Gastbeitrag

Der Sweet Spot beim europäischen Direct Lending

Die Dynamik von KMU bietet eine potenziell attraktive Anlagechance. Das war in der Vergangenheit insbesondere bei Private Equity der Fall.

Der Sweet Spot beim europäischen Direct Lending

Gastbeitrag

Der Sweet Spot beim Direct Lending

Von Walter Liebe *)

Kleinunternehmen sind die Lebensader der europäischen Wirtschaft. In der Region sind rund 23 Millionen kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) ansässig, die Arbeitgeber für knapp zwei Drittel der Beschäftigten sind und einen jährlichen Beitrag von 3,4 Bill. Euro zur Wirtschaftsleistung erbringen. Für diejenigen, die imstande sind, in alternative Anlagen zu investieren, bietet die Dynamik solcher Unternehmen eine potenziell attraktive Anlagechance. Das war in der Vergangenheit insbesondere bei Private Equity der Fall, und jetzt, in einer Zeit höherer Zinssätze, höherer Inflation und niedrigen bis negativen Gewinnwachstums dürfte die Stunde der Anleihen schlagen.

Für Private-Debt-Investoren, also Direct Lending, sind KMU interessanterweise nicht Teil des Anlageuniversums. Aufgrund von Skaleneffekten und Gebührenvorteilen leihen die meisten Private-Debt-Fonds ihr Geld lieber größeren Unternehmen – dort, wo der Transaktionsumfang größer ist, dafür aber auch der Wettbewerb deutlich aggressiver. Wir glauben, dass den Investoren dadurch viele Chancen entgehen, weil sie die kommerzielle Agilität der europäischen KMU nicht sehen.

Attraktives Rendite-Risiko-Profil

Was viele Investoren von solchen Transaktionen abhält, ist, dass die direkte Kreditvergabe an kleinere Unternehmen ein hohes Risiko und ein komplexes Vorhaben darstellt, das eine stärkere Due Diligence erfordert. Erschwerend kommt hinzu, dass kleinere Unternehmen häufig weniger etablierte Reportingprozesse und Informationssysteme haben, so dass hier erst einmal viel Geld und Arbeit investiert werden muss. Aber genau hier liegt die Chance. Einem Investor mit der Kompetenz und Fähigkeit, kleinere Unternehmen mit der notwendigen Due Diligence genau zu beurteilen, bieten sich Anlagechancen, die die meisten anderen aufgrund des Aufwands links liegen lassen.

Nach althergebrachter Meinung ist mit der Kreditvergabe an kleinere Unternehmen mehr Risiko verbunden. Da die europäische Unternehmenslandschaft jedoch sehr vielfältig ist und die verfügbaren Kreditoptionen breit gefächert sind, können diese Risiken durch individuelle Kapitalstrukturen, robuste Kreditvereinbarungen und präzise Kreditauswahl abgemildert werden. Mit einer effektiven Due Diligence sind Debt Manager in der Lage, Unternehmen aufzuspüren, die ein deutlich stärkeres Kreditprofil und ein geringeres Risiko als das durchschnittliche Kleinunternehmen aufweisen. Eine solche Analyse ist entscheidend, da viele dieser Unternehmen nicht von Ratingagenturen bewertet werden. Daher liegt die gesamte Analysearbeit in der Verantwortung des Investors. Nach unserem Dafürhalten sind die wichtigsten Faktoren für die langfristige Attraktivität einer Investition in ein Unternehmen die zugrunde liegenden Bonitätsfundamentaldaten und die Art des Marktes, in dem es tätig ist. Sichtbare, wiederkehrende Umsätze sind ebenso wichtig wie hohe Gewinnmargen und eine flexible Betriebskostenbasis. Daher sind Unternehmen mit wenig langfristigem Anlagevermögen („asset-light“), dafür aber mit hohen Cashflows und Cash Conversion Rates, interessant.

