GASTBEITRAG

Delisting ohne Abfindungsangebot - das geht gar nicht!

Börsen-Zeitung, 16.5.2015 Seit 2002 hatte das "Macrotron-Urteil" gegolten, wonach bei einem freiwilligen Delisting ein HV-Beschluss und ein gerichtlich überprüfbares Pflichtangebot in vielen Fällen geboten sind. Im Zusammenhang mit zwei...

Delisting ohne Abfindungsangebot - das geht gar nicht!

Seit 2002 hatte das “Macrotron-Urteil” gegolten, wonach bei einem freiwilligen Delisting ein HV-Beschluss und ein gerichtlich überprüfbares Pflichtangebot in vielen Fällen geboten sind. Im Zusammenhang mit zwei Verfassungsbeschwerden hatte das Bundesverfassungsgericht 2012 diese Statuierung zwar von Verfassung wegen nicht für notwendig, aber als zulässig angesehen. Ein gesetzlicher Schutz der Minderheitsaktionäre gegen ein uneingeschränktes Delisting ist also verfassungsrechtlich unbedenklich. Den vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Rahmen nutzte der Bundesgerichtshof dahingehend aus, sich im sogenannten “Frosta-Urteil” vom 8. Oktober 2013 um 180 Grad zu drehen und ein Delisting ohne HV-Beschluss und ohne ein Pflichtangebot zu etablieren.Seither wurden in fast 50 Fällen von den Vorständen/Großaktionären Delistings zu Lasten der Minderheiten beschlossen. Damit erhöhte sich die Zahl solcher Börsenrückzüge im Vergleich zu den Jahren davor massiv. Der in den Börsenordnungen von Frankfurt und Stuttgart etablierte Mechanismus, den Anträgen auf Delisting nach einer Warteperiode von sechs Monaten stattzugeben, führt in einem Verkaufswettbewerb zu Ausverkaufspreisen, da Kaufinteressenten für den Erwerb von nicht handelbaren bzw. illiquiden Aktien üblicherweise nicht vorhanden sind. Für Fonds ist vielfach festgeschrieben, dass nur gelistete Aktien gehalten werden dürfen.Eine von der Solventis Wertpapierhandelsbank erstellte Studie zum Thema Delisting belegt die Kurseinbrüche nach einer Delisting-Ankündigung. Dabei wurden die Kursveränderungen im Zusammenhang mit einer Delisting-Ankündigung (Insolvenzen und Delisting mit freiwilligen Angeboten sind nicht berücksichtigt) nach verschiedenen Ansätzen berechnet (siehe Tabelle, die den Stand per 16. März zeigt). Verluste von bis zu 80 ProzentIm Durchschnitt betragen die Kurseinbrüche bis zu 25 % und im Einzelfall sogar bis zu 80 %. Dabei stellen wir fest, dass die Kursabschläge mit zeitlichem Abstand zur Ankündigung des Delistings größer werden. Die Studie widerlegt die Argumentation des Frosta-Urteils: Delisting ohne Abfindungsangebot habe keine Auswirkungen auf die Kursentwicklung. Während die Minderheiten also mit massiven Vermögensverlusten konfrontiert werden, eröffnet sich für Großaktionäre die Möglichkeit, billig zuzukaufen. Die Großaktionäre der Magix AG nutzten die Kursabschläge nach der Delisting-Ankündigung rigoros aus und stockten ihren Anteil von 65 % auf über 75 % der Stimmrechte auf. Auf der Magix-HV am 24. März wurde die Umwandlung von einer AG in eine KGaA beschlossen: Die Entrechtung der Minderheiten geht also weiter.Die Swarco AG kaufte zwischen der Delisting-Ankündigung der Swarco Traffic Holding AG und der Ankündigung eines Übernahmeangebots in Höhe von 4 Euro je Aktie der Swarco Traffic Holding AG etwa 1,5 % des Free Float bei Preisen deutlich unterhalb des Preises vor Delisting-Ankündigung (3,15 Euro) und dem Übernahmepreis (4 Euro).Das mit einem Delisting-Beschluss oftmals angeführte Argument der Kosteneinsparung können wir gerade auch mit Blick auf die Vermögensverluste der Minderheiten nicht nachvollziehen. So sind die Kosten einer Börsennotiz vernachlässigbar. Sie belaufen sich auf 5 000 (Entry Standard) bis 10 000 Euro (Prime Standard) pro Jahr. Hinzu kommen die Aufwendungen für Berichterstattung, Mitteilungspflichten und Investor-Relations-Aktivitäten.Nach einem Delisting bleiben in mehr oder weniger reduziertem Umfang Investor Relations wie auch die Abhaltung der Hauptversammlung ohnehin erhalten. Nach unserer Einschätzung und nach Rücksprache mit Unternehmen fallen bei den meisten Unternehmen Kosten von deutlich weniger als 100 000 Euro pro Jahr an. Beim Börsengang spielten diese Kosten auch keine Rolle. Die Frage, ob das Delisting vor Frosta mit einem Abfindungsangebot verbunden gewesen wäre, lenkt indes vom Thema ab. Gerade die teilweise verheerenden Kursverluste von Unternehmen aus dem Freiverkehr, die schon vor Frosta kein Abfindungsangebot machen mussten, belegen dies.Insoweit geht unsere Argumentation über den Frosta-Rahmen hinaus. Delisting ohne Abfindungsangebot – das geht gar nicht, und zwar unabhängig vom jeweiligen Börsensegment. Durch Downlistings vom Prime Standard über den Entry Standard bis hin zum Freiverkehr entstand Wildwuchs zu Lasten der freien Aktionäre. Wir stellen also die Forderung auf, dass auch solche Unternehmen den Minderheiten ein Abfindungsangebot machen müssen, die im qualifizierten oder einfachen Freiverkehr notiert sind.Der Missbrauch, den das Frosta-Urteil ermöglichte, ist so offensichtlich, dass sich zunächst die SPD unter der Flagge des Verbraucherschutzes des Delisting-Themas angenommen hat. Auch die CDU/CSU befürwortet gesetzliche Änderungen und fordert: “Aktionäre müssen bei einem Delisting besser geschützt werden. Nachdem die Rechtsprechung das Schutzniveau abgesenkt hat, muss nun der Gesetzgeber zügig tätig werden. Insbesondere müssen Minderheitsaktionäre einen Anspruch auf eine angemessene Abfindung erhalten … Die gesetzliche Neuregelung gehört daher zeitnah auf die Tagesordnung des Bundestages und sollte möglichst auch aktuell geplante Delistings erfassen.” Der Bundesrat befürwortet dies ebenfalls. Erste Expertenanhörungen zum Delisting-Thema haben zwischenzeitlich stattgefunden.Es gilt, das Kräfteverhältnis wieder ins Lot zu bringen, die Rechte der Minderheitsaktionäre zu stärken und das Fenster des Delisting-Missbrauchs schnell zu schließen. Ein Delisting darf es nur mit HV-Beschluss und gerichtlich überprüfbarem Pflichtangebot geben und zwar unabhängig vom Börsensegment.—-Klaus Schlote, Geschäftsführer der Solventis Wertpapierhandelsbank GmbH —-Joachim Schmitt, Geschäftsführer der Solventis Wertpapierhandelsbank GmbH