"Derzeit präferieren wir kurzlaufende Anleihen"
Das Jahr 2018 kann für Renten-Investoren unruhiger als die Vorjahre werden, warnt im Interview der Börsen-Zeitung Gabriel Panzenböck. Der Rentenfondsmanager von Raiffeisen Capital Management rechnet mit einer Bewegung der zehnjährigen Bundrendite in Richtung 1 %. Auf Länderebene gibt er spanischen Bonds derzeit denen aus Italien eindeutig Vorrang.- Herr Panzenböck, schauen wir eingangs doch kurz auf das Jahr 2017 zurück, als der Euro um gut 14 % zum Dollar aufwertete. Das macht Importe billiger und dämpft die Inflation. Hat die Euro-Aufwertung also die Normalisierung der Geldpolitik in der Eurozone verlangsamt?Als der Euro stark anstieg – vor allem wegen der Erwartung steigender Zinsen -, ist die EZB dann schon nervös geworden und hat das Thema Aufwertung in ihr regelmäßiges Statement nach der Ratssitzung aufgenommen. Zuletzt war die Euro-Aufwertung jedoch mehr aus dem steigenden Wachstum zu erklären. Die Indikatoren für die Konjunktur sind stark. Wir wachsen in der Eurozone über Potenzial, das ist eine gute Art von Konjunktur. Wenn die Euro-Aufwertung aufgrund der Konjunktur passiert, dann kann die EZB viel besser damit leben. Es ist allerdings auch mehr eine Dollar-Schwäche als eine Euro-Stärke.- Welches konjunkturelle Szenario für die Eurozone ist derzeit in der Zinsstrukturkurve eingepreist?Der Markt hat anerkannt, dass die Quartalswachstumsraten über dem Potenzial liegen, das auf Quartalsebene 0,4 % oder etwas weniger betragen dürfte. In diesem Umfeld ist die Geldpolitik akkommodierend, die Fiskalpolitik mehr oder weniger neutral, und die Unsicherheitsschocks sind draußen. Zugleich ist aber die Produktionslücke noch immer groß, was sich an der historisch betrachtet noch immer hohen Arbeitslosigkeit zeigt. Man kann darüber diskutieren, was in den Jahren 2011/12 tatsächlich an Wachstumspotenzial zerstört wurde. Aber es ist auf jeden Fall noch eine Lücke vorhanden, deshalb ist das Wachstum derzeit auch nicht inflationär. Ein Wachstum von jeweils 0,5 % in den nächsten vier Quartalen scheint mir eine sehr gute Prognose zu sein. Das Wachstum wirkt gesund im Sinne, dass es selbsttragend ist. Daran hat sich der Markt gewöhnt, jetzt fragt sich natürlich jeder, wann sich die Potenziallücke schließt. Je früher dies geschieht, desto schneller kann es inflationär werden. Dafür ist die Markterwartung noch sehr verhalten. Kurz gesagt: Die Konjunktur bleibt auf Jahressicht gut, die Inflation wird nicht in den Himmel wachsen. Aber es gibt die Chance, dass sich die Inflationserwartungen schneller normalisieren, als der eine oder andere dies gewohnt ist.- Hat der Markt eine Beschleunigung der Inflationserwartungen im Blick?Mit kommt es eher so vor, als ob die Risiken nicht richtig bepreist sind. Die Leute unterschätzen, dass diese Phase, in der die Inflation so niedrig ist, auch einmal zu Ende gehen wird. Ich bin rund 20 Jahre im Geschäft, und mir kommt es so vor, als hätten die Marktteilnehmer nur ein Gedächtnis von drei Jahren. Wenn der Arbeitsmarkt einmal gefüllt ist, dann kann es auch zu Überwälzungen kommen, wie es die Phillips-Kurve lehrt. Für einen Nachfolger von EZB-Präsident Mario Draghi wird es auch nicht einfach sein, er kann nicht auf einen Knopf drücken und einen Inflationsanstieg beenden. Wir wissen alle, dass es Verzögerungen von bis zu einem Jahr in der Übertragung der Geldpolitik gibt. Es ist eine berechtigte Kritik an der EZB, dass sie sich so lange über das Ende von Quantitative Easing, des QE, hinaus auf die Nullzinsen festgelegt hat.- Besteht also ein Risiko, dass die Inflation das Ziel der EZB von knapp unter 2 % überschießt?Die Inflation wird nicht deutlich überschießen, aber es kann schon auch mal passieren, dass sie überschießt. Dieses Risiko ist in den inflationsindexierten Anleihen, die uns über den Renditeabstand zu den klassischen Anleihen eine Idee dazu geben, was der Markt an Inflation erwartet, nicht genügend reflektiert. Ich glaube allerdings nicht daran, dass die Inflation kommen muss, weil die Notenbankbilanz aufgebläht wurde. Gleichzeitig schrumpfte nämlich die Bilanz des Geschäftsbankensektors. Die EZB tat genau das, was ein Lender of Last Resort macht. – Bei der Inflation richtet sich der Blick oft auf die volatilen Energiepreise. Wie steht es um die Lohnentwicklung, die sich vor allem in der Kernrate äußert?Ja, neben dem Energiethema geht es bei der Inflation um Löhne. Und da müssen die Arbeitnehmer auch mal wieder zugreifen. Es ist ein bisschen aus der Wahrnehmung verschwunden, dass man sich