Im InterviewCarsten Roemheld

"Der Markt hat die schlechteste Phase noch nicht hinter sich gebracht"

Kapitalmarktstratege Carsten Roemheld von Fidelity fehlt die Fantasie für eine Herbstrally. Im Interview der Börsen-Zeitung spricht Roemheld darüber, welche Märkte aktuell attraktive Bewertungen bieten und in welchen Sektoren er einen kräftigen Investitionsschub erwartet.

"Der Markt hat die schlechteste Phase noch nicht hinter sich gebracht"

Im Interview: Carsten Roemheld

"Der Markt hat die schlechteste Phase noch nicht hinter sich gebracht"

Kapitalmarktstratege Roemheld sieht weitere schwierige Monate für den Aktienmarkt – Asiatische Märkte und Infrastruktur interessant

Carsten Roemheld, Director und CFA bei Fidelity, fehlt die Fantasie für eine Herbstrally. Im Interview der Börsen-Zeitung spricht Roemheld darüber, welche Märkte aktuell attraktive Bewertungen bieten und in welchen Sektoren er einen kräftigen Investitionsschub erwartet.

Herr Roemheld, die Sommermonate waren auch in diesem Jahr für Aktionäre schwierig. Wie sind Sie bei Fidelity aktuell aufgestellt?

Wir sind aktuell relativ defensiv aufgestellt, weil wir der Meinung sind, dass der Markt seine schlechteste Phase noch nicht hinter sich gebracht hat. Wir haben bisher insgesamt ein relativ gutes Jahr gesehen, vor allem von der Aktienseite. Inzwischen gehen zwar die Inflationsraten herunter, aber die Kerninflation ist nach wie vor recht hoch. Da wird noch etwas Arbeit notwendig sein. Zuletzt hat sich auch die Fed bei den Zinserwartungen nicht mehr ganz so optimistisch gezeigt und 50 Basispunkte rausgenommen aus künftigen Zinssenkungen. Da haben dann auch die Märkte so langsam angefangen zu verstehen, dass die Fed es jetzt doch ernst meint. Da ist kein Zucken zu sehen von den Zentralbanken. Sie bleiben stattdessen auf der Bremse und sagen „Wir müssen dafür sorgen, dass die Kerninflation auf den Stand kommt, den wir grob immer noch mit 2% umreißen“. Und das ist noch ein relativ weiter Weg. Das Problem an diesem Zyklus ist, dass ein paar Sondereffekte eingetreten sind, die diese Transmission verlängern. Wir hatten nach der Pandemie eine Fülle an Liquidität für Märkte, Konsumenten, Unternehmen und davon zehren sie nun länger, als wir es eigentlich vermutet hatten. Der Konsum und die Wirtschaft vor allem in den USA sind immer noch sehr stark, und die Unternehmen haben sich relativ ordentlich refinanziert bei niedrigen Zinsen. Der Effekt der höheren Zinsen macht sich so schnell noch nicht bemerkbar, diese Refinanzierungswelle kommt erst noch. Wir rechnen damit, dass wir eine Rezession bekommen, und diese Rezession ist in den Aktienkursen auf jeden Fall noch nicht enthalten.

Hierzulande?

Hierzulande und auch in den USA. Gerade in den USA, weil die Bewertungsunterschiede dort noch deutlich größer sind. Dort gibt es bis jetzt noch eine besser laufende Wirtschaft und einen noch besseren Aktienmarkt, also so ein bisschen das Szenario: „Das wird schon irgendwie gut gehen. Soft Landing usw.“. In Deutschland und der Eurozone sehen wir schon deutlich stärkere Einbußen beim Wirtschaftswachstum. Daher glaube ich, dass wir noch ein paar schwierige Monate vor uns haben, wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass wir tatsächlich diese Rezession bekommen, und dass dann sicher noch ein bisschen was am Markt passieren muss, um das zu reflektieren.

Rechnen Sie denn trotzdem noch mit einer Herbst-Rally?

