Rohstoffmärkte

Dem globalen Uranmarkt drohen Turbulenzen

Im Förderland Niger könnte dem Putsch ein Krieg folgen, der Folgen für Europa und insbesondere Frankreich hätte. Als unsicherer Kantonist gilt auch Kasachstan. Das Land ist der mit Abstand wichtigste Produzent des Brennstoffs für Kernkraftwerke.

Dem globalen Uranmarkt drohen Turbulenzen

Dem globalen Uranmarkt drohen Turbulenzen

Preisniveau bereits gestiegen – Im wichtigen Lieferland Niger steht ein Krieg bevor – Auswirkungen für Frankreich – Marktführer Kasachstan gilt als instabil

Dem globalen Uranmarkt drohen erhebliche Turbulenzen. Im Förderland Niger könnte dem Putsch ein Krieg folgen, der Auswirkungen für Europa und insbesondere Frankreich hätte. Als unsicherer Kantonist gilt auch Kasachstan. Das Land ist der mit Abstand wichtigste Produzent des Brennstoffs für Kernkraftwerke.

ku/wü Frankfurt/Paris

Der Umsturz in dem afrikanischen Sahel-Staat Niger hat ein Schlaglicht auf den Weltmarkt von Uran geworfen, der durch steigende Preise und nun auch noch durch geopolitische Auseinandersetzungen zwischen Ost und West sowie zwischen den Industrieländern als Verbrauchern und dem globalen Süden als Rohstoffproduzent gekennzeichnet ist. Nun droht aktuell auch noch ein offener Krieg in der Sahelzone, indem es zuallererst um den Machterhalt Frankreichs in der Region und um die Sicherstellung der Energieversorgung Frankreichs und Europas geht.

Derzeit wird Uran zu rund 56 Dollar pro Pfund gehandelt. Dabei handelt es sich um einen geschätzten Durchschnittspreis, denn der Markt ist durch bilaterale Handelsbeziehungen gekennzeichnet und relativ intransparent. Einen organisierten und womöglich gar börsengestützten Handel gibt es nicht. Gegenüber dem Frühjahr, als das Pfund des Atombrennstoffs noch rund 50 Dollar kostete, gibt es aktuell einen Preisanstieg um rund 10% – wobei die Auswirkungen der Niger-Krise dabei noch gar nicht erfasst sind. Im Jahr 2020 war der Uranpreis sogar nur halb so hoch. Als Preistreiber erwiesen sich produktionsbedingte Ausfälle während der Coronavirus-Pandemie, die Unruhen in dem wichtigsten Produzentenland Kasachstan Anfang 2022, aber auch ein deutlich verstärktes Interesse an Kernenergie als einer Energiequelle mit weitaus weniger CO2-Emissionen.

Weltweit sind derzeit 436 Atomreaktoren in Betrieb. Sie benötigen gemäß Daten des Jahres 2021 ungefähr 62.496 Tonnen des Brennstoffs Uran pro Jahr. Die weltweite Minenproduktion deckt aber mit im Jahr 2022 ziemlich genau 48.888 Tonnen nur 78% dieses Bedarfs. Der Rest stammt aus strategischen Reserven von Staaten und Versorgern, der Wiederaufbereitung von Brennstäben, aber auch aus den Sprengköpfen ausrangierter Atomraketen. Grundsätzlich ist Uran also knapp und Lieferausfälle haben das Potenzial, die Preise deutlich in die Höhe zu treiben. Höhere Preise sind eigentlich auch erforderlich, um die weltweite Uranproduktion wieder anzukurbeln. Im Jahr 2013 beispielsweise lag sie mit noch 59.331 Tonnen sehr viel höher. Die Knappheit hat noch eine weitere mögliche Folge: Staaten, die wie beispielsweise Frankreich zur Energieversorgung in hohem Maße auf Atomenergie gesetzt haben, könnten sich veranlasst sehen, auch extreme Maßnahmen zu ergreifen, um die Versorgung sicherzustellen.

Anfang 2022 hatte es bereits nach einer regelrechten Katastrophe für den Uranmarkt ausgesehen. Im Kasachstan brachen Unruhen aus, die Regierung wurde gestürzt. Die Produktion und der Export von Uran waren aber zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Wäre es zu einem kompletten Ausfall der kasachischen Uranproduktion gekommen, wären dem Weltmarkt gleich 43% der Minenproduktion entzogen worden. Bei einem längeren Bürgerkrieg und Ausfall der Exporte hätten weltweit also Kernkraftwerke abgeschaltet werden müssen.

Was Niger betrifft, so ist dessen Bedeutung für den Weltmarkt mit 2022 rund 2.020 produzierten Tonnen Uran, dies sind 4% der weltweiten Minenproduktion, zwar deutlich geringer. Aber angesichts des Defizits auf dem Weltmarkt ist die Bedeutung des Niger nicht zu unterschätzen. Zudem ist das Land für einzelne Abnehmer wie Frankreich von größerer Prominenz, was die Sahelzone zu einem Pulverfass macht. Außerdem soll Niger künftig zu einem wichtigen Transitland für Erdgas werden. Eine geplante Pipeline soll Erdgas aus Nigeria über Niger und Algerien nach Europa transportieren. Insofern hat der Militärputsch in Niger, der eine zwar demokratisch gewählte, aber mittlerweile im Land sehr unbeliebte, eng mit Frankreich liierte Regierung zu Fall gebracht hat, in den westlichen Ländern und insbesondere Frankreich regelrecht Alarm ausgelöst, zumal sich ähnliche Umstürze vorher bereits in den Nachbarländern Mali, Burkina Faso und Guinea ereignet hatten. Da sich die neuen Militärregierungen offen in Richtung Russland und China orientieren, droht insbesondere Frankreich der komplette Verlust seines Einflusses in der Region. Frankreichs Afrikapolitik breche geradezu zusammen, urteilt der frühere französische Botschafter Gérard Araud.

