SERIE: DIE REFORM DER DAX-INDEXREGELN (2) - IM INTERVIEW: ACHIM MATZKE, COMMERZBANK

"Der MDax wäre der große Verlierer"

Nachteile von Dax-Aufstockung überwiegen laut Indexexperte - Kritik an Profitabilitätskriterium

"Der MDax wäre der große Verlierer"

Herr Matzke, wie beurteilen Sie die aktuell diskutierte umfangreiche Reform der Auswahlindizes der Deutschen Börse?Grundsätzlich geht die Reform des Indexsystems in die richtige Richtung, da das Ziel verfolgt wird, die Auswahlindizes zu verbessern. Die einzelnen Elemente der vorgeschlagenen Reform sind aber unterschiedlich zu bewerten. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass auch neue Indexregeln die Marktteilnehmer nicht vor Kursverlusten aufgrund von betrügerischen Aktivitäten wie im Fall Wirecard bewahren werden. Welche Kriterien eignen sich denn, um die Qualität eines Index zu bewerten?Es gibt mehrere wichtige Aspekte, die zur Messung der Indexqualität verwendet werden können. Zuerst sollte ein Index repräsentativ für das abzubildende Marktsegment sein und die dortige Marktentwicklung ansprechend abbilden. Zweitens sollte eine Vergleichbarkeit sowohl gegenüber der eigenen Historie als auch gegenüber anderen Aktienindizes gegeben sein. Drittens sollte der Index “Benchmark-Qualität” aufweisen, wobei in Deutschland die Vorgaben des Kapitalanlagegesetzes Berücksichtigung finden sollten. Viertens sollte der Index ein gutes Underlying für derivative Instrumente darstellen. Wie ist der Gesichtspunkt “Repräsentativität” für den aktuellen Dax 30 zu bewerten?Im Prime-Segment der Deutschen Börse befinden sich aktuell 313 Titel. Der aktuelle Dax 30 umfasst dabei – auf Basis der Free-Float-Marktkapitalisierung – bereits ungefähr 74,5 % des Prime-Segments. Dies ist im internationalen Vergleich für einen Blue-Chip-Index bereits ein sehr hoher Wert. Im Vergleich hat z.B. der Euro Stoxx 50 einen Anteil von ca. 55 % an den 296 Eurozonen-Aktien aus dem Stoxx 600. Der Dax kann und wird nicht repräsentativ für die deutsche Wirtschaft sein, da viele Großunternehmen, aber auch der in Deutschland sehr breite Mittelstand nicht oder nur unterproportional am Aktienmarkt vertreten sind. Welche Punkte der aktuell diskutierten Reform sehen Sie positiv?Der Wegfall des aktuellen Liquiditätskriteriums und Ersatz durch ein Mindestliquiditätskriterium geht in die richtige Richtung. Dies entwickelt sich zum internationalen Standard. Eine reguläre, halbjährliche Überprüfung der Index-Zusammensetzung auch für den Dax auf Basis der Free-Float-Marktkapitalisierung wäre ebenfalls positiv. Dies würde bewirken, dass Auf- und Entnahmen aufgrund von deutlichen Veränderungen bei der Free-Float-Marktkapitalisierung zeitnah im Index Berücksichtigung finden. Die Übernahme von Elementen aus dem deutschen Corporate Governance Kodex würde zu einer Qualitätsverbesserung in der Sichtweise vieler internationaler Marktteilnehmer führen. Damit alle Unternehmen in den Indizes dieses Kriterium erfüllen können, sollte es eine Übergangsfrist geben. Welche Reformpunkte sehen Sie kritisch?Ein Profitabilitätskriterium für die Aufnahme in die Auswahlindizes ist eher kritisch zu beurteilen. Denn die zu wählende Messmethode wie auch das Ergebnis dürften immer eine kontroverse Diskussion