Im InterviewJan Bottermann und Frank Wohlgemuth

"Der globale Zinsgipfel ist überschritten"

Die Kapitalmarktexperten der National Bank gehen davon aus, dass der globale Zinsgipfel bereits überschritten ist. Den Aufwärtstrend an den Aktienmärkten der vorigen Monate beurteilen sie als robust.

"Der globale Zinsgipfel ist überschritten"

Im Interview: Jan Bottermann und Frank Wohlgemuth

"Der globale Zinsgipfel ist überschritten"

Kapitalmarktexperten der National-Bank: Aufwärtstrend an Aktienmärkten ist robust – Gesundheitssektor und Erneuerbare Energien bieten Chancen

Die Kapitalmarktexperten der National-Bank gehen davon aus, dass der globale Zinsgipfel bereits überschritten ist. Den Aufwärtstrend an den Aktienmärkten beurteilen sie als robust. Chancen sehen sie bei Werten des Gesundheitssektors und Dividendentiteln aus dem Bereich der Erneuerbare Energien.

Herr Bottermann und Herr Wohlgemuth, wie ist der Ausblick für die Inflation in der längeren Frist? Rechnen Sie mit einem anhaltend hohen Inflationsniveau?

Bottermann: Nein. Wir vertreten seit langem die These, dass der Strukturbruch bei der Inflationsentwicklung fast ausschließlich den – temporären – Covid-Effekten zuzuschreiben ist, strukturelle Faktoren wie Demografie, Kosten des Klimawandels etc. existieren zwar, deren Wirkung geht aber zumindest mittelfristig noch annähernd gegen Null. In den USA, wo die Entwicklung eine Indikatorfunktion für die übrigen Industrienationen hat, deutet weiterhin alles auf eine anhaltende preisliche Beruhigung hin. Mehr und mehr erreichen die Disinflationsimpulse der vorgelagerten Produktionsstufen nachgelagerte Bereiche, wenn auch noch nicht flächendeckend. Manche Kernpreiskomponenten, etwa bei Vorleistungsgütern, sind bereits seit der Jahresmitte 2022 sogar auch absolut rückläufig.

Was schlussfolgern Sie daraus?

Bottermann: Insofern steigt die Wahrscheinlichkeit nunmehr stetig an, dass sich der unterliegende Preistrend auch der Kernkomponenten auf der Ebene der Verbraucherpreise alsbald erheblich abschwächt. Zentral dürfte jenseits dieser Überlegungen aber der Umstand sein, dass sich der US-Arbeitsmarkt weiter entspannt. Aus meiner Sicht ist dies unverändert der Schlüssel zur Projektion der mittelfristig unterliegenden Preisdynamik bzw. der Erreichung der Ziele der Fed. Bis dato weisen die offiziellen Daten hier zwar nur eine allmähliche Verringerung des Nachfrageüberhangs am US-Arbeitsmarkt auf, nimmt man zusätzliche 'inoffizielle' Datensätze, d.h. hoch korrelierende Echtzeitdaten zum Arbeitsmarkt, hinzu, dürfte mehr als die Hälfte der Wegstrecke zum Abbau der Ungleichgewichte aber nunmehr durchmessen sein.

Ist der Notenbankzyklus nunmehr abgeschlossen?             

Bottermann: Ich gehe davon aus, dass der globale Zinsgipfel bereits überschritten ist. Naturgemäß herrscht auch bei der US-Notenbank eine hohe Ungewissheit vor, wie sich die bisherigen Maßnahmen auf die US-Wirtschaft auswirken und wie sich die weitere geldpolitische Reaktion optimalerweise gestalten sollte. Vollkommen zu Recht verwies die Fed zuletzt darauf, dass der weitere Notenbankzinspfad nunmehr vor allem eines ist, nämlich datengetrieben. Zwar ist der Durchbruch bei der Inflationsreduktion noch nicht erfolgt, aus meiner Sicht kann dies aber nunmehr mit jedem Datenpunkt geschehen.

Und bei der EZB?

Bottermann: Die EZB war bzw. ist derweil unverändert gut beraten, der US-Notenbank wenn auch zeitlich versetzt, zu folgen. Dies liegt auch daran, dass der konjunkturelle und damit verbunden auch der inflatorische Gleichlauf mit den USA auch weiterhin stark ausgeprägt sind. Mit Blick auf die strukturelle Wachstumsschwäche ist eine Rückkehr zu erheblich niedrigeren Zinsniveaus in der Eurozone mittelfristig durchaus wahrscheinlich, auf Jahressicht erwarten wir für die zehnjährigen Bundesanleihen aber zunächst eine Konvergenz auf Renditen um 2%, da sich der Disinflationsprozess auch aufgrund der geringeren Preiselastizität noch länger hinziehen dürfte als in den USA.