Traditionell ist das vierte Quartal ein gutes im Aktienmarkt, aber das Potenzial für den Herbst sehe ich im Moment nicht gegeben, weil ich nicht wüsste, welche positiven Daten und Fakten außer dem saisonalen Effekt die Märkte beflügeln könnten. Wir bekommen von der Unternehmensseite Probleme bei den Gewinnprognosen, wir kriegen bei der Konjunktur sicherlich dämpfende Effekte. Bei den Zentralbanken sieht man keine Signale, dass die Zinsen bald wieder gesenkt werden. Die Bankrotte und Kreditausfälle werden langsam größer. Im Hintergrund schwelen also ein paar Effekte. Die Kreditkartenschulden sind so hoch wie nie in den USA. Auch der Konsument kann es deswegen, glaube ich, nicht mehr retten. Mir fehlt daher ein bisschen die Fantasie für eine Herbstrally – außer dem historisch saisonalen Effekt. Ich glaube, dass der Herbst dieses Mal schwieriger wird.

Angefeuert wurden die Märkte im ersten Halbjahr nicht zuletzt durch einen gewissen Hype um das Thema KI. Ist bei Titeln wie Nvidia das Ende der Fahnenstange bald erreicht, oder sehen Sie noch immer Luft nach oben?

Mit dem Hype geht es auf jeden Fall erst los. Bei Nvidia ist es so, dass sie sich jetzt gerade in dem Sweet Spot befinden, also in dem Bereich, der im Moment von absoluter Knappheit betroffen ist. Das Unternehmen hat im Prinzip seinen eigenen Markt entwickelt mit diesen absolut heißen Chips und den beliefern sie. Sie haben teilweise Marktanteile von 90% plus, da gibt es einfach noch keine Konkurrenz. Aber dieser KI-Effekt wird sich natürlich noch viel breiter auswirken und da fällt es mir schwer, jetzt schon genau die Gewinner und Verlierer zu definieren. Auf der einen Seite wird die KI sehr viele signifikante Effekte haben. Einerseits wirtschaftliche Effekte, aber auch andererseits auf Unternehmen, auf uns. Aber wenn man jetzt mal auf Bewertungsparameter schaut und dies vor dem Hintergrund unserer konjunkturellen Erwartung, sehe ich zumindest kurzfristig kein Weiterkommen bei diesem Hype. Auch wenn KI schon eine Menge Zukunftspotenzial hat, taktisch und unmittelbar. Ich vermute, dass selbst die Top-Indexwerte mit dem höchsten Wachstum, die in den USA bisher den ganzen Index getragen und auch die Bewertungen nach oben gefahren haben, davon betroffen sein werden. Wenn das Zinsniveau in Zukunft höher als vorher sein wird, betrifft das ja vor allem Unternehmen, die starkes Wachstum in der Zukunft haben. Die werden dann mit einem höheren Diskontsatz niedriger bewertet, und dieser Effekt ist bei den hoch bewerteten Unternehmen wie den fantastischen Sieben (Apple, Nvidia, Alphabet, Meta, Amazon, Tesla und Microsoft, Anm. der Redaktion) noch nicht vollständig eingepreist.

Gerade weil diese Unternehmen so groß sind und eben keine Schulden haben, hört man sonst oft, dass ihnen die hohen Zinsen weniger ausmachen. Das sehen Sie anders?

Tatsächlich haben diese Unternehmen teilweise sehr hohe Cashbestände, die sie kurzfristig sehr gut bei 5% Zinsen und mehr anlegen können. Die großen Unternehmen haben deswegen sogar netto einen positiven Effekt. Ich glaube aber, die meisten Investoren sind ein bisschen in dem Niedrigzinsszenario der letzten zehn, 15 Jahre verhaftet und können sich nicht richtig vorstellen, dass wir eine strukturelle Wende bei den Zinsen sehen. Ich glaube nicht, dass die Zentralbanken mit den Zinsen wieder so weit herunter oder gar auf null gehen, weil sie es aufgrund der strukturellen inflationären Tendenzen wahrscheinlich gar nicht können. Ich denke, die Zentralbanken werden zukünftig stärker auf der Bremse bleiben und die Zinsen im Schnitt höher halten, als es in der Vergangenheit der Fall war.

