Dax und Dow driften auseinander
Von Christoph Geyer *)Als wir noch jung und unerfahren waren, sagten uns die alten Berater immer: Wenn Amerika einen Schnupfen hat, bekommt Deutschland eine Grippe. So schauten wir gespannt um 15:30 Uhr darauf, wie denn die amerikanischen Märkte eröffnen würden. Da das digitale Zeitalter noch weit entfernt war und das Radio eine wichtige Informationsquelle darstellte, wenn man nicht mehr am Arbeitsplatz saß, hörten wir um 0:00 Uhr interessiert den amerikanischen Soldatensender AFN, um den Schlussstand des Dow Jones zu erfahren. Schließlich gab dieser Index ja vor, wie am nächsten Morgen die deutsche Börse eröffnen würde.Diese Vorgabe wurde lange Zeit auch so von den Marktteilnehmern beachtet und konnte zumindest als Indikation für die Tagesbewegung des deutschen Marktes herangezogen werden. Seit Mitte dieses Jahres kann davon allerdings keine Rede mehr sein. Auch 2017 war bereits ein Auseinanderdriften des Dow Jones und des Dax zu beobachten. Allerdings schaffte es der Dax immerhin in der zweiten Jahreshälfte, zumindest im Ansatz dem Dow zu folgen, auch wenn die Anstiegsbewegung durch einen zwischenzeitlichen Dämpfer unterbrochen wurde. Ohne Rückschläge Der Dow Jones hat dagegen ohne nennenswerte Rückschläge die Anstiegsbewegung bis Ende Januar weiterführen können. Dann nahm die Volatilität spürbar zu und der Bereich um 23 500 Punkte entwickelte sich immer mehr zur Unterstützungszone. Seit Mai dieses Jahres befindet sich der Dow, wie auch der breiter gefasste S & P 500, unter deutlich niedrigeren Schwankungen wieder auf dem Weg nach oben. Verwunderlich ist dabei, dass der Dax seit Mai eher zur Schwäche neigt und Erholungsbewegungen nicht unbedingt im Keim erstickt werden, aber immer wieder unterhalb des jeweils letzten Tiefs zum Stehen kommen. Dies ist ein Verhalten, welches nach der Dow-Theorie einen Abwärtstrend definiert. Mit dem Unterschreiten des Bereichs um 12 200 Punkte wurde eine wichtige kurzfristige Unterstützung unterschritten. Dieser Bruch der Unterstützung eröffnete neues Abwärtspotenzial bis in den Bereich um 11 800 Punkte. Das alles würde noch kein größeres Problem darstellen. Schließlich gibt es immer wieder Korrekturbewegungen in bestätigten Aufwärtstrends. Kritischer wird es, wenn man die Indikatorenlage betrachtet. Der Stochastik-Indikator hat bereits vor einigen Wochen ein Warnsignal in Form eines Verkaufssignals generiert. Dieses wurde zuletzt vom MACD-Indikator bestätigt. Gegen diese Warnung könnte man die Tatsache halten, dass in der letzten Phase des aktuellen Abwärtstrends die Umsätze rückläufig waren. Dies ist für gewöhnlich ein Zeichen für fehlende Marktbreite und damit in diesem Fall auch für einen nicht vorhandenen Abgabedruck. Trend gebrochenWichtig wird es aber, wenn man sich den langfristigen Trend ansieht. Dieser wurde nämlich jetzt gebrochen. Ein solcher Trendbruch muss noch nicht bedeuten, dass es jetzt nur noch nach unten geht. Zudem sind Trendlinien per Definition der technischen Analyse nur “Angebote an den Markt” und müssen nicht unbedingt nachhaltige Auswirkungen haben. Trotzdem haben sie eine nicht zu unterschätzende psychologische Wirkung, und wenn die Mehrzahl der Marktteilnehmer erst einmal erkennt, dass der Trend gebrochen wurde, könnte daraus ein Domino-Effekt entstehen. Grund zur Sorge gibt auch eine Formation, die zwar viele Parameter wie die Umsatzentwicklung benötigt und auch nicht sonderlich häufig vorkommt, aber eine hohe Trefferquote aufweisen kann. Diese sogenannte Schulter-Kopf-Schulter-Formation tritt meist nach längeren Trends als Umkehrformation auf.Auch wenn immer wieder der eine oder andere bei der Begrifflichkeit schmunzelt, handelt es sich hierbei doch um ein Spiegelbild des Verhaltens der Marktteilnehmer. Wem es besser gefällt, der kann diese Topformation auch nachlassende Aufwärtsdynamik nennen. Auch wenn es sich beim Dax hier sicher nicht um eine klassische Schulter-Kopf-Formation handelt (dazu ist das Umsatzverhalten zu atypisch), hat sich doch eine Lage gebildet, die zumindest kritisch zu sehen ist. Gesamtlage eingetrübtSelbst wenn man solche Formationen ins Reich des Glaskugellesens schieben möchte, wird jeder erkennen müssen, dass sich im Bereich der sogenannten Nackenlinie die bereits oben erwähnte Unterstützungslinie befindet. Sollte diese unterschritten werden, ist dies ein viel wichtigeres Signal, als der Bruch der Trendlinie. In diesem Fall eröffnet sich nämlich weiteres Abwärtspotenzial bis in den Bereich von knapp unter 9 000 Punkte. Noch ist es nicht so weit, und auch ein Unterschreiten der Unterstützung muss noch nicht unmittelbar zu einem Rückschlag bis zur genannten Marke führen. Eine Eintrübung der Gesamtlage kann aber auch der größte Kritiker der Technischen Analyse sicher nicht bestreiten. Die bevorstehenden Herbstturbulenzen, die aus der saisonalen Gesetzmäßigkeit zu erwarten sind, können auch einmal positive Auswirkungen haben und vielleicht sogar einen Ausbruch nach unten verhindern.—-*) Christoph Geyer ist technischer Analyst bei der Commerzbank.