Devisen

Der Kater nach dem Finanzzyklus

Die G3-Volkswirtschaften haben 2020/2021 einen Höhepunkt im Finanzzyklus erlebt. Das hat erhebliche Implikationen für Währungen.

Der Kater nach dem Finanzzyklus

Von Sean Shepley*)

Langsam verlaufende Wirtschaftszyklen, die sich über lange Zeiträume erstrecken, finden in der Öffentlichkeit oft weniger Beachtung als die raschen Börsenschwankungen oder der intensiv verfolgte Konjunkturzyklus. Kulminationspunkte wie die in den meisten großen Volkswirtschaften im zurückliegenden Jahr ins Laufen geratene Inflation bieten jedoch eine gute Gelegenheit zu analysieren, wie schwerwiegend etwaige langfristige Ungleichgewichte geworden sind und wie sie den Konjunkturzyklus und die Marktrenditen beeinflussen können.

Verschuldung im Fokus

Ein derartiger von uns zur Risikobewertung herangezogener Langfristzyklus ist der sogenannte Finanzzyklus. Dieser hat in der Wirtschaftswissenschaft eine lange Tradition und basiert auf Messgrößen für den Immobiliensektor und die Kreditvergabe, die wiederum Aufschluss darüber geben, wie sich die finanzielle Verschuldung der Realwirtschaft entwickelt hat. Die Version, die wir für unsere Analyse verwenden, berücksichtigt die Abweichung der realen Hauspreise vom Trend sowie die Kreditvergabe des privaten Sektors. Aufgrund langer Verzögerungen bei der Datenverfügbarkeit in einigen Ländern ist der letzte in unsere Analyse einbezogene Datenpunkt die Mitte des zurückliegenden Jahres.

Höhepunkt 2020 und 2021

Die Analyse zeigt, dass die G3-Volkswirtschaften­ 2020/2021 einen Höhepunkt im Finanzzyklus erlebten. In den Vereinigten Staaten kam dieser Höhepunkt nach einem langen Aufwärtstrend, der nach dem Tiefpunkt in der Finanzkrise des Jahres 2008 eingesetzt hatte. Im Gegensatz dazu verlief der Aufschwung im Euroraum kürzer und heftiger: Hier markierte die Staatsschuldenkrise von 2011 den Tiefpunkt und der Aufschwung wurde durch negative Zinssätze angeheizt. Chinas Finanzzyklus schließlich verlief ungleichmäßiger, hielt allerdings insgesamt länger an als der der beiden anderen großen Volkswirtschaften. Der Abschwung im chinesischen Finanzzyklus spiegelt sich bereits in einem starken Rückgang im Immobiliensektor, in Insolvenzen und in umfangreichen staatlichen Stützungsmaßnahmen wider.

Abschwung in früher Phase

Werden andere Industrieländer mit einbezogen, wird deutlich, dass innerhalb des letzten Jahrzehnts jeweils ein beträchtlicher Anstieg im Finanzzyklus verzeichnet wurde. In fast allen großen Volkswirtschaften (mit Ausnahme Japans) wurde in den letzten 18 Monaten ein Höhepunkt erreicht. Die meisten Länder befinden sich allerdings noch in einer recht frühen Phase des Abschwungs. In Deutschland, Italien, Spanien, den USA, Schweden und Neuseeland sind die Rückschläge gegenüber dem Hoch noch recht bescheiden. Hierbei fällt für die Eurozone auf, dass der jüngste Finanzzyklus quasi spiegelbildlich zu dem in der ersten Dekade der Währungsunion verlief: Zuletzt waren die Zuwächse in den Kernländern weitaus größer als diejenigen in den Peripherieländern. In Australien und Kanada hingegen ist die Trendwende im Finanzzyklus bereits fortgeschritten. Und Norwegen schließlich sticht als einziges Land hervor, in dem der Ab­schwung im Finanzzyklus bereits stärker ausgeprägt ist als der vorherige Aufschwung.

Unseres Erachtens hat all dies aus Währungssicht vier Implikationen. Erstens bergen Abschwünge im Finanzzyklus naturgemäß ein höheres Risiko von Kreditausfällen als Aufschwünge. Infolgedessen weisen Länder mit überlangen Aufwärtszyklen ein besonders hohes makroökonomisches Ereignisrisiko auf. Ihre Währungen verlangen daher einen Risikoabschlag. Aktuell gilt dies vor allem für den kanadischen Dollar und die schwedische Krone, in geringerem Maße aber auch für den australischen Dollar.

Spielraum eingeschränkt

Zweitens kann eine übermäßig hohe inländische Verschuldung den Entscheidungsspielraum der Zentralbank einschränken. So hat etwa die kanadische Zentralbank bereits angedeutet, dass sie eine Pause im Zinserhöhungskurs einlegen will, was unter anderem auf die Anfälligkeit des heimischen Immobiliensektors zurückzuführen ist. Die Währungen von Ländern mit nur geringfügigen oder langsamen Zinserhöhungen dürften sich in der Folge tendenziell schwächer entwickeln. Neben dem kanadischen Dollar ist hierfür auch das britische Pfund ein Kandidat.

Dollar profitiert

Drittens profitiert der US-Dollar in Zeiten einer allgemeinen Abschwächung des Finanzzyklus traditionell vom Status eines sicheren Hafens. Aktuell wird dies durch die internationale Führung der Fed bei der monetären Straffung noch verstärkt. Während dies den Dollar zunächst stützt, birgt es mittelfristig Gefahren: Aufgrund des verlängerten Finanzzyklus in den USA selbst – einhergehend mit entsprechenden Ungleichgewichten – und angesichts der starken Zinserhöhungen besteht die Gefahr eines nachfolgend umso stärkeren Abschwungs, was dann zu einer ausgeprägten Dollarschwäche führen kann.

Viertens und letztens erlauben die Fortschritte Norwegens bei der Abarbeitung der Exzesse des letzten Finanzzyklus die Aussicht auf einen neuen Aufschwung. Die norwegische Krone hat sich in den letzten Jahren schlechter entwickelt als eine Vielzahl anderer Währungen, wobei die höheren Energiepreise der Währung kaum zugutekamen. Hier gilt es nun, nach Anzeichen für ein Erreichen der Talsohle des Finanzzyklus Ausschau zu halten.

*) Sean Shepley ist Senior Economist bei Allianz Global Investors.

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