Das klingt aus Aktionärssicht alles nicht so gut. Wenn wir ein Stück weiter in die Zukunft blicken, auf 2024, und trotz aller erwähnten Belastungsfaktoren, wie sehen Sie da die Chancen für Aktien?

Im Moment sieht es noch fast so aus, als kaufen Investoren diese Aktien jetzt nicht nur wegen der KI, sondern auch, weil sie eine defensive Kraft darin sehen, weil es extrem etablierte Unternehmen sind, mit großen Marktanteilen, mit riesigen Cashflows, mit tollen Businessmodellen. Das kann ich auch vollkommen nachvollziehen, aber dafür sind die Bewertungen sehr sportlich geworden.

In Erwartung einer Rezession und noch länger höheren Zinsen gehe ich davon aus, dass auch diese Unternehmen sich dieser klassischen Gravitation nicht entziehen können – auch wenn die beliebtesten Unternehmen sozusagen als letzte aus den Portfolios heraus verkauft werden. Wenn in der Rezession tatsächlich so ein Ausverkauf noch mal stattfinden sollte, dann wird es auch diese Werte betreffen. Einige der Bewertungsparameter werden ein ganzes Stück fallen müssen.

Wie es nach einer gewissen Ernüchterung und dieser Phase eines Ausverkaufs weitergeht, kann man schwer voraussehen – das hängt auch davon ab, ob es Kreditausfälle gibt, die größere Auswirkungen haben. Aber grundsätzlich glaube ich, dass wir nach dieser Anpassungsphase, die wir eben noch nicht durchlaufen haben, wieder bessere Aussichten haben. Denn wir haben riesige Investitionsprogramme vor uns: Der IRA (Inflation Reduction Act, Anm. der Redaktion) in den USA, in Europa die große Energiewende. Mitunter der größte Posten sind aber die Infrastrukturausgaben. Die Amerikaner haben hier noch viel größere Probleme als wir, aber auch wir müssen in Infrastruktur investieren. Und dann gibt es natürlich noch die Verteidigungsproblematik, nicht nur auf militärische Aktionen bezogen, sondern auch Cyber-Verteidigung, denn auch die Mittel der Kriegsführung im Web werden natürlich größer und ausgeprägter. Ich sehe in den nächsten Jahren also eine große Zahl an Investitionen auf die Märkte einfließen. Das bietet natürlich auch Chancen für Anleger, sich an diesen Trends zu beteiligen und dort zu investieren. Wenn diese Rezession überwunden ist – wann, ist schwer zu sagen – ist die Basis wieder klarer, die Bewertungsverhältnisse wieder deutlich besser, sozusagen mit Blick auf die dann kommenden Investitionsvorhaben. Das bezieht sich hauptsächlich auf die westliche Welt, auf die USA, vor allem aber auch auf Europa. In Asien haben wir einen etwas anderen Zyklus. Da haben wir die größten Zinsschritte schon gesehen und sind jetzt eher in der Situation, wo Zinsen gesenkt werden, wo mehr stimuliert wird. Das betrifft auch, aber nicht nur, China. Dort gibt es zwar Probleme, aber aus meiner Sicht sind die Bewertungsverhältnisse dort schon in einer ganz anderen Phase angekommen, nachdem wir bereits eine große Kapitalflucht gesehen haben. Viele Anleger haben sich von China abgewendet – aus politischen Gründen, aus Gründen, weil das Wachstum nicht mehr stimmt, aus Gründen der Immobilienkrise. Ich glaube, das Sentiment für China ist sehr schlecht und das wird in den Bewertungsverhältnissen schon reflektiert. Ich habe auf der einen Seite also niedrige Bewertungen und auf der anderen Seite die Möglichkeit, über Stimulation die Wirtschaft noch ein bisschen weiter in die richtige Richtung zu bringen. Das ist eine bessere Ausgangsbasis als hier bei uns, wo ich im Moment noch die Bremsen voll angezogen sehe, aber die Bewertungsverhältnisse das, was noch kommt, noch nicht adaptiert haben. Darum glaube ich, dass es eine interessantere Chance ist, im asiatischen Umfeld zu investieren.

