Essenslieferdienst

Delivery Hero stellt den Gewinn hintan

Ein Dreivierteljahr nach der Aufnahme in den Dax hat sich Delivery Hero in der ersten Börsenliga etabliert. In der für die Indexmitgliedschaft relevanten Rangliste lag der Essenslieferdienst zuletzt im gesicherten Mittelfeld. Die Aktie hat lange von...

Delivery Hero stellt den Gewinn hintan

Von Helmut Kipp, Frankfurt

Ein Dreivierteljahr nach der Aufnahme in den Dax hat sich Delivery Hero in der ersten Börsenliga etabliert. In der für die Indexmitgliedschaft relevanten Rangliste lag der Essenslieferdienst zuletzt im gesicherten Mittelfeld. Die Aktie hat lange von der durch die Pandemie verstärkten rasanten Ausweitung von Kundenbasis, Bestellungen und Bruttowarenwert (GMV) profitiert. Mit dem Vorankommen bei den Impfungen verlieren die Corona­gewinner nun allerdings ihre Favoritenrolle an der Börse.

Delivery Hero stellt für 2021 ein Umsatzwachstum von rund 80% und einen Anstieg des über die Online-Plattformen generierten GMV von 21,8 Mrd. Euro im vergangenen Jahr auf 31 Mrd. bis 34 Mrd. Euro in Aussicht – eine Prognose, die für den Analysten Clément Genelot von der Investmentbank Bryan Garnier „jegliche Angst vor einem Post-Covid-Hard-Landing“ zerstreut.

Eine Besonderheit von Delivery Hero ist die starke Ausrichtung auf Schwellenländer in Nahost/Nordafrika, Asien und Südamerika. Der Konzern ist in rund 50 Ländern unterwegs. Aus Europa kam im vergangenen Jahr nur jede zehnte Bestellung, in den USA ist Delivery Hero gar nicht vertreten. Eine weitere Spezialität sind die anhaltend hohen Verluste. Das Jahr 2020 schloss Delivery Hero mit 1,4 Mrd. Euro Nettoverlust ab. Der Fehlbetrag entsprach mehr als der Hälfte des Konzernumsatzes von 2,47 Mrd. Euro. Auch das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda), bereinigt um Sonderfaktoren, lag mit minus 568 Mill. Euro tief im roten Bereich. Finanziert werden die Verluste über den Kapitalmarkt. Seit Anfang 2020 hat sich das Unternehmen 5 Mrd. Euro über die Ausgabe von Wandelanleihen und neuen Aktien beschafft.

2023 schwarz

Wann Delivery Hero die Gewinnzone erreicht, lässt CEO Niklas Östberg bewusst offen. Für ihn stehen Wachstum und Marktanteile im Vordergrund. Die Profitabilität hänge davon ab, in wie viele neue Geschäfte das Unternehmen investiere, sagt der Mitgründer.

Viele Analysten gehen davon aus, dass Delivery Hero im Jahr 2023 beim bereinigten Ebitda schwarze Zahlen schreiben wird. Im Durchschnitt werden 440 Mill. Euro Ebitda erwartet. Genelots Analysemodell zufolge könnte der Lieferdienst in der zweiten Hälfte 2022 in die Gewinnzone vorstoßen. Skeptischer äußert sich Thomas Hofmann von der Landesbank Baden-Württemberg. „Wann letztlich die Gewinnschwelle erreicht wird und auf welchem Niveau die nachhaltige Profitabilität des Unternehmens liegen wird, lässt sich aktuell nur schwer einschätzen“, gibt der Analyst zu bedenken. Entsprechend unterschiedlich fallen die Kursziele aus: Hofmann kommt auf 83 Euro, Genelot auf 158 Euro.