Die Aktienmärkte zeigten sich in den vergangenen Wochen sehr robust, nunmehr scheint eine gewisse Unsicherheit vorzuherrschen. Wie beurteilen Sie die Lage?

Wohlgemuth: Nach den deutlichen Kursanstiegen in diesem Jahr herrscht aktuelle eine gewisse Verunsicherung hinsichtlich der weiteren Tendenz an den Aktienmärkten vor. Dies ist nach der positiven Entwicklung seit Jahresbeginn auch nicht verwunderlich. Wir beurteilen den Aufwärtstrend der vorigen Monate als robust, zuversichtlich stimmt uns, dass der Grad an Pessimismus insbesondere bei den institutionellen Anlegern weiterhin sehr hoch ist, viel Liquidität befindet sich an den Seitenlinien und wartet auf den passenden Einstieg. Wenn niedrigere Kurse ausbleiben, dann steigt der Druck diese Gelder renditewirksam einzusetzen. Weiterhin optimistisch stimmt uns, dass das bevorstehende Ende des Zinserhöhungszyklus in der Vergangenheit oftmals kein guter Zeitpunkt war, um Aktien zu verkaufen. Zudem bewegen sich die Aktienmärkte momentan in der grundsätzlich umsatzarmen Sommerzeit, da sind Ausschläge keine Seltenheit.

Politische Risiken spielen nur noch eine untergeordnete Rolle an den Aktienmärkten. Wird dies tendenziell so bleiben?

Wohlgemuth: Ja, davon gehen wir aus. Die Aktienmärkte fokussieren momentan wieder pointiert auf wirtschaftliche Themen. Politische Unsicherheiten sind deutlich in den Hintergrund gerückt. So ist der Krieg in der Ukraine mittlerweile nahezu ein primär politisches Thema, aber – wenn man von Europa absieht – kein wirtschaftliches Thema mehr. Im Konfliktfeld USA-China herrscht die inhärente Annahme vor, dass es zu keiner wesentlichen Eskalation kommen wird, zu schädlich wäre ein umfassendes Decoupling für beide Seiten. Die jüngst geplante Einrichtung von Arbeitsgruppen zum regelmäßigen Austausch über strittige Themen zwischen beiden Großmächten spricht ebenfalls für eine Deeskalation.

Haben Sie noch andere politische Aspekte im Blick?

Wohlgemuth: Ein Thema, welches als politisches Risiko momentan noch im Hintergrund wabert, ist die US-Präsidentschaftswahl im November 2024. Eine zu erwartende weitere Polarisierung der US-Gesellschaft wird sicherlich auch Implikationen an den Kapitalmärkten haben. Gerade der Krieg in der Ukraine hat eindrucksvoll gezeigt, dass ohne die politische Führerschaft der USA eine angemessene Antwort auf das russische Machtstreben nur schwerlich möglich erscheint. Wichtig ist, dass diese Führungsrolle auch in den USA sakrosankt bleibt.

Wie beurteilen Sie die Wachstumsperspektiven weltweit? Ist der jüngste Abschwung in China der Vorbote einer globalen Rezession?         

Bottermann: Nein. Der globale Ausblick wird derzeit vor allem dadurch bestimmt, dass die geldpolitisch induzierte wirtschaftliche Abkühlung in den Industrienationen auch in den Emerging Markets Asiens konjunkturell spürbar wird. Bei gedämpftem Welthandel verlaufen die Wirkungskanäle über den Export und die auch weltweit spürbar gestiegenen Zinssätze. Trotz der Abkühlung in Fernost bleibt der globale Ausblick aber resilient. Das Interventionspotential Chinas wird systematisch unterschätzt – die Erfahrungen der vergangenen anderthalb Dekaden haben immer wieder gezeigt, dass es sich nicht mit den Maßstäben reifer Industrienationen bemessen lässt.

Das bedeutet?

