TECHNISCHE ANALYSE

Der S & P 500 wird zum Taktgeber

Von Jörg Scherer *) Börsen-Zeitung, 5.8.2015 Kaum ist mit Griechenland ein Krisenherd vom Radarschirm verschwunden, kommt mit der scharfen Korrektur am chinesischen Aktienmarkt ein neuer hinzu. Gemessen an den Unwägbarkeiten im bisherigen...

Der S & P 500 wird zum Taktgeber

Von Jörg Scherer *)Kaum ist mit Griechenland ein Krisenherd vom Radarschirm verschwunden, kommt mit der scharfen Korrektur am chinesischen Aktienmarkt ein neuer hinzu. Gemessen an den Unwägbarkeiten im bisherigen Jahresverlauf zeigen sich die europäischen Aktienmärkte von einer äußerst stressresistenten Seite. Das eigentliche Risiko bzw. die eigentliche Chance für die weitere Aktienmarktentwicklung liegt unseres Erachtens in den USA, denn wie so oft dürfte der S & P 500 seiner Rolle als entscheidender Taktgeber in den nächsten Wochen und Monaten gerecht werden.Die Wertentwicklung des S & P 500 im bisherigen Jahresverlauf kann getrost als volatiles Nullsummenspiel bezeichnet werden. Die schlechte Nachricht ist dabei, dass die Marktteilnehmer zuletzt im Dunstkreis der historischen Hochpunkte bei rund 2 130 Punkten immer wieder der Mut verließ. Andererseits fanden die amerikanischen Standardwerte regelmäßig im Bereich der 200-Tages-Linie – aktuell bei 2 069 Punkten – Unterstützung. In der Summe staut sich derzeit ein größeres Bewegungspotenzial auf, welches sich beispielsweise auch in extrem dicht beieinanderliegenden Bollinger-Bändern auf Wochenbasis widerspiegelt – in diesem Jahrzehnt lagen die Begrenzungen des Volatilitätsindikators niemals enger zusammen als derzeit. In der Vergangenheit war diese Konstellation oftmals ein zuverlässiger Vorbote eines nahenden Vola-Impulses.In dieser Gemengelage können es sich charttechnisch motivierte Anleger einfach machen und entsprechende Signalmarken definieren. Auf der Unterseite dürfte sich die aufgestaute Bewegungsdynamik entladen, wenn die Verlaufstiefs bei 2 044/40 Punkten unterschritten werden, die gleichzeitig als Nackenzone einer potenziellen Topbildung fungieren. Ziel von 2 230 PunktenAus einer dann abgeschlossenen oberen Umkehr ließe sich ein rechnerisches Abschlagspotenzial von knapp 100 Punkten ableiten, so dass das Level von 2 040 Punkten als Absicherung für bestehende Long-Positionen prädestiniert ist. Um dagegen neues Aufwärtsmomentum zu entfachen, ist ein Spurt über das bisherige Allzeithoch bei 2 135 Punkten vonnöten. Die Höhe der Schiebezone der letzten Monate nach oben gespiegelt ergibt ein kalkulatorisches Kursziel von 2 230 Punkten. Langfristig lässt sich aus dem größeren Pendant, in dem der S & P 500 in den Jahren von 2000 bis 2013 gefangen war, sogar ein Anschlusspotenzial bis rund 2 350 Punkte ableiten.Interessant ist in diesem Zusammenhang die jüngste Sentimenterhebung der American Association of Individual Investors (AAII). Während das neutrale Lager weiterhin gut gefüllt ist (38 %), explodierte der Anteil der amerikanischen Privatanleger, die negativ gestimmt sind, auf 40,7 %. Im Umkehrschluss verbleibt für die Bullen nur noch ein historisch niedriger Prozentsatz von 21 %. Eine Konstellation, in der mehr als drei Viertel der US-Privatinvestoren auf Sicht der nächsten sechs Monate skeptisch sind, passt im Normalfall nicht zur Ausprägung eines wichtigen Markttops. Stimmungslage unterstütztDie Stimmungslage sorgt also für einen unterstützenden Faktor. Was bedeutet dies alles nun für den heimischen Aktienmarkt? Der Dax ist ordentlich in die neue Woche gestartet, was den Bullen hilft – trotz der “Panne” in Form des Rücksetzers von Ende Juli -, weiter an die vieldiskutierte Korrekturflagge zu glauben. In diesem Zusammenhang kann der Wochenchart der deutschen Blue Chips möglicherweise eine wichtige Orientierung geben. In diesem Zeitfenster hat zuletzt die 38-Wochen-Linie – aktuell bei 11 063 Punkten – erneut ihren unterstützenden Charakter unter Beweis gestellt. Das Candlestick-Umkehrmuster in Form eines klassischen “Hammers” der letzten Woche verhindert zudem einen Rückfall in die seit dem bisherigen Rekordhoch bei 12 391 Punkten bestehende Konsolidierungsflagge mit einer oberen Flaggenbegrenzung bei derzeit 11 180 Punkten.Damit haben die positiven Implikationen aus dem nach oben aufgelösten Konsolidierungsmuster unverändert Bestand. Unter dem Strich stehen die Chancen deshalb durchaus günstig, dass das Aktienbarometer wieder den Weg nach Norden einschlägt. Das jüngste Verlaufshoch bei 11 802 Punkten bzw. das Hoch von Ende Mai bei 11 920 Punkten dienen dabei als die nächsten Anlaufmarken.Die Auflösung der angeführten Flagge lässt perspektivisch sogar einen Anlauf auf das bisherige Allzeithoch erwarten. Eines ist allerdings auch klar: In dem Moment, in dem charttechnisch motivierte Anleger stark über den erfolgten Ausbruch aus der o. g. Flagge argumentieren, gilt es einen Rückfall in das ehemalige Konsolidierungsmuster unbedingt zu verhindern. Realität wäre dieser, wenn die Haltezone aus der o. g. 38-Wochen-Linie, dem jüngsten Wochentief von 11 053 Punkten und der Aufwärtskurslücke vom 10. Juli im Tagesbereich mit einer unteren Gap-Kante bei 11 035 Punkten unterschritten wird.Wie so oft dürfte der Schlüssel für die weitere Aktienmarktentwicklung in den USA liegen. Ein Ausbruch auf der Oberseite beim S & P 500 dient dabei als Katalysator, um auch die deutschen Standardwerte in “uncharted territory” zu katapultieren. Das Glas ist dabei eher halb voll als halb leer.—-*) Jörg Scherer ist Leiter Technische Analyse bei HSBC Deutschland.