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Der Ölpreiseffekt am Rentenmarkt ist begrenzt

Von Carsten Lüdemann und Kristian Tödtmann *) Börsen-Zeitung, 15.10.2015 In der Debatte um die aus Sicht der internationalen Notenbanken viel zu niedrigen Inflationsraten spielt der Ölpreis stets eine prominente Rolle. Schließlich hat sich der...

Der Ölpreiseffekt am Rentenmarkt ist begrenzt

Von Carsten Lüdemann und Kristian Tödtmann *)In der Debatte um die aus Sicht der internationalen Notenbanken viel zu niedrigen Inflationsraten spielt der Ölpreis stets eine prominente Rolle. Schließlich hat sich der Preis für Rohöl auf etwa 40 Dollar pro Barrel seit Sommer vorigen Jahres mehr als halbiert. In den vergangenen Wochen hat der Ölpreis allerdings eine Gegenbewegung eingeleitet, und prompt steigen bei den Marktteilnehmern auch die Inflationserwartungen wieder ein wenig. Bei möglichen Konsequenzen für Notenbanken und Rentenmärkte gilt es jedoch zu beachten, aus welchen Gründen die Preise anziehen.In den USA wurde der Fracking-Boom Opfer seines eigenen Erfolges. Da aufgrund der stark gefallenen Preise die kostenintensive Förderung kaum mehr lohnt, wurden eine Vielzahl von US-Ölbohranlagen wieder stillgelegt und neue Fracking-Projekte fallengelassen. Die amerikanische Energieagentur EIA selbst prognostiziert, dass die US-Ölförderung bis Mitte 2016 weiter sinken wird, rechnet aber weiterhin mit einem Ölüberhang. Die Nachfrageseite hingegen wurde zuletzt durch eine Abschwächung der Weltkonjunktur, hauptsächlich aus den Emerging Markets heraus, abgebremst. Prognosen zufolge bleibt die globale Ölnachfrage zwar nach oben gerichtet, sollte aber nicht über 1 bis 1,5 % hinaus wachsen. Die jüngste Preiserholung wurde also hauptsächlich von der Angebotsseite getrieben. Eine zusätzliche Beschleunigung aufgrund eines stark steigenden Energiebedarfs scheint momentan eher nicht zu erwarten. Keine InflationsgefahrAus Sicht der Staatsanleihemärkte ist von großer Bedeutung, wie sich ein höherer Ölpreis auf das Inflationsumfeld niederschlagen würde. Hier sind zwei Einflusskanäle zu unterscheiden: der unmittelbare Effekt auf die tatsächlichen Inflationsraten und die Veränderung der langfristigen Inflationserwartungen. Wenn sich der Ölpreis auf ein neues Gleichgewichtsniveau von beispielsweise 60 bis 70 Dollar einpendelt, sind die Auswirkungen auf die Inflationsraten einmaliger Natur. Sie können von Land zu Land verschieden groß ausfallen, da sich die Gewichtungsschemata in den Warenkörben und die indirekten Steuern unterscheiden. Aber selbst in der Spitze dürften sie in den seltensten Fällen mehr als einen Prozentpunkt zur Inflation beisteuern. In einer Zeit, in der die Inflationsraten in den Industrieländern energiepreisbedingt nahe null liegen, ist dies keine dramatische Vorstellung.Theoretisch könnten noch die von den Zentralbanken gefürchteten Zweitrundeneffekte hinzukommen. In Euroland dürften die immer noch erhöhten Arbeitslosenquoten jedoch keine allzu großen Lohnsteigerungen zulassen, und in den USA verwundert schon lange, warum die Lohnentwicklung trotz annähernder Vollbeschäftigung bislang so verhalten geblieben ist. Alles in allem dürfte sich ein moderater Anstieg des Ölpreises daher kaum auf die Geldpolitik auswirken. Weder sinkt die Chance auf weitere Wertpapierkäufe der EZB noch wächst der Druck auf die Fed, die Leitzinsen schneller anzuheben. Von daher sollte ein ölpreisgetriebener Anstieg der Inflationsraten auch keine allzu großen Effekte auf die Rentenmärkte haben.Anders ist es, wenn sich der steigende Ölpreis nicht nur auf die aktuellen Inflationsraten, sondern auch auf die längerfristigen Inflationserwartungen