Der Westen hat die Kontrolle verloren
Ölmarkt
Westen hat
Kontrolle verloren
Von Dieter Kuckelkorn
In der zu Ende gehenden Handelswoche hat der Brent-Ölpreis erstmals seit November vergangenen Jahres ein Niveau von fast 98 Dollar je Barrel erreicht. Das ist bemerkenswert, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Notierung im Juni noch zeitweise unter die Marke von 72 Dollar gefallen war. Damals hatten Saudi-Arabien und Russland als Schwergewichte des Kartells Opec plus beschlossen, dass es so nicht weitergehen kann: Saudi-Arabien benötigt einen Ölpreis von mindestens 80 Dollar, um einen ausgeglichenen Staatshaushalt zu realisieren, Russland muss bekanntlich den Krieg in der Ukraine finanzieren. Zu diesem Zeitpunkt war bereits ein heftiger Kampf um die Kontrolle des Ölmarktes zwischen den westlichen Industrienationen unter Führung der USA und den Produzentenländern ausgebrochen. Diese Auseinandersetzung wurde mit harten Bandagen ausgefochten, wie der Versuch von G7 und EU zeigt, eine niedrig angesetzte Preisobergrenze für per Schiff durchgeführte russische Ölexporte durchzusetzen. Angesichts eines Preisniveaus von fast 98 Dollar kann man nun feststellen, dass der Westen den Kampf verloren hat, Saudi-Arabien und Russland haben ihre Kontrolle des Ölmarktes verteidigen und ausbauen können. Das aktuelle Preisniveau tut den von der Rezession und den eigenen Sanktionen getroffenen Industrieländern weh. Und in den USA hat der inzwischen sehr hohe Benzinpreis traditionell einen spürbaren Einfluss auf den Ausgang der Präsidentenwahlen, die im November 2024 anstehen.
Für einen Ansehensverlust des Westens sorgt zudem, dass Russland derzeit sein Rohöl der Sorte Urals zu rund 30% über der G7-Preisobergrenze von 60 Dollar weltweit verkaufen kann. Und die aus diesem Öl vornehmlich in Indien hergestellten Ölprodukte werden zu einem hohen Anteil ausgerechnet von der EU importiert, der die Entwöhnung von russischen Energieträgern nicht gelungen ist. Aber die Lage könnte sich insbesondere für Europa noch weiter verschärfen: Sollte Russland nicht im Oktober ein jüngst verhängtes Exportverbot für Diesel aufheben, droht eine Knappheit des wichtigsten Treibstoffs der weltweiten Logistik, von der die EU stark betroffen wäre.