückkehr auf ein neutrales Niveau von 2% ein. Das Szenario des Marktes ist nicht plausibel. Wir sehen das Risiko, dass die Zentralbanken der USA und des Euroraums die Zinsen über einen längeren Zeitraum im restriktiven Terrain belassen werden. Die EZB hat auch klargemacht, dass sie das so lange wie nötig machen wird. Es besteht durchaus das Risiko, dass die Kerninflation nicht so schnell zum Ziel zurückkehren wird, wie der Markt das derzeit einpreist.

Wie stark beziehungsweise schnell wird die Inflation Ihrer Einschätzung nach zurückgehen?

Ein Teil des Inflationsrückgangs ist leicht. Ohne weitere Schocks ist es relativ plausibel, dass die Jahresinflationsraten in den USA und im Euroraum zum Jahresende bei 3,5 bis 4% liegen werden, allein schon aufgrund der Basiseffekte etwa bei Energie und Nahrungsmitteln. Dann gibt es aber den schwierigen Teil, die Wegstrecke von 3,5 bis 4% auf 2%. Da ist die Unsicherheit größer. So stellt sich die Frage, wie deutlich sich der Arbeitsmarkt abschwächen muss, um das Inflationsziel zu erreichen. Derzeit haben wir rekordniedrige Arbeitslosenraten. Ohne einen Abschwung am Arbeitsmarkt wird es schwierig, die letzte Meile der Inflationsbekämpfung zurückzulegen.

Welche Rolle spielt die konjunkturelle Entwicklung?

In letzter Zeit gab es sehr gute Nachrichten aus dem Euroraum. Die Aussichten haben sich deutlich aufgehellt, es ist durchaus plausibel, dass es keine Rezession geben wird. Aber: Gute Nachrichten jetzt könnten schlechte Nachrichten später bedeuten, weil der Kampf der EZB gegen die Inflation dadurch nicht leichter wird. Die Öffnung Chinas ist für den Euroraum positiv, aber nicht hilfreich, was die Inflationsaussichten betrifft.

Wie interpretieren Sie die invertierte Zinskurve?

Die Zinsstrukturkurve ist sehr ungewöhnlich. Sie preist anhaltend aggressive Leitzinsanhebungen ein, für später aber recht aggressive Zinssenkungen. Daher ist sie sehr invertiert.

Was bedeutet all dies für die Anleihemärkte?

Wir haben drei Kernbotschaften bezüglich der Anleihemärkte. Erstens sind die Anleihemärkte nun deutlich attraktiver als vor einem Jahr – wie wir sagen: „Bonds are back“. Die Reise zu den attraktiven Renditen war zwar schmerzhaft, aber die Aussichten sind jetzt viel besser. Zweitens haben wir dennoch einen Fokus auf Risiken, das heißt einen Fokus auf das liquide und einen Fokus auf das hochqualitative Segment. Im Niedrigzinsumfeld musste man aggressiv Risiken nehmen, um eine vernünftige Verzinsung zu erzielen. Nun muss man das nicht mehr. Mittlerweile kann man mit moderatem Zins- und Kreditrisiko sehr ordentliche Renditen erwirtschaften. Wir sehen durchaus Chancen in weniger qualitativen Segmenten wie High Yield und Emerging Markets, aber da sind wir sehr selektiv. Drittens ist unserer Meinung nach aktives Management wichtig. Denn 2022 war eine aufwärts gerichtete Einbahnstraße, was Renditen und Spreads betraf. Dieses Jahr erwarten wir „Verkehr in beide Richtungen“, das heißt, wenn man eine Renditebandbreite von 3,5% bis 4,5% bei den zehnjährigen Treasuries sieht, wird man diese Spanne aktiv spielen. Die Risiken werden reduziert, wenn die Kurse hoch sind, und erhöht, wenn die Kurse gesunken sind. Im Credit-Bereich sind wir vorsichtig bei Segmenten, die von aggressiven Zinserhöhungen stark betroffen sind. Da wird man sich etwas defensiver positionieren wollen. Wir sind selektiv und vorsichtig im High-Yield-Bereich und bei Unternehmen mit großem Exposure gegenüber dem Häusermarkt.

Wo setzen Sie Schwerpunkte?

Wir setzen Schwerpunkte im kurzen und mittleren Laufzeitensegment und im hochqualitativen Segment, beispielsweise Agency MBS (Mort­gage Backed Securities) beziehungsweise verbriefte Produkte in den USA und in Europa.

Wie stehen Sie zu Anleihen der Euro-Peripheriestaaten?

Aus reinen Bewertungsgesichtspunkten sehen Peripherieanleihen aktuell nicht besonders attraktiv aus. So ist beispielsweise der Spread zwischen Deutschland und Italien derzeit nicht besonders weit. Von daher sind wir dort vorsichtig bis neutral positioniert. Relevanter als die EZB-Politik ist für die Spread-Entwicklung der Peripherie typischerweise die nationale politische Dynamik.

Wird die Bund-Zinskurve noch stärker invertieren, wenn die EZB weiter erhöht, der Markt aber weiter das Ende der Zinserhöhung spielt?

Typischerweise ist die Zinskurve steil, das heißt, wenn der Leitsatz auf 3,5% steigt, müsste die Rendite der zehnjährigen Anleihe darüber handeln. Das ist der Normalzustand. Aber es kommt auf vieles an. Wenn eine Rezession kommt, werden die zehnjährigen Renditen darunter handeln. Jedenfalls ist eine zehnjährige Bundrendite um 2% nicht unbedingt ein attraktives Niveau, auf dem wir uns stark engagieren würden.

Das Interview führte

BZ+
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