DerivateXXL - eine Revolution im Stammdatenbereich
Vor ein paar Wochen war in der Presse zu lesen, dass Volkswagen die Entwicklung und Produktion sämtlicher Autos radikal vereinheitlicht. Ziel sei es, Verbundeffekte zu nutzen und in unterschiedlichen Marken und Baureihen die gleichen Teile zu verbauen. Dies solle Kosten sparen und auf lange Sicht den Weg zur globalen Marktführerschaft im Automobilbereich ebnen. Nun will die Börse Stuttgart nicht zur weltgrößten Börse werden, die Idee der Vereinheitlichung ist aber auch bei uns ein zentrales Thema. Die technischen Herausforderungen, vor denen Börsenplätze im Jahr 2012 stehen, sind gewaltig: Die Anzahl an handelbaren Produkten wächst stetig und liegt – getrieben vom derivativen Wertpapierbereich – momentan bei rund 1 Million. Damit steigt selbstverständlich auch die Anzahl der Delistings sowie der täglichen Pflegeaufgaben in den IT-Systemen, etwa zur Aktualisierung der Finanzierungslevels. Nicht zuletzt aufgrund der gestiegenen Volatilitäten nimmt zudem die Summe der Ereignisse, die einen Einfluss auf die einzelnen Produkte haben, wie beispielsweise Barrierebrüche oder Knock-outs, zu. Vielzahl an DatenZu jedem einzelnen Wertpapier ist eine Vielzahl an Daten hinterlegt, die exakt die Produktausgestaltung beschreiben. In den sogenannten Stammdaten sind Bezugsverhältnis, Barrieren oder der Basispreis eines Wertpapiers vermerkt. Mit dem wachsenden Produktuniversum steigen somit auch die Anforderungen an die technischen Systeme der Börsen. Eine immer größer werdende Datenmenge muss in immer kürzeren Zeitabständen verarbeitet und aktualisiert werden. Um dies zu ermöglichen, müssen nicht nur schnellste Datenkanäle zur Verfügung stehen. Auch die Schnittstellen sind von entscheidender Bedeutung, damit diese nicht zum Flaschenhals bei der Datenverarbeitung werden.Die Branche weiß um die Herausforderungen und hat deshalb gemeinsam eine Lösung erarbeitet. Die Idee dahinter ist wegweisend: die Automatisierung des Listingbereiches. Mit DerivateXXL wird erstmals ein einheitlicher Schnittstellenstandard für verbriefte Derivate geschaffen. Die Innovation liegt darin, bestehende Prozesse an den Schnittstellen um ein Vielfaches effizienter zu gestalten. Dies kommt einer Revolution im Anlieferungsprozess bei Stammdaten gleich, vergleichbar mit der Einführung des Fließbandes durch Henry Ford.Wie im Automobilbereich ist die Reduktion von Kosten auch in der Derivatebranche einer der Antriebsfaktoren für die Standardisierung. Bisher war die Ver- und Bearbeitung der Stammdaten an den Börsen mit hohen Kosten verbunden. Dies lag vor allem an der IT-Infrastruktur, die in hochvolatilen Marktphasen sehr stark beansprucht wird. Neben der hohen Zahl an Emissionen muss ein Großteil der Produkte sekündlich aktualisiert werden. Bei der aktuellen Produktzahl von rund 1 Million Papieren entsteht dabei ein riesiger Datenstrom, der den Handelsplatz vor enorme systemtechnische Herausforderungen stellt. Darüber hinaus mussten Stammdaten von Hand nachbearbeitet werden. Als Konsequenz waren unsere Fachleute häufig mit verhältnismäßig einfachen manuellen Tätigkeiten gebunden. Durch die Vereinheitlichung der Datenschnittstellen reduziert sich der Aufwand für die Nachbearbeitung deutlich und unsere Mitarbeiter können sich auf wichtigere Aufgaben konzentrieren. Gleichzeitig wird durch den Wegfall der Nachbearbeitung eine mögliche Fehlerquelle ausgeschaltet und so die Datenqualität nachhaltig verbessert.Eine Schnittstelle wäre allerdings keine Schnittstelle, wenn sie nur Kontakt zu einer Seite hätte. Das Ergebnis auf Empfängerseite hängt selbstverständlich immer davon ab, welche Qualität die Daten des Senders – in diesem Fall der Emittenten – haben. Bei DerivateXXL werden die Daten unmittelbar während des Datenaustauschs geprüft. Für einen der beteiligten Emittenten hat unser Partner, das Softwarehaus EffCom, eine Validierung entwickelt, mit der die Qualität der Daten direkt bei der Eingabe überprüft wird. So lässt sich nicht nur der Aufwand auf Seiten der Börse, sondern auch bei den Emittenten reduzieren. Sie können die Durchlaufgeschwindigkeit im eigenen Unternehmen sowie die Gesamtprozess-Laufzeit für das Listing an den Börsenplätzen reduzieren und haben somit einen deutlichen Effizienzgewinn. Neben der Aufwandsersparnis gibt es einen weiteren Kostenfaktor, der auf Emittentenseite eine große Rolle spielt. Banken, die Stammdaten neuer Zertifikate und Hebelprodukte über DerivateXXL an die Börse Stuttgart übermitteln, zahlen deutlich weniger Listinggebühren. Dadurch, dass wir die