Der Elefant Italien kehrt zurück
Kreditwürdig
Der Elefant Italien kehrt zurück
Von Daniel Lenz*)
Italien ist seit Jahren eines der Sorgenkinder am Finanzmarkt. Nach dem Wahlsieg der nationalistischen Fratelli d’Italia im vergangenen Herbst waren die Befürchtungen groß, dass italienische Staatsanleihen (BTPs) unter Druck geraten könnten. Der Ausverkauf blieb aber aus, auch weil Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wesentlich konzilianter auftrat als zuvor angenommen. Ein Jahr später ist die Erleichterung neuen Sorgen gewichen. Nachdem die Regierung die Finanzmärkte bereits im August mit der überraschenden Ankündigung einer Bankensteuer auf dem falschen Fuß erwischt hatte, musste sie zuletzt ihre Haushaltsplanungen für dieses und die kommenden Jahre korrigieren. Italien wird sich deutlich höher verschulden als ursprünglich geplant. Angesichts der Größe und Bedeutung Italiens für den europäischen Anleihemarkt muss man konstatieren: Der Elefant im Raum kehrt zurück.
Die Gründe für die höhere Neuverschuldung liegen nicht nur in einem geringeren Wachstum als erwartet, sondern auch in den umfangreichen Ausgaben wie für Subventionen energetischer Sanierungen, die teilweise vom Staat mit bis zu 110% (!) der Kosten bezuschusst wurden. Zwar geht die Entscheidung zugunsten vieler dieser teuren Ausgabenprogramme noch auf die Regierung unter Premier Giuseppe Conte zurück, Melonis Rechtsbündnis plant ihrerseits aber eher weitere steuerliche Entlastungen anstatt Belastungen für Unternehmen und private Haushalte.Im Ergebnis wird es Italien ohne zusätzliche Sparanstrengungen nicht gelingen, seine Schuldenstandsquote in den kommenden Jahren zu reduzieren. Im Gegenteil. Zwei wesentliche Faktoren, die Italien gar nicht unmittelbar beeinflussen kann, werden sich zusätzlich ungünstig auswirken. Zum einen ausgerechnet die sinkende Inflation. Da die Verschuldung im Verhältnis zum nominalen und nicht etwa zum realen Bruttoinlandsprodukt (BIP) angegeben wird, wirkte sich die hohe Inflation letztes und dieses Jahr positiv auf die Entwicklung der Schuldenstandsquote aus. Mit der nunmehr aber wieder sinkenden Inflation ebbt der Effekt ab. Bei einer gleichbleibenden oder auch moderat sinkenden Neuverschuldung droht Italiens Schuldenstandsquote sogar wieder zu steigen.
Aufwendungen steigen
Zum anderen wirken sich die höheren BTP-Marktrenditen fiskalisch immer stärker aus. Der Grund liegt in einer durchschnittlichen Restlaufzeit aller ausstehenden BTPs von etwa sechs Jahren. Dies führt dazu, dass steigende Marktrenditen aus der Sicht des Finanzministers erst nach und nach zum Tragen kommen und auslaufende Bonds teurer refinanziert werden müssen. Die Aufwendungen für den Schuldendienst werden in den kommenden Jahren somit auch dann steigen, wenn die Marktrenditen nicht weiter zulegen oder sogar wieder leicht fallen.
Die Aussichten für Italiens Staatsfinanzen sind somit alles andere als rosig, was zunehmend auch Investoren beunruhigt. Der Renditeunterschied (Spread) zwischen zehnjährigen italienischen und deutschen Staatsanleihen ist zuletzt auf über 200 Basispunkte gestiegen, der höchste Stand seit Anfang Januar dieses Jahres. Noch marktrelevanter ist allerdings die Entwicklung der zehnjährigen BTP-Rendite. Sie ist für die längerfristigen Refinanzierungskosten Italiens maßgeblich. Da die Entwicklung der Schuldenstandsquote von vielen Einflussgrößen abhängig ist, gibt es keine feste Marke für die Staatsanleiherenditen, ab welcher man mit Sicherheit sagen könnte, dass die langfristige Schuldentragfähigkeit bedroht sei.
