DEVISENWOCHE

Der Euro kann 2021 nur langsam steigen

Von Ulrich Leuchtmann*) Börsen-Zeitung, 1.12.2020 Da die US-Notenbank gemäß ihrer neuen Strategie nicht auf steigende Inflation reagieren wird und im Euroraum die Inflation niedrig bleiben dürfte, dürften die Zinsen in beiden Währungsräumen an der...

Der Euro kann 2021 nur langsam steigen

Von Ulrich Leuchtmann*)Da die US-Notenbank gemäß ihrer neuen Strategie nicht auf steigende Inflation reagieren wird und im Euroraum die Inflation niedrig bleiben dürfte, dürften die Zinsen in beiden Währungsräumen an der effektiven Untergrenze verharren. Das spricht für den Euro. Auch weil er bei vergleichbaren Geldpolitiken “billig” ist. Allerdings kann’s mit dem Euro wohl nur langsam aufwärtsgehen. Denn die EZB hat was gegen eine zu schnelle Euro-Aufwertung. Und mit der Zinssenkungsdrohung kann sie den Markt zu niedriger Euro-Aufwertungs-Geschwindigkeit zwingen.Nach der Oktober-EZB-Sitzung erschien eine Zinssenkung im Dezember möglich. Die ist erst mal vom Tisch. Würde die EZB am 10. Dezember den Einlagensatz nochmals senken wollen, hätte sie den Markt darauf vorbereitet. Hat sie aber nicht. Die Andeutungen der EZB-Offiziellen seitdem zielen klar auf eine Ausweitung anderer Programme, nicht aber auf einen Zinsschritt. Die angekündigte Rekalibrierung auf der Sitzung am 10. Dezember dürfte deutliche Verlängerungen bzw. Ausweitungen der PEPP- und TLTRO-Operationen bringen, doch haben die – so wichtig sie für die Wertpapiermärkte sind – nur recht geringen Einfluss auf die Euro-Wechselkurse. ZinsuntergrenzeDie Lehre, die der Markt daraus ziehen dürfte, ist klar: Wie auch in der ersten Coronawelle (im Frühjahr) verdüstert die neue Epidemiewelle die realwirtschaftlichen Aussichten für das laufende und das kommende Quartal und lässt die von der EZB angestrebte Reinflationierung in noch weitere Ferne rücken. Wenn dennoch die EZB darauf verzichtet, den Einlagensatz weiter zu senken, ist dessen gegenwärtiges Niveau (- 0,5 %) de facto die Zinsuntergrenze für Europas Währungshüter – auch wenn sie öffentlich anderes behaupten. Entsprechend preist der Geldmarkt nur noch mit sehr niedriger Wahrscheinlichkeit eine weitere Zinssenkung für absehbare Zeit ein. Das heißt: Das Risiko einer Zinssenkung kann aus den Euro-Wechselkursen weitgehend ausgepreist werden.Natürlich, man könnte argumentieren, dass immer mehr QE auch irgendwann zur Belastung für den Euro wird. Solange freilich die höhere Liquidität vor allem in höheren Überschussreserven der Geschäftsbanken und höherer Vorsichts-Kassenhaltung der Nichtbanken endet, also nicht inflationär wirkt, gibt es keinen Grund für den Devisenmarkt, QE als Euro-belastenden Faktor zu behandeln. Zumal auch nach fünf Jahren QE-Historie der EZB kein inflationärer Effekt erkennbar ist. Also gar keine Zinssenkung, egal, was kommt? Nicht unbedingt. Die EZB weiß (wenigstens ist das aus Äußerungen ableitbar), dass eine Zinssenkung den Euro belasten würde. Sie wäre also das Instrument der Wahl, wenn es darum ginge, Euro-Stärke zu bekämpfen. Und gleichzeitig weiß der Devisenmarkt, dass der EZB exzessive Euro-Stärke ein Dorn im Auge sein kann. Die verbale Intervention durch