Den "einen fairen Preis" gibt es nicht

Marge der Emittenten nur schwer prognostizierbar - Optionsscheine sind im deutschen Markt mitunter enger gestellt als die Basiswerte

Den "einen fairen Preis" gibt es nicht

Der Zusammenbruch der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 hat den Zertifikatemarkt in Mitleidenschaft gezogen. Durch die Insolvenz waren insbesondere auch Zertifikate in Deutschland betroffen und vielen Anlegern wurden somit erst die Risiken der strukturierten Derivate bewusst. Der Ausfall des Emittenten hat in der Folge auch zu Vorwürfen von weiten Teilen der Öffentlichkeit geführt, dass strukturierte Produkte wie Zertifikate und Hebelprodukte intransparent und zu teuer seien. Guter Ansatz, mehr nichtTatsächlich existiert dieser Vorwurf, seit es Derivate gibt. Erst in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts beruhigten sich die Gemüter etwas, da Fischer Black und Myron Scholes mit ihrer Formel zur Berechnung von Optionspreisen die Preisbildung von komplexen Finanzprodukten verständlicher machten. Die Black-Scholes-Formel war schnell akzeptiert, weil sie suggerierte, dass es einen fairen Preis für Derivate gibt. Mit der Entwicklung komplizierterer Produkte wurde allerdings klar, dass auch die Black-Scholes-Formel an ihre Grenzen stößt. Sie berücksichtigt beispielsweise nicht die Kosten der Produkte und unterstellt in ihrer Grundform vereinfachend, dass künftige Renditen einer Normalverteilung unterliegen, was in der Praxis einfach nicht der Fall ist.Nach dem Ausfall der Produkte von Lehman Brothers ist nicht zuletzt von den Regulationsbehörden eine höhere Transparenz bei den strukturierten Produkten gefordert worden. Die Diskussion konzentriert sich vor allem auf einen Punkt: Der “faire Wert” eines Produktes und damit die Marge der Bank (nicht nur die des Vertriebs) soll offengelegt werden. Am Ende des Tages muss gefragt werden, ob es wirklich einen Mehrwert für den Anleger bringt. Aufgrund der Krise ist der Druck jedoch so groß geworden, dass sich die Branche diesem Thema nicht entziehen kann.Die Suche nach dem Heiligen Gral des “fairen Preises” stößt aber sehr schnell an ihre Grenzen. Das zeigt das Beispiel eines Call Warrant bzw. Kauf-Optionsscheins, der von einem Anleger gekauft wird. Der Kunde profitiert, wenn der Warrant am Ende der Laufzeit “im Geld” landet. Doch wie verdient die Bank an diesem Geschäft? Die Bank kann natürlich eine ungesicherte Gegenposition zum Kunden einnehmen und hoffen, dass dieser falsch liegt. Das lässt einerseits das Risikomanagement einer Bank nicht zu. Andererseits ist das natürlich kein skalierbares Geschäftsmodell, denn der Emittent muss seine Risiken neutralisieren können. Das Absichern über eine andere Bank (“Back Hedging”) ist dabei für ein einzelnes Institut durchaus eine Alternative, nicht jedoch für die Branche als Ganzes. Das Verschieben der Risiken von einer Bilanz in eine andere bringt diese nicht zum Verschwinden. Der Schlüssel zur Skalierbarkeit liegt darin, die entstehenden Risiken im Handelsbuch zu neutralisieren, indem die Bank beispielsweise eine Gegenposition im Basiswert einnimmt. Entscheidend ist nun, dass durch die Absicherungsgeschäfte im Basiswert Handelsgewinne oder -verluste entstehen.Die Gewinne und Verluste im Absicherungsgeschäft werden durch entsprechende Gewinne und Verluste im ausstehenden Warrant tendenziell ausgeglichen. So kommt in der Summe eine (annähernd) risikoneutrale Position des Emittenten zustande – und damit ein skalierbarer Derivatemarkt.Die voraussichtliche Intensität der Absicherungsgeschäfte und die resultierende Prognose für das Handelsergebnis sind dabei in der impliziten Volatilität zusammengefasst, also der über die Laufzeit erwarteten Schwankungsbreite des Basiswertes. Um es deutlich zu formulieren: Der faire Wert zu einem bestimmten Zeitpunkt hängt jeweils von Erwartungen über die zukünftigen Bewegungen im Basiswert ab.Es besteht zwar die Möglichkeit, durch die Betrachtung aller an der Börse gelisteten Warrants und deren Preise auf einen Basiswert über Ausübungspreise und Laufzeiten hinweg eine Volatilitätsoberfläche (“Vola Surface”) zu berechnen. Doch auch dieses Vorgehen führt nicht zu dem gewünschten Ergebnis des fairen Wertes. Denn die hierdurch ermittelte implizite Volatilität gibt nur die erwartete Volatilität des Basiswertes über einen bestimmten Zeitraum an. Die Erwartungen an die Entwicklung des Basiswertes können im Einzelnen jedoch stark differieren, die Vola Surface des Gesamtmarktes zeigt aber nur deren Durchschnitt.Es spielen aber noch weitere Faktoren eine zentrale Rolle, die wenig direkten Bezug zum Basiswert haben, wie etwa der Firmensitz des Emittenten, der die Höhe der Besteuerung der Dividenden des Basiswertes bestimmt, dessen Risikoappetit oder dessen Rechenmodell. Starker WettbewerbDie Finanzindustrie ist aber genauso wie die Automobilindustrie oder die Unterhaltungselektronikbranche einem starken Wettbewerb ausgesetzt, was preisregulierend sein kann. Bei gleichen Produkten konkurrieren auch die Emittenten von Finanzprodukten untereinander, was auch Auswirkungen auf den Preis haben kann. Das erlaubt es dem Anleger, bei derivativen Produkten mit gleichen Ausstattungsmerkmalen das Papier auszusuchen, das den für ihn günstigsten Preis hat. