TECHNISCHE ANALYSE

Der andere Blick auf den Dax

Von Stephen Schneider *) Börsen-Zeitung, 14.8.2019 Unter den weltweit bedeutenden Aktienindizes ist der Dax ein Exot: Er ist ein Performanceindex. Üblich sind ansonsten Kursindizes. Die Dividenden sorgen dabei für einen Kursabschlag der im Index...

Der andere Blick auf den Dax

Von Stephen Schneider *)Unter den weltweit bedeutenden Aktienindizes ist der Dax ein Exot: Er ist ein Performanceindex. Üblich sind ansonsten Kursindizes. Die Dividenden sorgen dabei für einen Kursabschlag der im Index vertretenden Einzelwerte, die über diesen Umweg dann auch das Aktienbarometer drücken. Der Dax bereinigt diese Abschläge. Daher lässt er sich nicht ohne weiteres mit den anderen europäischen Indizes oder dem Euro Stoxx 50 selbst vergleichen. Er wird durch die “reinvestierten” Dividenden immer einen Vorteil besitzen, der sich über mehrere Jahre in einem deutlichen Spread auswirken kann. Im aktuellen Zinsumfeld macht eine Dividendenstrategie – für 2020 wird eine Dax-Rendite von etwa 3,5 % erwartet – sicherlich Sinn, wir wollen aber den Sinn für den inneren Wert des Dax schärfen und haben im Chart daher den eher unbekannten Kursindex dargestellt. Dieser notiert nicht bei etwa 11 600, sondern bei ca. 5 200 Zählern. Die Punktzahl ist dabei aber eher unerheblich, es geht vielmehr um die Tendenz. Seit 2015 seitwärtsIn diesem Zusammenhang fällt auf, dass der Kursindex sein Hoch aus dem Jahr 2015 nur marginal und somit nicht signifikant übertroffen hat. Letztendlich befindet er sich seitdem in einer zwar von starken Schwankungen geprägten, letztlich aber seitwärts gerichteten Bewegung. Nach den markanten Abgaben im Jahr 2018 wirkt auch die freundliche Bewegung, die zur Jahreswende gestartet wurde, nicht so dominant wie beim Performanceindex. Letztlich wurde nur die Hälfte der zuvor generierten Verluste wieder eliminiert. Ein nicht unerheblicher Wert. Hier aber liegt die Krux bei der Bewertung der aktuellen Konstellation, denn die Identifizierung bzw. die Bestimmung dieser Aufwärtsbewegung ist von recht hoher Bedeutung für die weitere Entwicklung des deutschen Aktienmarkts. Dabei stellt sich die Frage, ob es sich um den ersten Teil einer neuen, eigenständigen und mit Blick auf den langfristigen Zeithorizont ausgerichtete Trendbewegung handelt, oder ob die Gewinne lediglich eine Erholung und damit eine Antwort auf die 2018 generierten Verluste darstellt.Für die Beantwortung wollen wir uns zunächst auf das kurzfristige Geschehen konzentrieren und einen Blick auf den oberen Indikator, den Stochastik-Oszillator werfen. Dieser versucht die zyklischen Schwankungen, die in der Regel etwa vier bis acht Wochen andauern, abzugreifen. Durch das Drehen im oberen Bereich nach der ersten Juli-Woche wurde hier ein Verkaufssignal generiert. Dieses würde aufgehoben, wenn die Linien nun wieder nach oben drehen und sich kreuzen. Nicht selten wird dieses Signal dann im Bereich der unteren Linie, die den Übergang zum sogenannten “überverkauften” Bereich anzeigt, eingeleitet. Anziehende Kurse in den nächsten Handelstagen wären daher wichtig. Bleiben sie aus, wird der Indikator vermutlich weiter abfallen und tief in den unteren Bereich eintauchen. Die Schwächephase dürfte dann insgesamt acht Wochen anhalten. Eine solche Bewegung hätte aber wiederum Auswirkungen auf die charttechnische Konstellation, denn die Kurse können zurzeit ein mögliches Doppeltop ausprägen. Dieses auch “M-Formation” genannte Kursmuster könnte bei Vollendung – dafür ist ein signifikantes Unterbieten des letzten Tiefs bei 5 164 Zählern (entspricht ca. 11 500 Dax-Punkten) – für weiteren Druck sorgen. Das aus dieser Struktur resultierende Abwärtspotenzial würde den Kurs etwa bis 4 730 (knapp 10 600) drücken. Damit lässt sich festhalten, dass eine Schwäche in den nächsten Tagen eine Art Kaskadeneffekt auslösen könnte, der für weitere Verluste bis zum Spätherbst sorgen dürfte.Sollte dieses Szenario in den nächsten Sitzungen Gestalt annehmen, sehen wir den Dax anschließend allerdings recht gut unterstützt. Der unten abgetragene MACD, der das langfristige Geschehen abgreifen soll, zeigte im Frühsommer bereits ein ansteigendes Wellenhoch. Bei einem derartigen Rücksetzer sollten die Linien dann auch über dem letzten Tief drehen. Meist besitzt der Indikator eine deutliche Vorlaufzeit und prägt eine solche positive Divergenz zum Kursverlauf aus, bevor die Kurse im langfristigen Bild wieder anziehen. Zudem würde mit einer derartigen (überschaubaren) Abwärtswelle ein übergeordnetes Muster abgeschlossen und eine langfristige Konsolidierungsphase folglich beendet werden. Die negativen saisonalen Einflüsse, die darüber hinaus im Spätherbst abnehmen, könnten dann auch ihren Beitrag zu einer Stabilisierung des Dax beisteuern.Die Bullen besitzen jedoch die Chance, dass die zwischenzeitliche Schwäche noch abgewendet werden kann. Die kleineren Verletzungen der 200-Tage-Linie würden dann nicht stärker ins Gewicht fallen, und eine zeitnahe Gegenbewegung sollte einsetzen. Die wahrscheinlichste Folge mit Blick auf das übergeordnete Geschehen wäre dann allerdings nur eine Seitwärtsbewegung, die – auf Basis der Erfahrungswerte aus der Vergangenheit – eine Schwankungsbreite von etwa 10 % aufweisen dürfte.Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Entwicklung der nächsten Tage über die Tendenz bis zum Spätherbst entscheiden wird. Dabei müssen wir erkennen, dass der Dax anfangs generierte Gewinne in den einzelnen Sitzungen meist wieder abgibt und die Bullen keinen Zugriff auf das Geschehen bekommen. Damit ist ein Rücksetzer in der Größenordnung von etwa 8 % in den kommenden Wochen das wahrscheinlichste Szenario. *) Stephen Schneider ist technischer Analyst bei der DZ Bank.