Nur eine Drohgebärde

Der Anteil von Uran aus dem Niger an dem in den 56 französischen, von EDF betriebenen Atomreaktoren verwendeten Uran beträgt nach Angaben des weitgehend staatlichen französischen Uranproduzenten Orano weniger als 10%. Bei der Drohung der nigerischen Putschisten, kein Uran mehr nach Frankreich zu exportieren, handele es sich um eine Drohgebärde, meinen Beobachter in Paris. Dazu sei es bisher noch nach keinem der Staatsstreiche gekommen, die das Land bereits erlebt habe. Uran sei für den Niger die wichtigste Quelle für Auslandsdevisen vor Öl. Zudem habe die industrielle Präsenz Frankreichs in Mali und Burkina Faso auch nicht großartig gelitten, den zwei anderen Ländern der Region mit Militärregime, in denen die Stimmung bereits ähnlich umgeschlagen ist, mit frankreichfeindlichem und prorussischem Diskurs.

Bereits in wenigen Tagen könnte in der Region aber ein offener Krieg ausbrechen. Zwar schließt Frankreich eine offene Intervention derzeit aus, was angesichts des eklatanten Munitionsmangels der französischen Armee aufgrund der Lieferungen an die Ukraine auch glaubhaft erscheint. Allerdings droht die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas, die aus eng mit Frankreich und den USA kooperierenden Staaten besteht, mit einem gemeinsamen Angriff auf Niger. Die Militärregierungen von Mali, Burkina Faso und Guinea sehen in den Ecowas-Drohungen den Auftakt zu einem neokolonialen Krieg im Auftrag des Westens und drohen, ihre Truppen auf Seiten des Niger einzusetzen. Außerdem könnte sich das militärisch starke Algerien mit seinen ausgeprägten antikolonialen Tendenzen zum Eingreifen veranlasst sehen. Nicht übersehen werden sollte auch, dass das russische Söldnerunternehmen Wagner bereits 10.000 Kämpfer in Mali stationiert haben soll.

Der Orano-Konzern, an dem der französische Staat mit 90%, Japan Nuclear Fuel Limited und Mitsubishi Heavy Industries mit je 5% beteiligt sind, baut seit knapp 50 Jahren Uran im Norden des Niger bei Arlit ab. Die Gruppe ist bei drei Minen Partner der Regierung des Niger. Allerdings ist nur eine in Betrieb, die von Somaïr. Ihre Produktionskapazität beträgt laut dem Geschäftsbericht von Orano 2.000 Tonnen pro Jahr. 2022 wurden dort 2.020 Tonnen gefördert. Die Mine von Akouta wiederum hat ihren Betrieb im Frühjahr 2021 nach 40 Jahren eingestellt. Dort wurden insgesamt 75.000 Tonnen Uran gefördert. Die Uran-Vorhaben der dritten Mine in Imouraren werden auf 200.000 Tonnen geschätzt. Doch laut Beobachtern könnte es noch bis 2028 dauern, bis dort Uran gefördert werden kann. Noch laufen Machbarkeitsstudien. Da die Uran-Konzentration im Gestein niedriger als in Somaïr ist, müsste es mit der sogenannten In-situ-Recovery-Methode gefördert werden, bei der Wasser und Säure in den Boden gepumpt werden. Die Technologie wird bereits in Kanada und Kasachstan angewandt, bisher jedoch nicht in Afrika.

Orano ist auch in Kasachstan und Kanada an Minen beteiligt. In Kasachstan wurden 2022 in der Mine von Katco, die mit einer von 4.000 Tonnen pro Jahr eine der größten der Welt ist, 2.564 Tonnen Uran gefördert. Die Produktionskosten dort sollen laut „Les Echos“ nur die Hälfte der im Niger betragen. In Kanada wurden 2022 in der Mine Cigar Lake 6.938 Tonnen Uran gefördert. In der von Mac Arthur River sollen es in diesem Jahr 5.800 Tonnen sein. Sie hat den Betrieb Ende 2022 nach fünf Jahren Pause wiederaufgenommen. Orano verfolgt weitere Projekte in der Mongolei und Usbekistan, ein anderes in Namibia wurde 2012 stillgelegt. Die Mineralreserven der Lagerstätten von Orano beliefen sich Ende letzten Jahres auf 191.178 Tonnen.

Schaukelpolitik

Zum nächsten Krisenherd für den internationalen Uranmarkt könnte sich nach Ansicht vieler Beobachter Kasachstan entwickeln. Das Land gilt mit Blick auf die Unruhen Anfang 2022 und das starke Gefälle zwischen Arm und Reich als instabil. Zudem versucht sich die Regierung mit einer riskanten Schaukelpolitik zwischen den beiden Machtblöcken Russland/China und USA/EU nach dem Vorbild der ukrainischen Regierung vor 2014, mit der beide Blöcke unzufrieden sein dürften. Während Russland an einer Konsolidierung seines Einflusses interessiert sei dürfte, käme dem Westen der Aufbau Kasachstans zu einem Gegengewicht zu Russland und gegebenenfalls eine Konfrontation mit Russland entgegen. Für den Uranmarkt und die Versorgung der weltweiten Atomkraftwerke könnten die Zeiten somit noch deutlich turbulenter werden, als sie es derzeit schon sind.

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