Da Sie Asien erwähnen, Japan ist sicherlich ein Markt, den viele Investoren schon fast gar nicht mehr auf dem Schirm hatten und dann hat der Nikkei im ersten Halbjahr eine wirklich starke Performance hingelegt. Wie sehen Sie das Land?

Ich habe gestern eine interessante Kurve zu US-Treasuries gefunden: Wenn man seit 1790, also über 230 Jahre, dort Geld angelegt hat, lag die durchschnittliche Rendite über diesen ganzen Zeitraum bei 4,5%. Und da sind wir jetzt gerade angekommen – von unten wohlgemerkt. Es ist durchaus denkbar – ohne das jetzt voraussagen zu wollen – dass die Zinsen noch deutlich weiter steigen. Darauf sind die Märkte auf keinen Fall vorbereitet. Man darf nicht vergessen, dass viele Staaten Schulden haben, die müssen immer noch mehr Kredite aufnehmen. Da kommen also immer mehr Papiere auf den Markt, das Angebot an Schuldpapieren wird größer und damit auch der Druck auf die Renditen höher. Ob wir wirklich wieder zurückkommen zu den Niedrigzinsen der Vorpandemie-Phase, das wage ich zu bezweifeln.

In den letzten Jahren gab es immer wieder mal Versuche, das Thema Japan aufzugreifen, die sind aber alle irgendwie gescheitert. Jetzt sehe ich schon das Potenzial für eine bessere Entwicklung, weil die Reformen, die unter Abe angefangen wurden, jetzt tatsächlich greifen. Wir sehen das erste Mal Inflation in Japan, die auch nicht nur bei 1%, sondern bei 3% plus liegt. Inflation war immer das, was man erreichen wollte nach Jahrzehnten von Deflation, aber nie geschafft hat. Die Bewertungen sind in Japan trotz der guten Wertentwicklung immer noch relativ niedrig. Auch das Wachstum spricht für den Aktienmarkt. Der Bondmarkt wird dann erst mal kein Thema mehr sein und deutlich abwerten, viele Investments werden dann eher in Aktien fließen. Und deswegen glaube ich, dass dieser Aufwärtstrend noch eine längere Haltbarkeit hat und den Japanern durchaus dazu verhelfen kann, mal ein bisschen mehr Kapital auch von internationalen Investoren zu bekommen.

Kommen wir geografisch wieder ein bisschen näher zu uns: Mit Blick auf das KGV sind deutsche Aktien gegenüber amerikanischen mindestens moderat, andere sagen historisch günstig bewertet. Sind die Amerikaner zu teuer oder besteht hier Nachholbedarf?

Tatsächlich sehen wir eine historisch große Spreizung zwischen den Kurs-Gewinn-Verhältnissen und aus meiner Sicht sind die Amerikaner auf jeden Fall zu teuer. Wobei das KGV des Indexes nicht die wirklichen Verhältnisse im Land wiedergibt. Die Großen haben das KGV unglaublich nach oben gezogen. Da liegen Nvidia, Amazon oder Tesla bei einem KGV von knapp 100, ein paar andere von den Top-7-Werten sind bei 30, 40, 50. Die haben alle ein deutlich überdurchschnittliches KGV und über ihre Marktkapitalisierung reißen sie den kompletten Index nach oben. Im Index sehe ich zwar 15% plus dieses Jahr und ich sehe ein hohes KGV, auch die Gewinnentwicklung ist ganz gut – aber wenn ich differenziere und sage, lassen wir mal die Top 10% weg und gehen da mal ans Eingemachte, dann sind die Kursgewinne schon ganz woanders, dann haben wir schon realistischere Kurs-Gewinn-Verhältnisse. In Deutschland sind die Kurs-Gewinn-Verhältnisse vergleichsweise günstig. Wenn man sich aber die Bewertungsverhältnisse und die wirtschaftlichen Aussichten so ansieht, muss ich sagen, dass es im Moment für die Eurozone und speziell für Deutschland auch nicht wirklich gut aussieht, was Wachstum betrifft. Wir sind jetzt drei Quartale in Folge so knapp an der Nulllinie herumgeschrammt. Wir haben letztes Jahr enorm Glück gehabt im Winter, dass dieser Gaseffekt nicht zu größeren Schäden geführt hat, sondern dass wir es ganz gut im Griff gehabt haben. Und gerade steigen die Energiepreise wieder relativ deutlich an und machen den Unternehmen das Leben schwer.