Kostenersparnis auf unserer Seite durch geringere Listinggebühren direkt an den Emittenten weiterreichen, sorgen wir also gleichzeitig dafür, dass der neue Standard schnell auf breiter Ebene implementiert wird.Das Ziel von DerivateXXL ist es, einen gemeinsamen Schnittstellenstandard für die gesamte Branche zu schaffen. Damit dieser Standard von möglichst vielen Marktteilnehmern genutzt wird, wurden alle relevanten, am Lebenszyklus von verbrieften Derivaten beteiligten Unternehmen ins Boot geholt. Dazu gehören neben den beiden größten börslichen Handelsplätzen für verbriefte Derivate in Deutschland, der Börse Stuttgart und Scoach, auch der Datendienstleister WM Datenservice sowie die größten Emittenten. Um dem neuen Standard auch darüber hinaus zum Durchbruch zu verhelfen, ist es das gemeinsame Verständnis aller Projektteilnehmer, keinerlei finanzielle Forderungen für die Nutzung der Schnittstelle geltend zu machen. Ähnlich wie bei frei lizenzierbarer Software steht der neu geschaffene Standard allen Marktteilnehmern kostenlos zur Verfügung. Außerdem wurde DerivateXXL als offener Schnittstellenstandard entwickelt, das heißt, sämtliche vorhandenen Dokumente zu dieser Schnittstelle werden offengelegt. Verschlüsselte ÜbertragungDie Übertragung der Stammdaten erfolgt verschlüsselt über einen über das Internet erreichbaren Webservice. Mit diesem werden die Emissionsdaten direkt zum Listing an der Börse übermittelt. Damit die Datensicherheit stets gewährleistet ist, wird der Transfer durch verschiedene Mechanismen gesichert. Die Übertragung zur Börse erfolgt über ein SSL-Server-Zertifikat. So ist gewährleistet, dass tatsächlich der gewünschte Absender mit der Börse kommuniziert. Umgekehrt wird der Absender über sein SSL-Client-Zertifikat eindeutig identifiziert. Zuletzt wird auch die Integrität der Nachrichten selbst über diese Zertifikate sichergestellt. Mit DerivateXXL ist also nicht nur ein einheitlicher Produktstandard definiert, sondern auch ein neuer Level in puncto Sicherheit. Um beim Vergleich mit der Automobilindustrie zu bleiben: Ab sofort gibt es den Sicherheitsgurt auch auf der Datenautobahn im Stammdatenbereich. 90 Prozent des MarktesMomentan können Emittenten ihre Stammdaten noch nicht für alle Zertifikate und Hebelprodukte über DerivateXXL an die Börse Stuttgart weiterleiten. Um eine möglichst breite Marktdurchdringung zu erreichen, erfolgte die Umsetzung zunächst für die volumenstärksten Produkte, wie klassische Bonus- und Discount-Zertifikate, Knock-out-Produkte und Optionsscheine. Mittelfristig sollen mehr als 90 % der in Deutschland gelisteten derivativen Produkte abgebildet werden können. Um dies zu erreichen, werden weitere Partner an Bord geholt. Neben der Commerzbank AG, die bereits zum Start von DerivateXXL im August 2011 dabei war, werden in den kommenden Monaten die Deutsche Bank AG sowie die HypoVereinsbank an das System angebunden. Im Moment gibt es darüber hinaus Vereinbarungen mit acht weiteren Emittenten, die den gemeinsamen Datenstandard nutzen wollen.Auch die Schnittstelle selbst wird zukünftig weiter ausgebaut. Die weitere Entwicklung von DerivateXXL umfasst dabei mehrere Aspekte. Zum einen ist es möglich, die Datenbasis der Schnittstelle weiter zu verbreitern. Das heißt, dass Emittenten eine größere Bandbreite an Datenfeldern für jedes Wertpapier zur Verfügung steht. Darüber hinaus könnte die weitere Entwicklung auch das Life Cycle Management bei verbrieften Derivaten forcieren. Zukünftig soll es möglich werden, sämtliche Abläufe vom Listing bis zum Delisting eines Wertpapiers zu automatisieren. Auf lange Sicht soll DerivateXXL so den größten Teil des Produktuniversums im derivativen Wertpapierbereich abdecken. Qualität für den AnlegerBei DerivateXXL handelt es sich um eine Initiative der gesamten Derivateindustrie. Die Neuerungen sind wegweisend für die gesamte Branche. Von alldem bekommt der Anleger jedoch nur wenig mit. Die zentrale Frage ist also, wie Privatanleger von einer solchen Vereinheitlichung der Schnittstellen im börslichen Wertpapierhandel profitieren. Mit DerivateXXL sind zukünftig für jedes Produkt die korrekten Daten hinterlegt. Basiswerte, Barrieren, Handelszeiten und viele weitere Daten sind stets auf dem neuesten Stand und werden auf schnellstem Wege aktualisiert. Das trägt maßgeblich zu einer Verbesserung der Handelsqualität bei. Diese kommt direkt dem Anleger zugute. Im Grunde verhält es sich wie mit vielen Innovationen im Automobilbau: Der Autofahrer selbst bekommt von diesen im Idealfall gar nichts mit, genießt aber einen höheren Fahrkomfort.