GASTBEITRAG

Dem Leu droht abermals Abwertungsdruck

Börsen-Zeitung, 30.8.2012 Die sich im Sommer dieses Jahres verschärfenden innenpolitischen Spannungen haben den Wechselkurs des rumänischen Leu aus seinem langjährigen Gleichgewicht gebracht. So koppelte er sich von dem überwiegend günstigen...

Dem Leu droht abermals Abwertungsdruck

Die sich im Sommer dieses Jahres verschärfenden innenpolitischen Spannungen haben den Wechselkurs des rumänischen Leu aus seinem langjährigen Gleichgewicht gebracht. So koppelte er sich von dem überwiegend günstigen regionalen Trend in Mittelosteuropa ab und wertete um mehr als 4,60 Leu pro Euro ab, die schwächsten Notierungen in seiner fast achtjährigen Geschichte. Nachdem sich jedoch abzeichnete, dass das Anfang Juli durch die sozialliberale USL-Regierung initiierte Amtsenthebungsverfahren gegen den konservativen Präsidenten Traian Basescu scheitern würde, setzte im August eine leichte Korrekturbewegung ein. Hauptverantwortlich für die jüngste Erholung zeichnen indessen die Interventionen der rumänischen Nationalbank (NBR), die durch liquiditätsverknappende Maßnahmen die Geldmarktsätze hochtrieb. Neue Runde im MachtkampfDas Risiko einer nur vorübergehenden Entspannung ist hoch, denn mit dem Näherrücken der Parlamentswahlen wohl kommenden Dezember ist bereits die nächste Runde des politischen Machtkampfes zwischen den beiden rivalisierenden politischen Gruppierungen eingeläutet worden. Zudem ist auch der wirtschaftspolitische Kurs der USL – klarer Favorit bei den Parlamentswahlen unter dem sozialistischen Ministerpräsident Victor Ponta – mit Unsicherheiten behaftet. Insbesondere deswegen rechnen wir erstmals mit zähen Verhandlungen bei der anzunehmenden Erneuerung des im Frühjahr 2013 auslaufenden IWF-Programms und daher mit einem wiederaufflammenden Abwertungsdruck auf den Leu. Trüber FundamentalausblickErschwerend kommt hinzu, dass sich die politischen Unsicherheiten zu einem ohnehin trüben Fundamentalausblick gesellen. Die Verunsicherung durch die EWU-Verschuldungskrise hält den Konjunkturausblick Rumäniens gedämpft, da auf absehbare Zeit mit einer eher verhaltenen Exportnachfrage aus der EU und einem nur allmählich zunehmenden Risikoappetit internationaler Direktinvestoren zu rechnen ist.Wenig zuträglich sollte auch eine erneute Eskalation der europäischen Verschuldungskrise sein, die wir mit der Rückkehr Griechenlands in das Scheinwerferlicht gegen Ende dieses Jahres erwarten. Ausgehend von aktuell knapp 4,50 Leu pro Euro halten wir daher zum Jahresende einen Rückfall auf 4,65 für wahrscheinlich, wobei auch für die Folgequartale ein nur moderates Erholungspotenzial zu erkennen ist. Unsere Prognosen basieren auf der Annahme, dass die NBR weder ihre Glaubwürdigkeit noch ihre Währungsreserven aufs Spiel setzen wird. Letztere stehen zwar mittlerweile auf komfortablen Niveaus, sind aber ursprünglich nicht dafür gedacht, politische Machtkämpfe zu finanzieren. “Managed Float”-RegimeDie Möglichkeit der NBR, Einfluss auf den Wechselkurs zu nehmen, basiert auf dem “Managed Float”-Wechselkursregime, dessen Geburtsstunde mit der des Leu zusammenfällt. Als der rumänische Leu im Rahmen der Währungsreform vom 1. Januar 2005 (zwei Jahre vor dem EU-Beitritt) durch den neuen rumänischen Leu in einem Verhältnis von 1 : 10 000 ersetzt worden war, verschrieb sich die NBR dem Primärziel der Preisstabilität (“inflation targeting”). Die Stabilität der heimischen Währung ist als nachgelagertes Ziel deklariert