Sichere Ausgestaltung

Diversifikation ist eine weitere Möglichkeit, mit der beim Direct Lending Risiken gesteuert werden können. Durch die Streuung über verschiedene Länder können Investoren das Portfolio diversifizieren. Diese Möglichkeit hat aber nicht jeder. Sie ist nur für größere Wertpapierfirmen mit einer weitreichenden Infrastruktur rentabel. Private Debt ist eine sehr „praxisnahe“ Anlageklasse: Um attraktive Geschäfte abzuschließen, müssen Portfoliomanager lokal präsent und vernetzt sein und ein genaues Verständnis der kulturellen und legislativen Nuancen der einzelnen Regionen haben. Dennoch bleibt bei allen Investments ein gewisses Restrisiko. Steigende Betriebskosten, darunter die Lohninflation, wurden nach unserer Einschätzung nicht vollständig an das System weitergereicht. Ein geringeres reales verfügbares Einkommen bei den privaten Haushalten wird den Umsatz vieler Unternehmen unter Druck setzen. Hinzu kommen steigende Finanzierungskosten, die die Cashflows auffressen. Wir rechnen mit höheren Ausfallraten bei Legacy-Transaktionen, insbesondere bei jenen aus den Jahren 2021 und 2022. Hier bietet sich eine echte Chance für Newcomer, die von Investitionen in solide Unternehmen mit unvollkommenen Bilanzen profitieren. In ihrer Fähigkeit, diese Chancen aufzuspüren und geschickt auszuwählen, werden sich die Gewinner von den Verlierern unterscheiden.

Der Anlegerschutz kann durch vertragliche Beschränkungen und Covenants (Kreditsicherungsklauseln) für den Kreditnehmer – mit Einschränkungen hinsichtlich Zinsdeckung, maximaler Verschuldung und Fixkostendeckungsgrad – realisiert werden. Diese Aspekte werden in der Regel einmal im Quartal getestet. Im Falle einer tatsächlichen oder drohenden Vertragsverletzung können sich die Kreditgeber direkter in das Unternehmen einbringen, um ihre Investitionen zu schützen. Darüber hinaus erleichtert der nicht ganz so intensive Wettbewerb unter den Kreditgebern am europäischen Markt für den unteren Mittelstand die Aufnahme solcher Schutzmaßnahmen in alle Kredittransaktionen.

Angesichts solcher Schutzmaßnahmen verwundert es nicht, dass Direct-Lending-Investments durchweg geringere Ausfallraten und höhere Erlösquoten im Vergleich zu Syndicated Leveraged Loans oder börsennotierten Hochzinsanleihen aufweisen. Denn Private-Debt-Investoren können selektiver vorgehen und tiefergehende Due-Diligence-Prüfungen durchführen. Sie profitieren auch von stärkeren Covenants und der Möglichkeit, eine stärkere Kontrolle auszuüben.

Direct Lending weist eine lange Erfolgsbilanz von im Verhältnis zu anderen festverzinslichen Anlageklassen höheren Renditen und geringerer Volatilität auf. Vor allem halten wir bei Private Debt das Risiko-Rendite-Profil für besser als bei Hochzinsanleihen. Sorgfältige Kreditauswahl, Maintenance Covenants, niedrigere Loan-to-Value(LTV)-Ratios und Leverage sowie Steuerung der Kapitalstruktur – all diese Faktoren bieten einzeln und zusammen deutlich mehr Schutz vor Verlusten. Im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld ist es zwingend erforderlich, die Rendite im Verhältnis zum Risiko (Leverage oder LTV) richtig einzuschätzen. Umsatzdruck in Verbindung mit einer sich aufblähenden Kostenbasis belastet die Gewinne und den Cashflow. Bei vielen High-Yield-Anlagen hat dies zu einer Weitung der Spreads geführt.

Private-Debt-Investoren sind in einer stärkeren Position, Unternehmen auszuwählen, deren starke Fundamentaldaten Schutz vor makroökonomischen Risiken bieten und so zum Werterhalt beitragen. Auch wenn börsennotierte Anleihen als liquider wahrgenommen werden, bedeutet das nicht, dass die Märkte immer groß genug sind, um die Anlagen zu einem vernünftigen Preis zu veräußern. Das gilt insbesondere, wenn sich die Wirtschaft ungünstig entwickelt, wie während der globalen Finanzkrise.

Ein weiteres Plus, insbesondere zum jetzigen Zeitpunkt im Konjunkturzyklus, ist, dass Direct-Lending-Investments gewissen Inflationsschutz bieten können, weil es sich um ein variabel verzinsliches Instrument mit niedrigem Durationsrisiko handelt, im Gegensatz zu börsennotierten Anleihen mit festem Kupon.

*) Walter Liebe ist Head of Intermediaries Deutschland, Pictet Asset Management.