IM INTERVIEW: FRANK BILLER UND GERHARD WOLF, LANDESBANK BADEN-WÜRTTEMBERG

"Der Rating-Druck wird noch länger anhalten"

Bondexperten: Liquidität ist bei Autokonzernen heute kein Engpass mehr - Neuer Lockdown kommt Extremszenario gleich - Mehr Green Bonds erwartet

"Der Rating-Druck wird noch länger anhalten"

Die Covid-19-Krise hat den Automobilkonzernen kräftig zugesetzt. Der Markt quittierte das mit deutlichen Ausweitungen der Bonds-Spreads. Es kam zudem Rating-Druck auf. Die beiden Autobondexperten Frank Biller und Gerhard Wolf von der Landesbank Baden-Württemberg erwarten, dass der Rating-Druck noch länger anhält. Herr Biller, Herr Wolf, wie haben sich die Bonds der deutschen Autobauer BMW, Daimler und VW in der Covid-19-Krise geschlagen?Biller: Von allen Investment-Grade-Branchenindizes haben sich die Autos mit am stärksten ausgeweitet. Von Januar bis Anfang April stieg der Asset Swap – ASW – des iBoxx EUR Non Financials von 65 auf 190 Basispunkte (BP). Noch stärker weitete sich der ASW i-Boxx EUR Automobiles & Parts um 225 BP auf 320 BP aus. Bis heute fiel der ASW des Gesamtmarktes auf etwa 95 BP und der iBoxx Automobiles & Parts auf etwa 135 BP. Der Gesamtmarkt und die Automobilbranche liegen damit auf einem höheren Niveau als noch zu Jahresbeginn. Die Spreads der deutschen Hersteller weiteten sich bei Bonds mit Laufzeiten von rund fünf Jahren bei BMW bis April um rund 170 auf 220 BP, bei Daimler um rund 180 auf 235 BP und bei VW um etwas über 200 auf fast 300 BP aus. Aktuell notieren sie bei etwa 65 BP bei BMW, 85 BP bei Daimler und 125 BP bei VW. Damit liegen die Spreads ebenfalls höher als zu Jahresbeginn, wobei BMW den geringsten Anstieg von rund 10 BP verzeichnete und damit besser als die Marktausweitung um rund 30 BP im selben Zeitraum lag. Daimler und VW lagen mit einer Ausweitung um rund 30 BP beziehungsweise rund 35 BP etwa auf Marktniveau. Und wie sah die Entwicklung bei anderen europäischen und nichteuropäischen Autokonzernen aus?Biller: Bei PSA und Fiat Chrysler Automobiles (FCA), welche sich bis Anfang 2021 zusammenschließen wollen, weiteten sich die Spreads der Bonds mit Laufzeiten von rund fünf Jahren um etwa 60 auf 240 BP beziehungsweise um 80 auf 155 BP aus und bei Renault sogar um rund 150 auf 270 BP. Die schwächere Entwicklung dürfte auf das schlechtere Rating zurückzuführen sein, zumal Renault bei S&P mit “BB+” und negativem Ausblick eingestuft wird. PSA und FCA liegen hier mit “BBB-” beziehungsweise “BB+” Credit Watch Positive besser. Toyota als Investment Grade mit einer Einstufung von “A+” bei “S&P”, lag hier wesentlich besser mit einer geringen Ausweitung von 15 auf 35 BP. Mit welcher Performance der Bonds deutscher Autokonzerne rechnen Sie bis zum Jahresende?Wolf: Innerhalb des festverzinslichen Bereichs erwarten wir weiterhin eine Outperformance der Credits. Corporates sollten besser als Financials abschneiden. Die Treiber dafür sind die Erholung der Wirtschaft, die in vielen Bereichen besser läuft als befürchtet, die Konjunkturmaßnahmen der Politik und die Zentralbanken mit ihrer Liquidität, die weiterhin für ein anhaltend niedriges Zinsumfeld sorgt. Von dieser Marktentwicklung sollten auch die Autobonds profitieren. Hilfreich für die deutschen Autohersteller ist sicherlich auch die positive Entwicklung in China. Grundvoraussetzung ist, dass sich eine gewisse Normalisierung bei den Verkaufszahlen einstellt und die Lieferketten nicht durch neue Lockdown-Maßnahmen abreißen. Die Entwicklung der Fallzahlen bleibt das größte Risiko. Wie hat sich die Neuemissionstätigkeit bei deutschen und auch europäischen Adressen in den Monaten der Krise entwickelt?Wolf: Der Start ins Jahr war sehr verhalten. In den ersten beiden Monaten hatten wir nur 6,5 Mrd. Euro