Geld oder BriefLanxess

Der tiefe Fall eines Chemiekonzerns

Auf die Gewinnwarnung von Lanxess hagelte es seitens Analysten reihenweise Kurszielsenkungen. Dennoch ist die Aktie für einige Analysten weiterhin ein Kauf.

Der tiefe Fall eines Chemiekonzerns

Geld oder Brief

Der tiefe Fall von Lanxess

Von Annette Becker, Düsseldorf

Wie ein Stein ist die Aktie von Lanxess am Dienstag auf den tiefsten Kurs seit mehr als drei Jahren gefallen. Mit dem aktuellen Kursniveau von 26,65 Euro bringt Lanxess nur noch 2,3 Mrd. Euro auf die Waage. Auf dem bisherigen Jahreshoch Anfang Februar hatte sich die Marktkapitalisierung noch auf gut 4 Mrd. Euro belaufen.

Auslöser war die deftige Gewinnwarnung des Chemiekonzerns, die sich nicht nur auf das zweite Quartal, sondern auch auf das Gesamtjahr erstreckte. Wenngleich die Prognosekorrektur für das im Juni endende Jahresviertel mit einer Ergebnishalbierung im Vergleich zur Guidance deutlich üppiger ausfiel, wurden Investoren und Analysten vor allem vom Ausmaß der Revision für das Gesamtjahr auf dem falschen Fuß erwischt.

Statt der bislang avisierten 850 bis 950 Mill. Euro an operativem Ergebnis (Ebitda) vor Sonderfaktoren, kalkuliert Lanxess nur noch mit 600 bis 650 Mill. Euro. Selbst in der hausgemachten Krise 2013, als sich die Kölner an riesigen Anlageinvestitionen in das Kautschukgeschäft verhoben hatten, hatte der Chemiekonzern mit 735 Mill. Euro mehr verdient. Bis zur Gewinnwarnung erwarteten Analysten gemäß Vara Research im Konsens ein bereinigtes Ebitda im Gesamtjahr von 887 Mill. Euro. Doch selbst der Minimalwert von 844 Mill. Euro lag noch um ein Viertel über dem Mittelwert der neuen Prognose. Neuere Vara-Projektionen liegen noch nicht vor, doch fest steht: Die Korrekturen werden üppig ausfallen. Die DZ Bank beispielsweise rechnet neuerdings nur noch mit 626 Mill. Euro. Zuvor hatte Analyst Peter Spengler 906 Mill. Euro auf der Rechnung.

Praktisch alle Aktienexperten stutzten ihr Kursziel deutlich. Basierend auf der neuen Prognose, aus der Spengler seine Ergebnisziele für 2023 und 2024 abgeleitet hat, beläuft sich das Kurs-Gewinn-Verhältnis für 2023 auf das 59-Fache des bereinigten IFRS-Ergebnisses je Aktie und für 2024 auf das 18-Fache. Damit schlägt Lanxess sogar Covestro, deren Kurs derzeit von Übernahmespekulationen getrieben wird.

Margenziele ade

Wie andere Chemiekonzerne auch waren die Kölner mit zu viel Optimismus in das Geschäftsjahr gestartet und hatten trotz des schwachen Auftaktquartals weiter auf eine konjunkturelle Erholung in der zweiten Jahreshälfte gesetzt. Diese aber will sich nicht einstellen, zumal auch von dem für die chemische Industrie so bedeutsamen chinesischen Markt Signale für eine nachhaltige Erholung fehlen. Die Flaute in der Bauindustrie dies- und jenseits des Atlantiks tut ihr Übriges.

Damit rücken auch die hehren Margenziele – lange hatten die Kölner eine operative Umsatzrendite von 16 bis 18% als Ziel ausgegeben, auf dem jüngsten Kapitalmarkttag im November 2022 war sogar von bis zu 20% die Rede – außer Reichweite. Im vorigen Geschäftsjahr, das vom Ukraine-Krieg und der nachfolgenden Energiepreiskrise gekennzeichnet war, belief sich die Ebitda-Marge auf 11,5%. 2019 und damit vor Ausbruch der Coronakrise, wurde mit 15% der Spitzenwert der vergangenen zehn Jahre erreicht. Für einen Spezialchemiekonzern, als solcher will sich Lanxess verstanden wissen, ist das zu wenig. 

Portfolio umgebaut

Dabei hat Vorstandschef Matthias Zachert das Portfolio seit seinem Amtsantritt 2014 massiv umgebaut und den einstigen Bayer-Spin-off weniger zyklisch aufgestellt. Neben dem Verkauf des Kautschukgeschäfts und dem Rückzug aus dem Geschäft mit Hochleistungskunststoffen über ein Joint Venture mit dem Finanzinvestor Advent steckten die Kölner seit 2016 über 4 Mrd. Euro in den Ausbau weniger konjunkturanfälliger Geschäfte.

Schockwellen gesendet

Für mehr Resilienz sorgt das im rezessiven Marktumfeld aber offenbar nicht. Nun ist Lanxess kein Einzelfall. Nicht grundlos jagte die Gewinnwarnung am Dienstag Schockwellen durch den gesamten Chemiesektor. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass sich Lanxess schon vor der Gewinnwarnung in den vergangenen zwölf Monaten schwächer entwickelte als MDax und DJ Stoxx 600 Chemicals. Auch der Peergroup-Vergleich fördert ein wenig schmeichelhaftes Bild zutage: Mit Evonik und Clariant schnitten an der Börse auf Jahressicht nur zwei der sechs von Lanxess herangezogenen Sparringspartner schlechter ab.

Uneins sind sich die Analysten, ob das erreichte Kursniveau zum Einstieg genutzt werden sollte oder ob Lanxess die Talsohle noch vor sich hat. Von den 15 von Bloomberg genannten Analysten, die sich seit der Gewinnwarnung zu Lanxess äußerten, empfehlen sieben die Aktie weiterhin zum Kauf, sieben sprechen sich für Halten des Werts aus. Die Kursziele reichen von 28 Euro bis 65 Euro. Nach Einschätzung von Thomas Swoboda (SocGen), der sein Kursziel von 60 auf 42 Euro zurücknahm, ist die Aktie überverkauft. Konstantin Wiechert (Baader Bank) reduzierte sein Kursziel von 66 auf 42 Euro, rät aber mit Verweis auf künftig niedrigere Material- und Logistikkosten sowie die erwartete Absatzerholung zum Kauf.  Auch bei Andres Castanos-Mollor (Berenberg) überwiegt der Optimismus, er senkte das Kursziel lediglich auf 49 (56) Euro.

Deutlich pessimistischer zeigen sich die Analysten von HSBC, Stifel, J.P. Morgan, DZ Bank und Jefferies. Sie raten nur noch zum „Halten“ der Aktie. Andreas Heine (Stifel), der sein Kursziel auf 33 (51) Euro stutzte, schließt weitere zyklische und strukturelle Risiken nicht aus. Chris Counihan von Jefferies sorgt sich ebenso wie Chetan Udeshi von J.P. Morgan um die hohen Schulden, die sich nach den jüngsten Zukäufen aufgetürmt haben. Zwar habe Lanxess zwei Jahre Zeit, bevor eine größere Refinanzierung anstehe, doch dürfte der Schuldenberg die Anleger bei gleichzeitigem Druck auf den Cashflow abschrecken. Nimmt man die neue Ebitda-Prognose als Basis, war Lanxess zum Stichtag 31. März mit einem Leverage vom 5,8- bis 6,3-Fachen unterwegs.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.