J.P. Morgan Cazenove traut dem Dax-Titel sogar 185 Euro zu. Ihr Analyst Marcus Diebel hält Delivery Hero für den Top Pick im europäischen Internetsektor. Vor allem in Asien und im neuen Geschäft mit der Auslieferung von Lebensmitteln erwartet der J.P.-Morgan-Experte starkes Wachstum. Die jüngste Underperformance der Aktie sei nicht überraschend, da einige Investoren steigende Gesamtausgaben befürchteten. Zudem sei der Überhang von 20 Millionen Aktien von früheren Anteilseignern der übernommenen Woowa „nicht hilfreich“. Im Vergleich zum Kurs Mitte Mai von 103 Euro könne sich die Aktie fast verdoppeln – aber nur, wenn sich die Sichtbarkeit der Rentabilität im zweiten Halbjahr verbessere, meint Diebel.

Nach Angaben des Finanzdienstleisters Bloomberg stufen die meisten Kapitalmarktexperten die Aktie wie Genelot und Diebel mit „Kaufen“, „Übergewichten“ oder „Outperform“ ein. 20 der 24 erfassten Experten kommen zu dieser Einschätzung. Zwei plädieren für „Halten“, zwei sprechen eine Verkaufs- oder Underperform-Empfehlung aus. Das durchschnittliche Zwölf-Monats-Kursziel beträgt 150 Euro.

Naspers größter Aktionär

Das prognostizierte Wachstumspotenzial begründen Analysten mit den niedrigen Durchdringungsraten bei Konsumenten und Restaurants. Bryan-Garnier-Experte Ge­nelot schätzt, dass der Konzern den GMV bis 2025 um 31% pro Jahr auf 85 Mrd. Euro und den Umsatz um 35% jährlich auf 15,7 Mrd. Euro steigern kann. Das bereinigte Ebitda könne dann 1,3% des GMV ausmachen. Delivery Hero selbst strebt auf lange Sicht eine Marge zwischen 5 und 8% des GMV an.

Für Manuel Mühl von der DZBank hat das erste Quartal ge­zeigt, dass sich das kräftige Wachstum aufrechterhalten lässt. Delivery Hero werde ihre Marktstellung weiter ausspielen und durch strategische Investitionen verbessern.

Gegründet wurde das in Berlin ansässige Unternehmen vor zehn Jahren. Größte Aktionäre sind der südafrikanische Naspers-Konzern mit 24,5% und der Assetmanager Baillie Gifford mit 9%. Zuletzt sorgte Delivery Hero mit der überraschenden Ankündigung für Aufsehen, auf den deutschen Heimatmarkt zurückzukehren. Das führte zu einem empfindlichen Kursrückschlag. Investoren befürchten nämlich eine Wiederauflage des kräftezehrenden Ringens um Kunden und Marktanteile mit dem Hauptwettbewerber Lieferando, der zu Just East Takeaway.com gehört. Delivery Hero hatte ihr Deutschlandgeschäft im Dezember 2018 für knapp 1 Mrd. Euro an Takeaway verkauft.

Konkurrenz für Gorillas

Anders als damals will Delivery Hero jetzt über ihre App nicht nur zubereitete Mahlzeiten verkaufen, sondern auch Lebensmittel, Haushaltsprodukte und Medikamente. Das Vorhaben erfordert hohe Investitionen, was zu jahrelangen Verlusten in Deutschland führen dürfte. Östberg rechnet mit einem Investitionszeitraum von zehn bis 15 Jahren, um an die Spitze zu gelangen. Dabei konkurriert der Konzern künftig nicht nur mit Lieferando, sondern auch mit rasant wachsenden Liefer-Start-ups wie Gorillas oder Flink.

Den operativen Verlust in diesem Jahr, gemessen am adjustierten Ebitda, siedelt das Management zwischen 1,5 und 2% des GMV an. Umgerechnet in absolute Beträge ergibt die Prognose ein Minus zwischen 465 Mill. und 680 Mill. Euro. Östberg macht geltend, dass im Ausblick ergebniswirksame Investitionen von 550 Mill. Euro eingearbeitet seien. Seine Schlussfolgerung: Das bestehende Geschäft bewegt sich nahe am operativen Break-even.