Das Yen-Rätsel

Die japanische Währung wertet gegen alle fundamentale Logik zum Dollar auf

Das Yen-Rätsel

Der Yen steigt und steigt, obwohl fundamental nahezu alles gegen die japanische Währung spricht. Da die übliche Begründung “Flucht in Sicherheit” vielen Akteuren derzeit nicht ausreicht, blühen am Markt wilde Spekulationen über ein geheimes Abkommen zur Dollar-Schwächung.Von Stefan Schaaf, FrankfurtSchwache Wirtschaftsdaten, sinkende Inflationserwartungen und die Aussicht einer weiteren Lockerung der Geldpolitik in Japan sprechen gegen eine Aufwertung des Yen. Doch der Devisenmarkt hat diese fundamentale Gemengelage vollkommen ignoriert, am Dienstag mussten erstmals seit 31. Oktober 2014 sogar wieder weniger als 110 Yen für einen Dollar gezahlt werden. Damit hat der Dollar in diesem Jahr laut Bloomberg-Daten bereits mehr als 6 % zur japanischen Währung abgewertet, beim Euro beträgt der Wertverlust rund 2 %. Unter Volkswirten sorgt dies für Kopfschütteln. “Damit hat sich der Devisenmarkt für die Investition in eine konjunkturell fallsüchtige, demografisch kritisch aufgestellte, weitgehend reformunfähige und deflationsgefährdete Alternative entschieden”, sagt etwa Folker Hellmeyer, Chefökonom der Bremer Landesbank.Auch die Stimmung in den Chefetagen der japanischen Wirtschaft sinkt. Sie ist dem jüngsten Tankan-Bericht zufolge so schlecht wie zuletzt vor drei Jahren, viele Manager befürchten eine Rückkehr der Deflation. Darauf deuten auch die Inflationserwartungen an. Die aus Swaps abgeleiteten fünfjährigen Inflationserwartungen (5Y5Y) sind in diesem Jahr stark gefallen und signalisieren eine Inflationsrate von 0,07 % mit Sicht auf fünf Jahren. Hingegen lauten die Marktprognosen für die USA auf 2,06 % und für die auch unter einem disinflationären Trend leidende Eurozone immerhin 1,42 % – ein Wert, den die Märkte für Japan noch im Sommer vergangenen Jahres einpreisten. In einem solchen Umfeld sind für Japan keine steigenden Zinsen zu erwarten, während zumindest für die USA viele Akteure weiterhin mit höheren Zinsen ausgehen, wenngleich der Anstieg wohl deutlich langsamer ausfallen wird, als viele noch vergangenes Jahr erwartet hatten. Doch nicht nur schwaches Wachstum und fehlende Inflation belasten den Yen. Langfristig sprechen auch die Alterung der Bevölkerung – Japan kennt quasi keine Einwanderung – und die hohe Staatsverschuldung von rund 230 % der jährlichen Wirtschaftsleistung gegen die Valuta. Korrelation dreht sich umAuf der Suche nach Gründen für die Yen-Aufwertung lauten die beiden üblichen Verdächtigen Risikoaversion und Korrelationshandel. Typischerweise steigt nämlich der Yen in Phasen erhöhter Unsicherheit an, weil er wegen der lange andauernden Niedrigzinsphase in Japan die Rolle einer globalen Finanzierungswährung für riskante Geschäfte (Carry Trades) einnimmt. Daraus hat sich eine negative Korrelation von Risikobereitschaft und Yen-Dollar-Kurs ergeben. Insbesondere automatische Handelssysteme kaufen dann den Yen, wenn die Aktienkurse in Tokio oder anderswo fallen.Nun gibt es aber Hinweise, dass sich diese Korrelation quasi verselbständigt hat. “Die Korrelation zwischen einem fallenden Nikkei und einem steigenden Yen ist noch immer sehr stark, aber die Marktkausalität scheint falsch herum zu sein”, stellt Kit Juckes, Analyst bei der Société Générale, fest. “Das heißt, nicht Yen-Bewegungen verändern die