Haben Sie einen persönlichen Favoriten, der in keinem Depot fehlen sollte? Oder sehen Sie einen Sektor, der viel Potenzial verspricht?

Die erste Branche, die ich nennen würde, ist Infrastruktur. Ich hatte ja bereits erwähnt, dass dort in den nächsten Jahren unglaublich große Investitionen anstehen. Und das in ganz verschiedenen Bereichen – sei es IT, Gesundheitswesen, Verkehr, Elektromobilität, Nahrungsmittel – wo die Infrastruktur einfach weiter auf- und ausgebaut werden muss. Ich bin davon überzeugt, dass dieser Bereich enorm wichtig sein wird. Daher sollte er auch in einem mittel- und langfristigen Investmentportfolio eine ganz große Rolle spielen.

Von welchen Titeln und welcher Branche würden Sie momentan lieber die Finger lassen?

Japan hatte in den achtziger Jahren oder Anfang der Neunziger mal einen Marktanteil von 40% am MSCI World – das kann sich heute keiner mehr vorstellen. Jetzt stehen sie bei 6-7%. Japan hat eine wirklich enorm lange Phase des Abstiegs hinter sich, wo über den Immobilienmarkt, die Deflation, im Prinzip alles schlecht war und kein Wachstum hervorgerufen wurde. Man sieht das auch an der Währung. Der Yen ist katastrophal schwach, er ist gegenüber allen Währungen deutlich gefallen. Dabei war der Yen früher eine Krisenwährung, wurde zusammen mit dem Dollar als Währung behandelt, die Anleger in Krisensituationen immer gekauft haben. Davon ist der Yen im Moment weit entfernt.

Aber durch die Reformen von Abe sieht man jetzt wieder inflationäre Effekte. Die Zinspolitik ist die letzte Bastion, die langsam fällt. Und wenn die Zinsen wegen der Inflation steigen, dann muss Japan irgendwann stärker reagieren. Dann wird auch der Yen vielleicht seinen Wendepunkt mal finden, und dann werden die Zinsdifferenzen langsam kleiner. Das ist nicht unwichtig, weil viele Leute sich über Yen günstig verschuldet haben, sie haben also ganz niedrig verzinst Geld aufgenommen und haben es in anderen Bereichen angelegt. Wenn jetzt diese Schleuse geschlossen wird, dann wird einiges an Geld möglicherweise auch wieder zurückgeführt nach Japan. Denn auch die Japaner selbst haben mit dem günstigen Geld natürlich lieber woanders investiert als im eigenen Land.

Alles, was hohe Wachstumsraten hat oder was von hohen Bewertungsparametern betroffen ist, halte ich in der aktuellen Phase für schwierig, weil diese Unternehmen unter den hohen Zinsen und den höher werdenden Diskontraten bewertungstechnisch leiden werden. Jetzt ist eher die Zeit der Vorsicht und der Defensivität.

Dabei haben die Japaner ein Problem noch stärker als wir, nämlich die Demografie.

Das stimmt absolut! Aber die Japaner haben in den letzten Jahren versucht, ihre Basis für Arbeitskräfte zu erhöhen. Sie haben viele Ältere weiterhin beschäftigt, sie haben viele Frauen in den Arbeitsmarkt integriert. Man versucht also, die demographischen Probleme durch eine größere Partizipation irgendwie aufzufangen, mehr Frauen in Arbeit zu bringen und dann insgesamt länger zu arbeiten.