EZB-Chefvolkswirt Philip Lane Anfang September, just als der Euro auf 1,20 Dollar gestiegen war, ist am Devisenmarkt in Erinnerung geblieben – auch wenn EZB-Chefin Christine Lagarde im Nachhinein wenigstens die Formulierung abgemildert hatte.Nur: Der EZB geht’s üblicherweise nicht so sehr um bestimmte Euro-Dollar-Niveaus. Alarmiert ist sie vor allem, wenn die Aufwertungsgeschwindigkeit aus ihrer Sicht zu hoch ist. Die 1,20 war für die EZB keine “Linie im Sand”, die für alle Zeiten unverrückbar steht. Sie war an dem Zeitpunkt – nach schnellen Euro-Aufwertungsphasen im Juni und Juli – die richtige Stelle, diese Episode zu beenden. Im jetzigen Umfeld mag die EZB das anders entscheiden. Die Zinssenkungsdrohung dürfte allerdings zunächst bestehen bleiben. Zum einen, weil die EZB (wie jede andere Zentralbank) nur ungern zugeben mag, das Ende ihres Zinsinstruments erreicht zu haben. Und zum anderen, weil die EZB diese Drohung braucht, um gegebenenfalls eine schnelle Euro-Aufwertung begrenzen zu können. Heftige Aufwertung ist nicht drin. Würde sie der Markt dennoch liefern, würde die EZB dagegenhalten und (wie schon im September) dem Markt in den Arm fallen. Daran ändert auch ein möglicher Post-Corona-Boom 2021 nichts. Zumindest nicht, wenn er nicht auch das Problem der aus EZB-Sicht zu geringen Inflation beseitigt.Eines würde 2021 ein Post-Corona-Boom sowieso nicht ändern: dass Fed und EZB expansiv bleiben. Beide Zentralbanken haben nach Jahren langer Inflationszielverfehlung kaum noch Angst vor zu hoher Inflation. Und beide werden ganz sicher sein wollen, dass wirklich hinreichend robuste Inflationsdynamik vorliegt, bevor sie überhaupt an Normalisierung denken. 2021 wird’s wohl längst noch nicht so weit sein (und wahrscheinlich auch nicht 2022). Der Dollar ist seit 2015 “teuer” im Vergleich zum Euro (gemessen an der Kaufkraftparität). Diese ungewöhnlich lange Phase einer deutlichen Unterbewertung war gerechtfertigt, solange sich Fed- und EZB-Geldpolitik qualitativ unterschieden: Seit 2015 war klar, dass die Fed bei entsprechendem konjunkturellem Umfeld ihre Zinspolitik normalisiert, während für die EZB schon damals klar wurde, dass sie dauerhaft Niedrigstzinspolitik betreiben wird. Mit der neuen Strategie der Fed ist dieser Unterschied futsch. Wenn 2021 die Fed mit ihrer neuen Strategie Ernst macht und auch bei Inflation nahe dem 2-Prozent-Ziel (die bei hinreichendem Post-Corona-Boom durchaus drin wäre) ihren Leitzins auf der Untergrenze lässt, könnte der Devisenmarkt die hohe Dollarbewertung in Zweifel ziehen. Allgemeine Dollar-Schwäche wäre die Folge. Ich halte solch ein Szenario für 2021 für wahrscheinlich.Übrigens: Auch wenn all das nichts damit zu hat, dass der Dollar “sicherer Hafen” wäre, würde es für die Apologeten dieser Theorie wieder so aussehen, als hätten sie recht: Ein Post-Corona-Boom hätte Dollar-Schwäche zur Folge. “Weil die ,Hafen-Nachfrage` nach dem Dollar nachlässt”, werden diese Analysten dann sagen. Aber so ist’s halt in einer nicht experimentellen Wissenschaft wie der Ökonomik, wo Ursache und Wirkung nicht klar unterscheidbar sind. *) Ulrich Leuchtmann ist Leiter der Devisenstrategie bei der Commerzbank.