Gewinnerwartungen und somit den Gewinnausblick und damit den Nikkei, sondern der Yen steigt während der Nikkei fällt.” Trifft diese Umkehrung der Korrelation zu, so stieg der Yen auch in Reaktion auf den Preisverfall des Öls zu Jahresbeginn, da dieser Konjunktursorgen auslöste und global die Aktienmärkte unter Druck setzte.Auch dies übrigens eine Reaktion auf Basis historischer Korrelationen, obwohl ein Angebotsschock und keine Nachfrageschwäche den Ölpreisverfall auslöste. Ein weiterer Grund für die Yen-Stärke dürften die wachsenden Zweifel an der Wirksamkeit der Geldpolitik der Bank of Japan sein, zumal diese den Zeitraum für die Rückkehr zu ihrer Zielinflationsrate von 2 % beständig nach hinten verschiebt. Medienberichten zufolge will die BoJ das Ziel nun erst im zweiten Halbjahr 2017 und damit ein halbes Jahr später als bislang kommuniziert erreichen.”Der Markt macht dieses Spielchen schon längst nicht mehr mit”, sagt Ulrich Leuchtmann, Chef der Devisenanalyse der Commerzbank. “Plausibel sind diese Gerüchte. Schließlich ist der jetzige Zeitrahmen utopisch.” Allerdings glitte die Kommunikation der BoJ damit “endgültig ins Alberne ab”. Leuchtmann: “Was nützt die Kommunikation eines Zeitrahmens, der wieder, wieder und wieder alle sechs Monate um sechs Monate verschoben wird?” Verlust an GlaubwürdigkeitZur sinkenden Glaubwürdigkeit der BoJ trug auch bei, dass ihre jüngsten Versuche zur Yen-Schwächung mittels negativer Zinsen wirkungslos verpufften. “Viele Leute trauen der Bank of Japan nicht zu, dass sie in der Lage ist, die Währung zu schwächen, weil sie einmal bereits scheiterte”, sagte Juckes. Allerdings stiegen damit die Chancen auf eine lockerere Fiskalpolitik etwa durch den Verzicht auf eine höhere Verbrauchssteuer. Die Hoffnung ist offenbar, dass die Wirtschaft und damit auch die Preisentwicklung von dieser Seite her angeschoben wird. Einer Reihe von Marktteilnehmern sind die genannten Begründungen für die Yen-Stärke allerdings nicht ausreichend und sie räsonieren deshalb über die Existenz eines geheimen Abkommens zur Schwächung des Dollar. Geschlossen worden sein soll es beim jüngsten G 20-Treffen in Schanghai. Als Beleg angeführt wird, dass just mit dem Ende des Treffens auch die Dollar-Schwäche und damit Yen-Stärke einsetzte. “Wir halten es für absolut denkbar, dass EZB, Fed und People’s Bank of China sich Ende Februar bei G 20-Treffen in Schanghai darauf geeinigt hat, einen absehbaren Abwertungswettlauf der Währungen zu verhindern”, mutmaßt Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie für Deutschland, Österreich und Osteuropa bei Blackrock.Allerdings sind andere Marktakteure skeptisch, dass es eine “geheime” Absprache gegeben habe. Ihre Argumentation: Geld- und damit auch Währungspolitik funktioniert vor allem über die Kommunikation. Hätten die beteiligten Notenbanken also den Dollar schwächen wollen, so hätten sie dies dem Markt nur mitteilen brauchen und müssten nicht heimlich an den Märkten agieren, wie dies gemutmaßt wird.Ohnehin könnte die Yen-Rally möglicherweise schon bald ihr Ende finden. Dafür sprechen die jüngst sehr hohen Positionierungen am US-Derivatemarkt auf einen weiteren Kursanstieg. Sie machen den Markt anfällig für Eindeckungskäufe und damit eine Korrektur. Um auf eine fallende japanische Währung zu setzen, rät die Société Générale ihren Kunden übrigens, die Schwedenkrone gegen den Yen zu kaufen.