niederschlägt. Aber auch hier ist die zeitweise enge Korrelation zwischen Ölpreis und Inflationserwartungen nicht auf eine monokausale Beziehung zurückzuführen. Vielmehr spielt ein dritter Faktor eine dominante Rolle: Ein kräftiges Wachstum der Weltwirtschaft geht typischerweise sowohl mit hohen Rohölpreisen als auch mit hohen Inflationserwartungen einher. Für den aktuellen Kontext bedeutet dies Folgendes: Wenn der Ölpreis allein aufgrund einer Angebotsverknappung ansteigt, die Marktakteure aber dennoch weiterhin von einer schwachen Entwicklung der Weltwirtschaft ausgehen, sollte sich der höhere Ölpreis nicht in entsprechend höheren Inflationserwartungen widerspiegeln. Insofern wäre auch von dieser Seite nicht mit gravierenden Belastungen zum Beispiel für Bundesanleihen zu rechnen. Spreads weiten sich ausAuf Industrieunternehmen hat sich der kräftige Rückgang der Ölpreise sehr unterschiedlich ausgewirkt. Während energieintensive Hersteller von gesunkenen Produktionskosten profitierten und konsumorientierte Firmen von ausgabefreudiger Kundschaft, litten Energielieferanten doch heftig. Besonders hart traf dies die noch junge Fracking-Industrie in den USA. Da dort neue Projekte überwiegend fremdfinanziert wurden, brachte der Einbruch der Ölpreise viele Unternehmen an ihre finanziellen Grenzen. In der Folge haben sich die Spreads einiger Junk-Bonds kräftig ausgeweitet und zogen die Renditen im High-Yield-Bereich insgesamt spürbar nach oben.In Europa spielt Fracking eine weit geringere Rolle als in den USA, doch Zulieferfirmen erlitten ebenfalls kräftige Einbußen. Aber auch traditionelle Energiekonzerne und Versorger haben mit dem Preisverfall zu kämpfen. Prominentestes europäisches Opfer ist der Rohstoffkonzern Glencore. Während der Aktienkurs des Unternehmens unmittelbar auf die schwachen Rohstoffpreise reagierte, hielten sich die Risikoaufschläge der Anleihen noch lange verhältnismäßig stabil. Die Belastungen für das Unternehmen und die gesamte Branche wurden wohl für eine Weile als verkraftbar angesehen. Erst in den Sommermonaten 2015 wurden zunehmend Bedenken geäußert, ob die hohe Verschuldung von Glencore angesichts dauerhaft niedriger Preise tragfähig bleiben kann. Seit Juli ist die Ausfallprämie für das Unternehmen gemessen am Credit Default Swap (CDS) von 200 Basispunkte (BP) auf fast 1 000 BP emporgeschossen. Diese heftigen Marktreaktionen wirkten sich dann auch auf andere Vertreter der Branche aus. Starke ReaktionenDie zuletzt recht starken Reaktionen am Kreditmarkt haben offengelegt, dass die Toleranz der Marktteilnehmer gegenüber einer Schwächephase im Energiesektor wohl überschritten worden ist. Wenn also der Ölpreis nun seinen Boden gefunden hat und in den kommenden Monaten wieder ein wenig zulegen kann, sollte sich auch die Nervosität über die Kreditqualität von Energiekonzernen etwas legen. Dies birgt die Chance, dass sich die Spreads entsprechender Firmen auch wieder leicht einengen.Ausgehend von den Emerging Markets hat sich der Ausblick für die Weltwirtschaft im Jahresverlauf eingetrübt. Eine leichte Erholung der Rohstoffpreise könnte in dieser Hinsicht guttun, indem sie den ölexportierenden Schwellenländern hilft, ihre Haushalts- und Leistungsbilanzdefizite unter Kontrolle zu bringen. Gleichzeitig sollten ein paar Dollar mehr beim Ölpreis den Aufschwung in der Eurozone nicht grundsätzlich in Frage stellen. Mit einem weiter moderaten Wachstum bleiben für europäische Industrieunternehmen die Umsatz- und Gewinnaussichten stabil, so dass sich Unternehmensbonds freundlich entwickeln dürften.—-*) Carsten Lüdemann und Kristian Tödtmann sind im Kapitalmarkt-Research der DekaBank tätig.