IM INTERVIEW: THOMAS MEIßNER, DZ BANK

"Der Euro fällt, und der Renditepfad weist nach unten"

Rentenmarktexperte: Großangelegtes Kaufprogramm inklusive Staatsanleihen immer wahrscheinlicher - Bonds aus Spanien, Portugal, Italien und Irland favorisiert

"Der Euro fällt, und der Renditepfad weist nach unten"

Thomas Meißner, der bei der DZ Bank die Rentenmarktstrategie leitet, erwartet von der neuerlichen Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) keine kräftigen Impulse für die Konjunktur in der Eurozone. Ein groß angelegtes Kaufprogramm, das auch Staatsanleihen einschließt, werde immer wahrscheinlicher. Die Bundrenditen könnten noch weiter zurückgehen, allerdings sieht er sie nur für einen kurzen Zeitraum auf den dann noch tieferen Niveaus. Bei der Fed rechnet er im September 2015 mit dem ersten Zinsschritt.- Herr Meißner, die EZB hat die Leitzinsen für die Eurozone zurückgenommen. Kommt der Schritt für Sie überraschend? Vor allem: Bringt die Zinssenkung noch etwas?Die Leitzinssenkung hatten wir nicht vorhergesehen. Es darf bezweifelt werden, ob die gerade einmal zehn Basispunkte der stagnierenden Volkswirtschaft des Euroraums helfen. Dabei scheint sich ein solches scheibchenweises Agieren aktuell durchzusetzen: Bereits im Juni hatten wir einen derartigen Schritt gesehen.- Darüber hinaus wurden auch Kaufprogramme für ABS und Pfandbriefe/Covered Bonds beschlossen. Wie beurteilen Sie die Programme im Hinblick auf ihre Marktwirkung?Der Sinn des Covered-Bond-Kaufprogramms erschließt sich nicht unmittelbar. Der Markt für diese Produkte ist bereits jetzt eng: Das Marktvolumen schrumpft dieser Tage. Ob es der EZB vor dem Hintergrund eines anhaltenden, strukturellen Nachfrageüberhangs gelingen kann, signifikante Beträge aufzukaufen, ist zu bezweifeln. Dass die EZB Asset Backed Securities adressieren will, ist bereits längere Zeit bekannt. Hierdurch soll erreicht werden, dass bei Banken Spielräume für die Vergabe von Neukrediten freigesetzt werden. Um die Erfolgsaussichten beurteilen zu können, ist es erforderlich, zunächst die Details zu kennen.- Erwarten Sie, dass die Programme noch ausgeweitet werden könnten? Der Markt erwartet bekanntlich häufig, dass noch mal nachgelegt wird?Nach den Aussagen von Mario Draghi auf seiner jüngsten Pressekonferenz wird ein groß angelegtes Kaufprogramm der Europäischen Zentralbank, das dann auch Staatsanleihekäufe einschlösse, immer wahrscheinlicher, zumal Draghi betont, dass er die Notenbankbilanz deutlich ausweiten wolle, was wohl nur mittels Staatsanleihekäufen zu erreichen ist. Es scheint der Gedanke vorzuherrschen: Die Briten haben neudeutsch Quantitative Easing betrieben, die Fed und auch die Japaner – und geschadet hat es bislang keinem der betroffenen Länder.- Wenn die EZB schon die Leitzinsen senkt, was vielerorts nicht erwartet wurde, und dann noch mit dem Doppelschlag ABS- und Pfandbriefkäufe aufwartet, müssen die Deflationsgefahren bei der EZB ja schon sehr hoch eingeschätzt werden. Drohen uns japanische Verhältnisse?Es gibt Gemeinsamkeiten zur Situation Japans Anfang der neunziger Jahre, so etwa eine “Bilanzrezession” unter den Banken und eine mangelhafte Bereitschaft in der Politik, den Bankensektor von unrentablen Instituten zu entlasten. Es gibt aber auch Unterschiede; so drückt den Euroraum derzeit ein erheblich geringerer Staatsschuldenstand als Japan. Es regiert das Prinzip Hoffnung: Japanische Verhältnisse dürfen im Euroraum nicht Einzug halten.- Die zehnjährigen Bundrenditen sind auf Werte unterhalb von 1 % gefallen. Wie weit geht es denn noch nach unten?Zumindest der EZB scheint die Entwicklung zu gefallen: Der Euro fällt, und der Renditepfad hierzulande weist nach unten. In Japan rentieren die zehnjährigen Staatsanleihen im Moment bei 0,50 %. Extremwerte dieser Art können wir uns auch für die Bund-Langläufer vorstellen, aber nur für einen kurzen Zeitraum.- Am kurzen Ende der Bund-Kurve, das heißt bei den Laufzeiten von bis zu drei Jahren, sind die Renditen negativ. Wie tief können die Sätze noch in den negativen Bereich fallen, und vor allem bis zu welchem Laufzeitenpunkt an der Kurve sehen Sie die Renditen noch in den negativen Bereich abrutschen?Die Renditestrukturkurve der Bundesanleihen verläuft dieser Tage relativ flach bis in ihren mittleren Bereich hinein: sehr ungewöhnlich. Dieser Kurvenverlauf macht es leicht möglich, dass auch bis in diesen mittleren Bereich hinein alsbald schon negative Renditen zu sehen sein werden. Wir hielten eine solche Situation indes nicht für nachhaltig.