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass dieser Wettbewerb nur bei den typischen Flow-Produkten funktioniert, die einheitliche Ausstattungsmerkmale haben und somit vergleichbar sind. Mit anderen Worten: Je komplexer das Produkt, also je mehr Annahmen getroffen werden müssen, desto weiter gehen die Preise auseinander. Funding wird nun eingepreistWurde der Anleger vor der Insolvenz von Lehman Brothers im Jahr 2008 nicht für ein erhöhtes Ausfallrisiko des Emittenten belohnt, so ist das heute anders. Immer mehr Banken preisen ihr Funding mit in die Kurse ein. Damit sind die Produkte von Emittenten mit schlechter Bonität häufig preiswerter oder bieten bessere Konditionen als die Papiere von Emittenten mit besserer Kreditwürdigkeit. Diese grundsätzlich positive Entwicklung erschwert zusätzlich die Bestimmung eines fairen Wertes eines Produktes.Preisbeeinflussend ist auch noch das sogenannte Gap-Risiko, gegen das sich Emittenten nur schwer absichern können. Das Gap-Risiko beschreibt die Gefahr, dass außerhalb der Handelszeiten des Basiswertes publizierte Neuigkeiten dazu führen können, dass der Basiswert bei der nächsten Handelseröffnung deutlich oberhalb oder unterhalb des vorherigen Handelsschlusses gehandelt wird. Da solche Ereignisse schwer vorhersehbar sind, ist eine Absicherung entsprechend schwierig. Die Emittenten sichern sich unterschiedlich gegen solch unvorhersehbare Ereignisse ab. Letztlich fließt aber auch der Preis für diese Absicherung zu unterschiedlichen Zeitpunkten in die Preisbildung mit ein.Der Verdienst der Bank aus dem Geschäft mit strukturierten Produkten lässt sich nicht so einfach errechnen wie gedacht. Die potenzielle Rendite steht erst am Ende der Laufzeit fest, nämlich wenn das Ergebnis der Absicherungsgeschäfte, das Handelsergebnis aus dem Marketing und die Settlementzahlung für ein ausstehendes Produkt feststehen, und ist keineswegs garantiert. Selbst ein guter Emittent kann im institutionellen Geschäft meist nur etwa 50 % bis 60 % einer so eingepreisten Marge auch tatsächlich realisieren.Zwar kann sich ein Emittent bei aktiv gehandelten Derivaten auch über die Geld-Brief-Spanne finanzieren. Allerdings gilt auch hier, dass die Profitabilität von strukturierten Produkten, dem oben erwähnten Warrant oder auch Knock-out-Produkten erst nach Verfall der Option abschließend ausgewertet werden kann.Die Marge des Emittenten ist demnach bei Auflegung des Produktes nur schwer oder gar nicht prognostizierbar. Zudem kann aufgrund von Erwartungen und der Preis- sowie Risikomodelle der Wert eines Warrant oder einer Struktur von Emittent zu Emittent variieren.Bei der Bewertung von Produkten muss allerdings auch die Vertriebsprovision berücksichtigt werden. Wird ein Produkt im Primärmarkt vertrieben, kann es üblich sein, dass eine Vertriebsprovision für die Beratungsleistung gezahlt wird. Diese Provision wird dann meist im Produktpreis berücksichtigt. Um nun aber zu verhindern, dass ein Produkt mit einer Vertriebsprovision in Höhe von 1 % bei der Eröffnung am ersten Handelstag im Sekundärmarkt nur noch mit 99 % gepreist wird und Anleger quasi über Nacht einen Verlust von 1 % erleiden, wird die Vertriebsprovision häufig über einen längeren Zeitraum sukzessive amortisiert. Daher gibt es auch Unterschiede bei den Produkten mit Vertriebsprovision und Papieren ohne Vertriebsprovision wie beispielsweise bei den sogenannten Flow-Produkten. Zusammenfassend ist zu sagen, dass es “den einen” fairen Preis für ein strukturiertes Produkt über alle Emittenten hinweg nicht gibt. Es gibt vielmehr eine Spanne fairer Preise, die den unterschiedlichen Modellen, Erwartungen und Voraussetzungen, unter denen die Erwartungen geformt werden, Rechnung trägt. Zusammengehalten wird diese Spanne durch den Wettbewerb im Markt – und dieser kann sehr scharf sein. Mitunter sind im deutschen Markt die Optionsscheine enger gestellt als der Basiswert! Sehr transparentes ProduktInsgesamt gehören strukturierte Wertpapiere schon heute dank der Initiativen von Verband, Banken und Börsen wohl zu den transparentesten Finanzprodukten in Deutschland. Daran ändert die fehlende Möglichkeit, Margen anzugeben, nichts. Bei der Diskussion über Transparenz und Produktkosten sollten die Regulatoren den Mehrwert, den strukturierte Produkte dem Anleger liefern, nicht aus den Augen verlieren. Dieser ist zweifelsohne gegeben – sonst wären in strukturierten Produkten weltweit nicht bis zu 1 Bill. Euro investiert.