Bottermann: Im Kern kommt es bei grundsätzlich robusten Perspektiven nunmehr vor allem darauf an, wie schnell sich der Preisdruck in den Industrienationen weiter ermäßigt bzw. ob sich der Anstieg der internationalen Zinssätze fortsetzt. Es bleibt höchstwahrscheinlich, dass sich der Disinflationsprozess weiter akzentuiert und die US-Notenbank den Zyklus alsbald beenden kann. Vor allem in den USA hat die Lehman-Krise zu einer strukturell höheren Ersparnisbildung geführt, die resultierende finanzielle Resilienz des privaten Sektors stabilisiert den privaten Konsum als zentrale Säule der US-Ökonomie. Ich gehe davon aus, dass sich die konjunkturelle Dynamik in Asien spätestens zum Herbst wieder spürbar festigt, während der Ausblick für die Industrienationen vorerst noch deutlich unterdurchschnittlich bleiben dürfte. Positiv wirkt, dass die Inflation in Asien primär von temporären Schocks bei Energie und Nahrungsmitteln getrieben worden war, die nunmehr auslaufen. Dies dürfte vielen Notenbanken der Region bereits auf absehbare Zeit den Spielraum verschaffen, die Zinssätze alsbald wieder deutlich zu senken.

Wie wird sich das bevorstehende Ende des Zinserhöhungszyklus auf die Aktienmärkte auswirken?

Wohlgemuth: In der Historie hat sich die Notenbankpolitik als nahezu wichtigste Stellgröße für die Tendenz an den Aktienmärkten erwiesen. Die deutlichen Aktienmarkteinbrüche in 2022 sind maßgeblich Ausdruck des steilen Zinserhöhungskurses der vorigen 18 Monate. Nunmehr spekulieren die Aktienmärkte schon seit geraumer Zeit auf ein Ende dieses Zinszyklus, wie an den steigenden Kursen seit Jahresbeginn ersichtlich wird. Vor dem Hintergrund der gerade in Europa sehr schwachen Wachstumsaussichten gehen wir davon aus, dass die Inflation wieder in ihren strukturellen Abwärtstrend der Vor-Corona-Jahre einschwenkt. Folglich werden die Notenbanken ihren Zinserhöhungskurs eher früher als später beenden. Dies ist für die Aktienmärkte im mittel- bis längerfristigen Zeithorizont ein sehr aussichtsreiches Signal.

Welche Unternehmen bzw. Sektoren bevorzugen Sie?

Wohlgemuth: Wir raten zu einer starken internationalen Diversifizierung in den Anlegerdepots. Dies bedeutet, dass der US-amerikanische Anteil im Depot, aber auch der fernöstliche stärker als rein symbolisch dotiert sein sollten. Die weiterhin robuste US-Volkswirtschaft, welche unserer Einschätzung nach einen nachhaltigen Abschwung vermeiden wird, sowie die in Relation sehr dynamischen fernöstlichen Wachstumsregionen im Gegensatz zu den mäßigen Wachstumsaussichten in Europa betonen die Vorteilhaftigkeit einer solchen Vorgehensweise. Wir raten daher weiter zu zyklischen Werten, welche gerade von den skizzierten Entwicklungen überproportional profitieren sollten und sich oftmals durch hohe Dividendenrenditen auszeichnen. Zudem hat sich die Dotierung von sogenannten Zukunftsthemen in den vergangenen Monaten als sehr erfolgreich erwiesen, insbesondere ablesbar am Höhenflug des Themas Künstliche Intelligenz. Aber auch der Gesundheitssektor sowie das Thema Erneuerbare Energien bleiben aussichtsreich.

Der Euro hat gegenüber dem US-Dollar in den vergangenen Monaten wieder Boden gutmachen können. Wird sich diese Entwicklung fortsetzen?

Bottermann: Derzeit wird der Euro noch durch den gegenläufigen Notenbankzyklus gestützt. Die US-Notenbank ist im Zinszyklus weiter fortgeschritten, da die US-Wirtschaft konjunkturell einmal mehr vorausläuft. Jenseits der konjunkturellen Zyklik haben sich die strukturellen Belastungen für die Eurozone aber immer weiter intensiviert: Von den ungelösten Problemen der Währungsunion bis hin zu den Verwerfungen durch den Krieg in der Ukraine, mit dem Ergebnis, dass der gesamteuropäische Wachstumspfad immer flacher verläuft. Es ist zunächst noch davon auszugehen, dass die Wechselkursentwicklung volatil bleibt, solange die EZB noch keine Kehrtwende eingeleitet haben wird. Wenn die Sondereffekte aus der Covid-Krise ausgelaufen sein werden, wird sich aber herausstellen, dass das aktuelle Zinsniveau für eine strukturell angeschlagene Eurozone viel zu hoch sein wird. Dies ist der Moment, wo der Euro seinen Abwärtstrend, der seit der Lehman-Krise Bestand hat, fortsetzen dürfte.

Das Interview führte Kai Johannsen.

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