an Autobonds im Markt, während wir im Vorjahr im gleichen Zeitraum schon knapp 13 Mrd. Euro gesehen hatten. Im März lief gar nichts, aber dann ging es sehr schnell. Erst kam VW, dann Daimler. Interessant dabei ist, dass VW gleich mit einer Multitranchentransaktion und drei Bonds kam. Auch Toyota und Honda haben sich dann am Euro-Bondmarkt bedient. Das Muster war gleich wie 2009/2010 während der Lehman-Krise, nur dass der Markt diesmal schneller offen und aufnahmebereit war. Zuerst kamen die guten bis sehr guten Bonitäten zurück, im Juli dann auch wieder High-Yield-Unternehmen wie FCA und Faurecia. Natürlich musste der Spread deutlich erhöht werden. Toyota kam Anfang Januar mit sieben Jahren und 35 BP, im April zahlten sie dann 235 BP für acht Jahre. Aber recht schnell haben sich die Spreads dann auch wieder beruhigt. Rechnen Sie damit, dass die Unternehmen den Markt weiterhin stark beanspruchen werden? Welche Fälligkeiten stehen in diesem Jahr noch an, und welche kommen 2021?Biller: Im vergangenen Jahr kamen in den letzten drei Monaten noch 10,6 Mrd. Euro an Neuemissionen. Das könnte dieses Jahr ein ähnliches Niveau erreichen. Zum einen dürfte die Refinanzierung der Fälligkeiten 2021 anstehen. Zum anderen ist das aktuelle Zinsniveau günstig. Letzten Endes wird das sicherlich auch von der Gesamtmarktentwicklung abhängen.Wolf: Generell sind die großen Hersteller sogenannte Frequent Issuer. Sie refinanzieren sich und ihre Absatzfinanzierung ganz wesentlich und regelmäßig über den Kapitalmarkt. Sie brauchen diesen Finanzierungskanal und werden diesen daher sehr genau beobachten. Der Großteil der Refinanzierungen für 2020 dürfte bereits abgeschlossen sein bis auf Volkswagen mit rund 6 Mrd. Euro, BMW mit 3,5 Mrd. Euro und Daimler mit 2,1 Mrd. Euro. Im kommenden Jahr liegt das Volumen an Bondfälligkeiten bei den europäischen Herstellern bei rd. 54 Mrd. Euro. Wie ist es um die Liquiditätslage der Unternehmen BMW, Daimler und VW bestellt?Biller: Seit der Erfahrung von Lehman 2009 sind die Unternehmen sehr vorsichtig und vorausschauend unterwegs. Liquidität ist daher heute nicht mehr der Engpass. Die Unternehmen haben hohe Cash-Bestände, freie Kreditlinien, die zudem während des Lockdowns ausgeweitet wurden, und ein funktionierendes Cash-Management. Dazu sind die Märkte grundsätzlich offen und aufnahmebereit. Das Verhalten der Zentralbanken mit der Ausweitung der Bondankäufe tut ihr Übriges. Angesichts des Niedrigzinsniveaus haben Investoren Anlagedruck. So übersteigen beispielsweise bei VW die liquiden Mittel per Ende des zweiten Quartals von 61 Mrd. Euro die Bondfälligkeiten bis 2021 um das 2,5-Fache. Bei Daimler stehen liquiden Mitteln von 34 Mrd. Euro Bondfälligkeiten von 19,7 Mrd. gegenüber. Bei BMW sind 22,6 Mrd. Euro gegenüber 16,2 Mrd. Euro. Wie ist das Sentiment der Investoren bei neuen Bonds deutscher Adressen derzeit?Wolf: Natürlich haben die Investoren die fundamentalen Herausforderungen der Branche im Blick. Das sind die Transformation in der Antriebsart, die Digitalisierung, neue Mobilitätskonzepte und die Wettbewerbssituation durch neue Anbieter. Gleichzeitig steigt mit sinkenden Margen natürlich auch der Ratingdruck. Das spiegelt sich aber bereits in einem erhöhten Spreadniveau des Sektors gegenüber dem Gesamtmarkt wider. Größe und Qualität des Emittenten, die Struktur des Bonds und natürlich der Risikoaufschlag sind daher die entscheidenden Kriterien für Investoren. Umgekehrt steuern die Emittenten sowohl über die Spread-Einengung während der Emission als auch über die finale Bondgröße. Mit Cover Ratios – das Verhältnis Buch zu finalem Bondvolumen – von regelmäßig über zwei auch in den schwierigen Monaten April und Mai sieht man, dass sich Investoren und Emittenten