hervorrufen. Eine branchen- und sektorübergreifende Definition von Profitabilität ist bereits komplex. Das Beispiel von Tesla und die bisher nicht erfolgte Aufnahme in den S&P 500 verdeutlicht, welche indextechnischen Verwerfungen durch solche Hürden entstehen können. Welche konkreten Folgen hätte die Reform, sollte es bei einem Dax mit 30 Werten bleiben?Bei Anwendung dieser Reformvorschläge würde es beim neuen Dax 30 auf Basis der Free-Float-Marktkapitalisierungsregeln zu Veränderungen in der Zusammensetzung kommen. Der neue Dax 30 hätte inklusive Airbus einen Anteil von ca. 76,7 % am Prime-Segment und der MDax 60 einen von ca. 16,8 %. Das indextechnische Problem bezüglich der Airbus-Aktie, die bisher aufgrund des Liquiditätskriteriums im MDax verblieb, wäre hiermit gelöst. Im neuen Dax 30 hätte der dann kleinste Wert eine Free-Float-Marktkapitalisierung von knapp 10 Mrd. Euro, ein ansprechendes Niveau für Blue Chips im internationalen Vergleich. Was halten Sie von einer Aufstockung des Dax auf 40 Titel und der Reduzierung des MDax auf 50 Titel?Bei einer Aufstockung des Dax überwiegen die indextechnischen Nachteile. Zunächst hätte der neue Dax 40 einen Anteil von fast 83 % am Prime-Segment. Dies hat eher den Charakter eines Gesamtmarktindex als eines Blue-Chip-Index. Der kleinste Dax-40-Titel hätte nur eine Free-Float-Marktkapitalisierung von 7 Mrd. Euro. Aus indextechnischer Sicht wird die Qualität eines Blue-Chip-Index nicht besser, wenn einige Mid Caps hinzugenommen werden.Es wäre keine Überraschung, wenn die internationalen Investoren einen stärkeren Fokus auf den Dax 40 legen würden. Dann wären die 10 neuen Titel ebenfalls stärker im Fokus. Die verbleibenden 50 Titel im neuen MDax wären die Index-Verlierer, was sich mittelfristig in geringeren Handelsumsätzen an der Aktienbörse und auch verschlechterten Finanzierungsmöglichkeiten niederschlagen kann. Die Diversifikationsgewinne für den Dax wären also zu vernachlässigen?Obwohl bei einem Dax 40 die Titelanzahl um 33 % ausgeweitet würde, stiege die gebundene Free-Float-Marktkapitalisierung aktuell nur um ca. 8,2 % gegenüber dem neuen Dax 30. Deshalb überrascht es nicht, wenn die Repräsentanz von Sektoren und Branchen im neuen Dax 40 nur sehr gering von derjenigen im Dax 30 abweicht und fast kein Diversifikationsgewinn vorliegt. Der neue MDax 50 wäre der große Indexverlierer, da sein Anteil am Prime Standard von aktuell 19,2 % auf ca. 10,6 % fallen würde. Hierdurch würde praktisch eine indextechnische “Verzwergung” umgesetzt. Dabei hatte die Reform von 2018 mit der Aufnahme von Technologie-Titeln nach Ansicht vieler Beobachter erst einen indextechnischen Qualitätssprung für den MDax bewirkt.Richtig, die Aufbauleistung der vergangenen fast 25 Jahre zur Etablierung eines ansprechenden Mid-Cap-Segments an der deutschen Aktienbörse würde nun zum Teil zurückgedreht. Dem MDax würden zusätzlich seine überdurchschnittlich liquiden Aktien genommen, was sich dann aufgrund der geringeren Handelbarkeit des Segments auch für Investoren bei den Produkten mit MDax-Bezug auswirken sollte. Zusätzlich ist es möglich, dass auch die Coverage durch Analysten aufgrund des Fokus auf den neuen Dax 40 bei den MDax- und SDax-Titeln weiter abnimmt. Das Interview führte Alex Wehnert.