worden. Abgesehen von direkten Devisenmarktinterventionen wird die NBR zeitweise – wie zuletzt im Juli und August dieses Jahres – auch am Geldmarkt aktiv, wo sie über liquiditätssteuernde Maßnahmen die Zinsbasis der Währung zu beeinflussen sucht. Beide Instrumente dienen der Glättung allzu starker Wechselkursschwankungen.Insgesamt blickt die NBR auf ein erfolgreiches Krisenmanagement zurück. Ausgelöst durch Lehmans Insolvenz im Herbst 2008 fiel die Währung erdrutschartig auf rund 4,30 Leu pro Euro, ein Wertverlust von ca. 20 %. Dass sich die Befürchtungen, der Leu könnte noch weiter an Boden verlieren, nicht bewahrheitet haben, ist vor allem den Hilfsprogrammen von IWF/EU bzw. der Erfüllung der entsprechenden Auflagen (vor allem Haushaltskonsolidierung) zu verdanken. So wurde die schwindende Stützung für die Lokalwährung infolge der seit 2009 immer stärker abebbenden Zuflüsse ausländischen Privatkapitals (insbesondere Direkt- und Portfolioinvestitionen) durch multilaterale Kredite kompensiert. Illiquider MarktBei der erfolgreichen Einschränkung des Währungsabwertungspotenzials hatte die NBR aber auch ihren Anteil, denn sie begrenzte durch regelmäßige Marktinterventionen die Anreize für spekulative Attacken. So gelang es bis zuletzt, die Währung in einer relativ engen Schwankungsbandbreite von 4,10 bis 4,30 Leu pro Euro zu halten. Die Erfolgsgeschichte der NBR hängt indessen auch mit dem vergleichsweise unreifen Entwicklungsstadium des rumänischen Devisenmarktes zusammen. So zeigen Transaktionen auf eher kleinen, illiquiden Märkten mit wenigen (internationalen) Marktteilnehmern eher Wirkung.Wie die folgenden Eckdaten belegen, ist dies in Rumänien der Fall: Auf dem Euro-Leu-Spot-Markt werden im Tagesschnitt etwa 325 Mill. Euro umgesetzt, während auf dem ungarischen Forint-Markt täglich zwischen 1 und 2 Mrd. Euro zusammenkommen. Nichtsdestoweniger existiert auch ein Forward- und Swap-Markt (täglicher Umsatzschnitt bei etwa 400 Mill. Euro), wobei sich die jeweilige Marktliquidität ab Laufzeiten von über sechs Monaten zunehmend verdünnt. Eine Renaissance (ausländischer) Direktinvestitionen und Privatisierungen – beides durch die globale Finanzkrise unterbrochen – wäre eine Grundvoraussetzung für die Weiterentwicklung der Märkte. Diese werden erst dann einen ausreichenden Grad an Liquidität und Instrumenten anbieten können, wenn sich die Leu-Nachfrage im Zuge von regelmäßigen Kapitalströmen nachhaltig erhöht. Einigkeit über Euro-BeitrittWas schließlich die Euro-Beitrittsperspektive angeht, so herrscht auf gesellschaftlicher und politischer Ebene Einigkeit in Rumänien. Das offizielle Beitrittsziel 2015 halten wir aber für unrealistisch. Auch wenn man bereits in der mittleren Frist die Maastricht-Kriterien erfüllen sollte, wird das Ausmaß an realer Konvergenz zu den Kerneurostaaten mit Sicherheit unzureichend bleiben. Man wird mehr Zeit benötigen für Fortschritte bei Produktivität und internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Erst dann werden die Vorteile, vor allem jene, die mit dem hohen Euroisierungsgrad der Volkswirtschaft (Euro-Fremdwährungskredite!) in Verbindung stehen, die Kosten des Euro-Beitritts überwiegen. So wird Rumänien wohl in diesem Jahrzehnt auch weiterhin über eine eigenständige Geldpolitik verfügen, sodass währungsstützende Interventionen, aber auch kompetitive Abwertungen zur Absorption möglicher Schocks eine Option bleiben – ein unermesslicher Vorteil gegenüber den Peripherieländern in der Eurozone.