gut einig werden. Zuletzt haben Daimler und VW auch ihre Debüt-Emissionen von Green Bonds gebracht, die auf gute Investorennachfrage trafen. Sollte man sich auf weitere Green Bonds der Autokonzerne einstellen?Biller: In der ersten Septemberwoche gab Daimler mit einer zehnjährigen Anleihe mit einem Volumen von 1 Mrd. Euro die erste grüne Anleihe aus. Die Emission stieß auf großes Anlegerinteresse und war mehr als vierfach überzeichnet. Volkswagen brachte jüngst gleich zwei Debüt-Green-Bond-Emissionen. Für die acht- und zehnjährigen Laufzeiten im Volumen von 1,25 Mrd. Euro beziehungsweise 0,75 Mrd. Euro lag das Buch bei mehr als 5,1 Mrd. Euro beziehungsweise mehr als 3,8 Mrd. Euro. Bemerkenswert ist dabei, dass die finalen Spreads bei Daimler etwa 10 BP und bei VW rund 20 bis 25 BP unter den Sekundärmarktbonds mit vergleichbaren Laufzeiten lagen. Damit musste nicht der sonst übliche Aufschlag von rund 20 BP gezahlt werden. Die Emissionen zeigen unseres Erachtens, dass Investoren ein sehr starkes Interesse an grünen Finanzierungen haben. Die Autokonzerne dürften einen steigenden Anteil an Green Bonds in ihre Finanzierung aufnehmen. Auf welche Default-Entwicklung stellen Sie sich in der Automobilindustrie und bei den Zulieferern in diesem und im nächsten Jahr ein?Biller: Während die großen Hersteller über gute Finanzpolster sowie freie Kreditlinien verfügen, könnte es vor allem für kleinere Zulieferer zunehmend schwieriger werden, falls die Automobilverkäufe und damit die Abrufvolumina der Hersteller niedrig bleiben. Neben den Belastungen durch Covid-19 drückt die nun beschleunigte Branchentransformation. Während die Fahrzeugverkäufe bei alternativen Antrieben mit Kaufprämien unterstützt werden, drückt die Diskussion um eine deutliche Ausweitung der CO2-Ziele auf den Absatz von Fahrzeugen mit klassischen Verbrennungsmotoren.Wolf: Der Produktionsstillstand im Frühjahr und der Absatzeinbruch sorgten für massive Rating-Aktionen. Fast alle Hersteller und Zulieferer sind von den Ratingagenturen mit einer Ratingabsenkung um eine Stufe versehen worden. Besonders heftig ist dies natürlich im High-Yield-Bereich. Größe, Breite der Aufstellung, produktseitig und regional, aber vor allem auch die Liquidität werden in den nächsten Jahren wichtige Einflussfaktoren sein. Viele der börsennotierten, bondemittierenden Unternehmen stehen grundsätzlich gut da. Aber der Ratingdruck in der Branche wird noch länger anhalten. Wie heftig würde ein zweiter Lockdown, der immer mehr diskutiert wird, die europäische und speziell die deutsche Autoindustrie treffen?Biller: Ein vergleichbarer Lockdown wie im Frühjahr wäre unseres Erachtens ein absolutes Extremszenario. Die Länder, die ihre Maßnahmen wieder verschärfen mussten, zum Beispiel Spanien, Frankreich, UK, befinden sich immer noch weit weg von den damaligen Maßnahmen. Deutschland steht zudem bei den Infektionszahlen wesentlich stabiler da. Israel hat eine Art flächendeckenden Lockdown wiedereingeführt. Dort liegen die Neuinfektionszahlen aber 30-mal über denen in Deutschland. Insgesamt gehen wir davon aus, dass ein so umfangreicher und flächendeckender Lockdown wie im April für Deutschland nicht mehr auftreten sollte. Vielmehr dürften regionale Maßnahmen zur Eindämmung lokaler Infektionsherde angewendet werden.Wolf: Ein vollständiger Lockdown ist also nicht unser Hauptszenario. Wenn er aber käme, hätten wir sofort wieder die gleiche Situation wie im Frühjahr: gestörte Lieferketten, keine Produktion und eine einbrechende Nachfrage. Diesmal könnte es dann aber kleine Zulieferer sehr hart treffen, was die Situation in der Branche noch mehr verschärfen würde. Wir müssen also alle umsichtig und verantwortungsbewusst handeln. Das Interview führte Kai Johannsen.