- Kürzlich wurde nun erstmals auch der Eonia-Satz negativ. Die Banken zahlen sich untereinander Zinsen dafür, dass sie sich Geld leihen (dürfen). Die negativen Sätze bei Staatspapieren sind als Parkgebühr vielleicht noch erklärbar, aber erscheinen beim Interbankenzins negative Sätze nicht absurd?Am Geld- und Kapitalmarkt scheinen dieser Tage viele Lehrbuchsätze der Vergangenheit überholt. Negative Zinsen unter Banken gleichen “Abwehrkonditionen”: Es ist Liquidität im Umlauf, für die mancher keine Verwendung mehr hat – Anlagenotstand. Dabei winkt Mario Draghi schon mit weiterer Liquidität – Stichwort: TLTROs sowie Ankaufprogramme. Diese Situation wird sich frühestens dann bereinigen, wenn die EZB dies will.- Sehen Sie vor dem Hintergrund der realwirtschaftlichen Verfassung der Eurozone Aufwärtsdruck auf die Bundrenditen zukommen?Aufwärtsdruck auf die Bundrenditen kann unseres Erachtens aktuell fast nur von Übersee kommen. Diejenigen Impulse, die der Euroraum selbst aussendet, wirken in der überwiegenden Mehrzahl nicht renditeerhöhend. Erst wenn beispielsweise die US-Notenbank ernsthaft signalisiert, dass sie neuerlich Leitzinsanhebungen plant, mag wieder Aufwärtsdruck auf die Bundrenditen zu spüren sein, und dann auch nur ein schwacher.- Die Peripherie der Eurozone hat in diesem Jahr eine Fortsetzung der enormen Bond-Rally gesehen. Ist die Rally weiter intakt?Zwar hat sich nach unserem Dafürhalten der Spielraum für weitere Spread-Einengungen bei Papieren aus der Eurozonenperipherie zuletzt verringert. Dennoch favorisieren wir in einer relativen Betrachtung weiter Anleihen aus Spanien, Portugal, Italien und Irland. Allein schon die laufenden Kupons sprechen für diese Titel. Wir sind uns bewusst, dass die Erträge nicht mehr ganz die mit diesen Papieren verbundenen Risiken widerspiegeln, aber: Auch hier stützt Mario Draghis Geldpolitik.- Aufgrund der niedrigen Renditen sehen sich weite Anlegerkreise einem erhöhten Druck gegenüber: Sie müssen noch Rendite generieren, was immer schwieriger wird. Welche Strategien können noch angewandt werden? In welche Assets im Fixed-Income-Universum können die Anleger noch gehen?Ohne Risiko ist es derzeit schwer, überhaupt einen Ertrag zu erwirtschaften, zumal am kurzen Ende der Kurve. Wer Bonitätsrisiken scheut, wird vielleicht zu Konstruktionen bei strukturierten Zinsprodukten greifen, beispielsweise bei sogenannten Callables. Hier überlässt ein Anleger einem Emittenten das Recht, ein Papier vorzeitig zu kündigen, und für dieses Recht erhält der Anleger eine zusätzliche Verzinsung.- Sehen Sie Opportunitäten außerhalb des Euro?Der Euro ist in eine breit angelegte Abwertungswelle hineingeraten. Dieses Jahr hat er gegenüber vielen anderen Währungen Federn gelassen. Ein schnelles Ende der Negativentwicklung im Euro-Außenwert sehen wir nicht. Für im Euroraum angesiedelte Investoren sind dies starke Anreize, die Portfolioanteile in Fremdwährungsrentenmärkten hochzufahren.- Mancher Anleger ist wegen der niedrigen Renditen in der Eurozone schon auf den US-Treasurymarkt ausgewichen. Die Bondrenditen in den USA sind ein gutes Stück zurückgekommen. Setzt sich dieser Trend fort?Es gibt Marktbeobachter, die davon ausgehen, dass der US-Rentenmarkt derzeit eng an der Entwicklung des Euroraums hängt – sehr bemerkenswert, wird doch üblicherweise die umgekehrte Wirkungsrichtung postuliert. Mit Blick Richtung 2015 sollte indes immer deutlicher werden, dass die US-Treasuries ihren Aufwärtstrend vom vergangenen Jahr fortsetzen werden, wenn nämlich die US-Notenbank einen neuen Leitzinserhöhungszyklus in Angriff nimmt.- Wo sehen Sie die zehnjährige US-Treasury-Rendite Ende dieses Jahres?Bis zum Ende dieses Jahres dürfte sich bei den Zehn-Jahres-US-Treasury-Renditen noch kein Aufwärtstrend etabliert haben. Vielmehr sollte es bis dahin eher seitwärts gehen.- Viele im Markt rechnen für das zweite Quartal 2015 in den Vereinigten Staaten mit einer ersten neuerlichen Leitzinsanhebung. Teilen Sie diese Einschätzung?Bei Licht besehen kommen für uns die folgenden Sitzungen des US-Notenbankrates für eine erste Leitzinsanhebung in Frage: März, Juni und September 2015. Wir favorisieren den September. Dann haben die Währungshüter genügend Zeit, die Marktteilnehmer verbal vorzubereiten. Dabei vertreten wir die Meinung, dass die Fed bereits jetzt überfällig ist.- Wie stark wird es mit den US-Leitzinsen dann nach oben gehen?Einstweilen kann es nur darum gehen, die noch immer extrem expansive Geldpolitik dort in ein neutrales Fahrwasser zu steuern. Zudem dürften die US-Leitzinsen bis auf Weiteres nicht mehr solch hohe Niveaus erreichen wie in früheren Zyklen. Wenn wir 1 % sähen, wäre schon viel erreicht; eigentlich müsste dieses eine Prozent vor dem Hintergrund der guten US-Wirtschaftslage bereits jetzt auf der Tafel stehen.—-Das Interview führte Kai Johannsen.