Umso mehr blickt der Markt mit Argusaugen auf Italien und befindet sich nicht selten in einem Zwiespalt. Einerseits bieten BTPs eine deutlich höhere Verzinsung als etwa Bundesanleihen, die Investoren auch gerne vereinnahmen. Andererseits verfolgen die Marktteilnehmer die BTP-Renditeentwicklung genau, um keine größeren Kursverluste zu riskieren, wenn die Risikoaufschläge wegen wachsender Sorgen um die Schuldentragfähigkeit steigen.
Die Unsicherheit dürfte auch in den kommenden Wochen weiter anhalten, da Italiens Bonitätsnote gleich bei mehreren Ratingagenturen auf dem Prüfstand steht. Fitch hat sich bereits kritisch über Italiens Haushaltspläne geäußert. Allerdings hat die Agentur Italien mit der Note „BBB“ (stabil) bislang noch vergleichsweise solide bewertet. Ungleich kritischer ist die Agentur Moody’s, die Italien seit geraumer Zeit mit der schlechtesten Note („Baa3“) innerhalb der ersten Investment-Liga bewertet. Seit Sommer letzten Jahres ist zudem noch der Ratingausblick negativ. Damit ist die Gefahr einer Ratingherabstufung und der mögliche Abstieg Italiens aus der ersten Investment-Liga greifbar. Moody’s wird seine Ratingentscheidung am 17. November verkünden.
Für Sorgenfalten sorgt auch der anhaltende Streit innerhalb der Eurogruppe zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Der Pakt wurde coronabedingt 2020 ausgesetzt. Ohne eine Einigung auf einen reformierten Pakt treten die alten Regeln Anfang 2024 wieder in Kraft. Die EU-Kommission wäre dann gezwungen, Italien Sparauflagen zu erteilen, die allerdings neue politische Spannungen zwischen Rom und Brüssel erzeugen dürften. 2018 war schon einmal der Streit zwischen der Kommission und der damals panpopulistischen Regierung in Rom eskaliert und sorgte für massive Spreadausweitungen.
EZB noch fester Anker
Angesichts der ansonsten vielen Unsicherheitsfaktoren ist die EZB bislang noch ein fester Anker für Italien. Im Rahmen des Anleihekaufprogramms PEPP, das zu Beginn der Pandemie aufgelegt wurde, reinvestiert die Notenbank nach wie vor zurückfließende Gelder aus Bondfälligkeiten am Anleihemarkt in Milliardenhöhe. Italien profitiert von dem Programm besonders, da im Durchschnitt der vergangenen Monate auch beträchtliche Zuflüsse aus fälligen Anleihen anderer Euro-Staaten in BTPs wiederangelegt wurden. Vor dem Hintergrund der gestiegenen Leitzinsen passt ein Anleihekaufprogramm, das geldpolitisch expansiv wirkt, allerdings nicht mehr in die Zeit. Einige EZB-Ratsmitglieder plädieren bereits öffentlich für ein Ende der PEPP-Reinvestitionen, die ursprünglich bis Ende 2024 fortgesetzt werden sollten. Allerdings fürchtet man auch hier die negativen Marktauswirkungen, vor allem auf BTPs.
Ein Ausweg könnte in der Aktivierung des jüngsten und bislang noch gar nicht zum Einsatz gekommenen EZB-Programms liegen: TPI (Transmission Protection Instrument). Das Programm ermöglicht es der EZB, Staatsanleihen zu kaufen, wenn die Spreadentwicklung fundamental nicht gerechtfertigt ist. Allerdings liegt hier genau das Problem: Die aktuelle Marktunsicherheit ist im Fall Italiens durchaus fundamental gerechtfertigt. Die Aktivierung von TPI würde zudem das Bemühen der Regierung voraussetzen, die fiskalischen Aussichten durch Sparanstrengungen zu verbessern. Das bringt uns an den Anfang und den Kern des Problems: Italiens Wirtschafts- und Fiskalpolitik. Allerdings liegt hier auch eine Chance. Da die Marktstabilisierungsmechanismen der EZB stärker und etablierter als in früheren Jahren sind, lassen sich die Marktauswirkungen begrenzen. Es bedarf aber klarer zusätzlicher Anstrengungen Roms, um die Schuldenstandsquote längerfristig deutlich zu senken.
*) Daniel Lenz ist Leiter Strategie Euro-Zinsmärkte bei der DZ Bank.