Überall auf der Welt hat man dieses demografische Problem. Auch in China spielt das eine riesige Rolle, weil das Problem dort in den nächsten Jahrzehnten noch deutlich schlimmer wird. Ich bin in diesem Zusammenhang sehr gespannt auf die Effekte von KI, weil man ja immer sagt, dass KI unheimliche Produktivitätsgewinne einbringen und dieses demografische Problem ein Stück weit kompensieren kann. Das ist noch sehr schwer zu quantifizieren, aber ich vermute, dass der Effekt eine Rolle spielen wird. Das Neue an dieser KI-Revolution ist ja, dass vor allem auch bessergestellte, akademische Berufe betroffen sind. Das war ja früher etwa bei der industriellen Revolution nicht der Fall. Meine Vermutung ist, dass wir die KI nutzen werden, um produktiver zu werden und das Feld freizumachen für andere Tätigkeiten.

Wir haben fast eine zweigeteilte Wirtschaft. Die Marktkapitalisierung hat sich komplett abgekoppelt von der Wirtschaft. Während die Top 7 etwa 30% des Indexes ausmachen, machen sie bei weitem nicht 30% der Wirtschaft aus. Das heißt, das Gros der amerikanischen Wirtschaft wird nicht vom Index abgebildet, sondern führt im Moment so ein bisschen ein Schattendasein. Wenn man nur den Index betrachtet, dann muss das KGV fallen, da sind die Bewertungsverhältnisse einfach zu weit auseinander, das sind sie ja selbst im Inland schon. Und diese Schere kann aus meiner Sicht auch nicht längerfristig so offen bleiben.

Zwar haben wir es geschafft, Projekte von Tesla und Intel zu bekommen, aber teuer subventioniert. Letztendlich gehen die Produkte ja gar nicht unbedingt nach Deutschland, sondern werden überall hin exportiert. Das heißt, wir subventionieren amerikanische Unternehmen, die ihre Produkte dann woanders vertreiben. Damit wird der Volkswirtschaft in Deutschland nicht so sehr geholfen.

Deutsche Unternehmen haben in der Vergangenheit die Anpassung an ganz verschiedene Umstände immer ganz gut geschafft, aber jetzt haben wir eine größere Situation. Gerade im Automobilbereich, dem Vorzeigesektor. Je mehr wir in die Elektromobilität reinkommen, desto weniger sehe ich noch die Markenvorteile, die wir immer hatten durch Qualität, durch tolle Motoren, durch tolles Getriebe, durch eine Präzisionskonstruktion, durch tolle Designs. Diese Wettbewerbsvorteile schwinden immer mehr. Bei dem Know-how für Batterieautos sind die Chinesen im Moment weltmarktführend – und die haben ihren Markteintritt hier in Europa noch gar nicht so richtig gemacht. Insofern bin ich nicht so optimistisch für die Eurozone, ich sehe da schon ein paar Schwierigkeiten auf uns zukommen.

Ein zweiter wichtiger Bereich ist für mich der Bereich Rohstoffe. Die Diskussionen bei den Rohstoffen um die Nachhaltigkeit sind natürlich absolut berechtigt und auch notwendig, aber man kann keine Energiewende herbeiführen, wenn man nicht die entsprechenden Rohstoffe dafür hat. Man kann keine Elektromobilität fördern, wenn man ohne seltene Erden keine Batterien bauen kann. Man kann keine Elektrostrominfrastruktur aufbauen, wenn man nicht das Kupfer hat, um die entsprechenden Leitungsnetze zu bauen. In den letzten Jahren ist das ein bisschen vergessen worden und in der Debatte um Nachhaltigkeit untergegangen. Da heißt es: "Rohstoffe sind ein dreckiges Geschäft, die muss man aus der Erde holen. Das ist in der Regel nicht sehr umweltfreundlich." Aber so ist bei Rohstoffen in den letzten Jahren einfach nicht viel investiert worden in neue Kapazitäten, in neue Vorhaben, in neue Minenunternehmen und das wird uns irgendwann fehlen.

Wir laufen in ein Zeitalter der Knappheiten hinein und das sind wir nicht gewohnt. Gewohnt sind wir aus den letzten 15 bis 20 Jahren, dass alles reichlich vorhanden ist, schnell verfügbar und kostengünstig. Aber alle Entwicklungen im Moment sprechen dagegen, dass das so weitergeht. Die Globalisierung hat einen Dämpfer bekommen, das verteuert die Wertschöpfungsketten. Es formieren sich neue geopolitische Blöcke wie die BRICS-plus-Staaten. Da sind Länder in einem Boot, die sich noch vor einiger Zeit kriegerisch gegenüberstanden und diese Länder haben nicht nur eine unglaublich große Bevölkerung, sondern auch sehr viele Rohstoffvorhaben. Und wenn die irgendwann sagen: „Leute, jetzt behalten wir mal die Rohstoffe lieber bei uns“, dann wird es schwierig. Daher muss man drauf achten, dass man geopolitisch nicht ganz den diplomatischen Anschluss verliert. Man muss nach wie vor im Gespräch bleiben, auch wenn diese Länder ihre eigenen Interessen haben und sagen, „Diese ganze wertebasierte Philosophie, die ihr im Westen habt, das ist schön und gut, aber das ist nicht unsere Welt. Wir sorgen dafür, dass es unserer Bevölkerung nicht schlecht geht und dafür verbrennen wir zur Not auch noch mehr Kohle.“ Aber alle Bemühungen um Klimawandel im Westen werden nichts nützen, wenn wir die großen Verschmutzerländer nicht vollständig mit an Bord bekommen. Und das kriegen wir nicht über Konfrontation, sondern meines Erachtens eher über Diskurs oder sogar Fremdinvestitionen hin. Daher glaube ich, dass Rohstoffe auch auf Dauer eine sehr bedeutende Rolle spielen werden, und dass wir natürlich auch andere Wege finden müssen, diese Rohstoffe zu gewinnen. Auf jeden Fall brauchen wir mehr Rohstoffe, sonst wird diese Knappheit uns daran hindern, den Wohlstand zu erhalten, den wir haben.

Wie sieht es bei Titeln aus dem Erneuerbare-Energie-Universum aus? Diese haben zuletzt deutlich unterdurchschnittlich abgeschnitten. Sehen Sie hier einen Lichtblick?

Ich habe neulich einen Chart gesehen, wo alternative Energien gegenüber den klassischen Energiesektoren abgetragen waren. Da ist die Performance genau gegenläufig verlaufen, also die alternativen Energien sind klar runtergekommen und die fossilen Energien deutlich gestiegen. Energie ist für mich ein extrem wichtiges Zukunftsthema und ich glaube, auch alternative Energien werden darin eine große Rolle spielen. China etwa ist ja neben der Tatsache, dass sie der größte Verschmutzer sind, auch der größte Produzent alternativer Energien. China weiß auch, dass die Umwelt nicht grenzenlos leiden kann. Ich glaube daher, dass sich diese starken Bewertungsdiskrepanzen auch wieder lichten werden. Ich glaube schon, dass wir im Bereich Solar, im Bereich Windenergie, im Bereich alternative Energien ganz generell in Zukunft viel investieren werden und auch viel Wachstum vor uns haben, der Anlegern wieder mehr Freude macht. Weniger als in den letzten zwei, drei Jahren ist auch schwer möglich. Trotzdem darf man auch die fossilen Energien nicht vergessen. Was die meisten Leute aus meiner Sicht verkennen, ist, dass wir noch ganz lange auf die fossilen Energien angewiesen sein werden. Auch wenn der Übergang noch so schnell geht, einfach um den Energiebedarf zu stillen, der ja immer größer wird, brauchen wir einfach fossile Energien für eine längere Übergangsphase.

Zur Person: Carsten Roemheld ist seit 2014 Kapitalmarktstratege bei Fidelity International. In dieser Funktion spricht er mit Medien, im TV und Radio über aktuelle Trends am Kapitalmarkt, Zentralbankpolitik oder wichtige makroökonomische Einflussfaktoren und deren Auswirkungen auf die globalen Finanzmärkte. Er tritt als Kapitalmarktexperte in diversen Börsenformaten auf und hat neben eigenen Blogs und Podcasts ein sehr erfolgreiches Webinar-Format etabliert, das alle 14 Tage für Kunden live gestreamt wird. 

Das Interview führte Tobias Möllers.