Produktivitätsfortschritte abgelten lässt. Die Gewerkschaften sind nicht mehr das, was sie mal waren. Die Arbeitnehmer haben in der jüngeren Vergangenheit gelernt, dass sie eine schwache Position am Markt haben und ihr Verhalten darauf eingestellt. Etwas zu fordern, müssen die Akteure erst wieder lernen. Als Erste in Europa werden dies die Deutschen wieder lernen können. Wenn etwas auf der Lohnseite passiert, dann wird der Rentenmarkt leiden. Wann dies passieren wird, kann man seriös nicht sagen. Aber das wäre letztlich das Beste, was uns passieren kann. Das wäre die Normalisierung, und die Notenbank kann wieder normale Zinspolitik betreiben. Und der deutsche Sparer würde wieder nominal Zinsen bekommen. Ich glaube, dass Draghi sich nichts anderes wünscht, als dass er endlich die Zinsen anheben kann. Damit das in seiner bis Herbst 2019 dauernden Amtszeit noch passiert, muss sich die Inflation aber noch ein bisschen mehr zeigen. Und es darf kein Unfall in Italien passieren.- Droht also ein Crash am Rentenmarkt?Der Rentenmarkt preist aktuell ein, dass die Realzinsen für sehr lange Zeit sehr niedrig bleiben müssen. Nun, vor zwei Jahren war das realistischer. Solange mittels QE die Bonds weggekauft werden, kann der Markt solche Szenarien preisen. Aber es besteht die Gefahr, dass es hier zu einer Anpassung kommt. Meine Botschaft ist aber: Der Rentencrash steht heuer nicht bevor, aber 2018 kann ein unangenehmeres Rentenjahr als die Vorjahre werden – wobei auch 2017 schon nicht so ganz super war.- Von einem drohenden Crash am Rentenmarkt wird ja schon seit 2009/2010 gesprochen.Das ist faszinierend. Ich bin ja nun schon seit 20 Jahren im Geschäft, und ich erinnere mich, dass man immer in einem Fünfjahreszyklus dachte. Nun dauerte es ein bisschen länger. Bislang dachten viele, ein Rentencrash könne ja gar nicht kommen. Das Argument ist: Obwohl die EZB die Anleihekäufe reduziert und die Federal Reserve ihre Bilanzsumme schrumpft, wächst wegen den Japanern noch immer die globale Zentralbankbilanz. Argumentiert wird, dass deshalb ein Deckel auf dem langen Ende liegt und nur am kurzen Ende die Zinsen steigen. Mir scheint, in diesem Jahr ist dieses Argument erstmals nicht mehr der Konsens. Mein Lieblingsgegenargument ist: Wenn QE global ist, dann sind 2 % Rendite bei zweijährigen US-Staatsanleihen auch global.- Was erwarten Sie für die Bund-Renditen?Wir haben in Wien natürlich auch nicht die Glaskugel. Ich bin aber der Meinung, dass wir dieses Jahr eine gute Chance sehen, uns Richtung 1 % zu bewegen. Einen gewissen Weg sind wir schon gegangen. Die Renditen steigen, weil klar ist, dass QE zu Ende gehen wird, gleichzeitig sind wir vom absoluten Niveau her jedoch noch immer relativ tief. Man wird einen Lift-off der Renditen gestalten. Man muss ihn aber so gestalten, dass wir ihn alle aushalten. Meinen Kunden ist klar, dass es schwer wird, im Jahr 2018 mit einem Eurozonen-Basisinvestment Geld zu verdienen. In einer Asset Allocation ist dies aber sinnvoll, denn die Korrelationen funktionieren. Die Rentenmärkte sind schon keine schlechte Versicherung gegen einen fallenden Aktienmarkt. – Wie investieren Sie derzeit in Euro-Anleihen?Zunächst hoffe ich, dass meine Kunden eine Asset Allocation betreiben und ich nur ihren Anteil Euro-Anleihen manage. Naturgemäß gehen wir das taktisch an. Derzeit präferieren wir kurzlaufende Anleihen, auch weil wir langlaufende Bonds kritisch sehen. Es muss nicht der großen Rentencrash kommen, aber in kurzen Laufzeiten ist man besser aufgehoben. Auf Länderebene haben wir uns in den letzten Jahren in der Euro-Peripherie sehr wohl gefühlt, sind dort aber jetzt erstmals wieder zurückhaltend aufgestellt. Es kann relativ schnell ein Unfall passieren, auch wenn ich kein Freund davon bin, politische Märkte zu handeln. Bei größeren Korrekturen würden wir uns allerdings auch schnell mit neuen Bonds versorgen und einprozentige Renditen für zehn Jahre einloggen. – Spanien oder Italien?Spanische Anleihen sehe ich sehr positiv, bei italienischen sind wir vorsichtig.- Kommen wir zurück zur EZB. Wie sehen Sie die Chancen eines Deutschen als Nachfolger für Mario Draghi?Wir werden uns schwertun, einen deutschen Nachfolger für Draghi zu finden, auch wegen der monetären Orthodoxie in Deutschland. Ich glaube, viele in der Eurozone könnten gut mit einem Deutschen an der EZB-Spitze leben. Bundesbankpräsident Jens Weidmann dürfte jedoch schwierig zu vermitteln sein. Er hat sich sehr aus dem Konsens des EZB-Rates herausgestellt. Für ihn würde es schwierig werden, das Gremium glaubwürdig zu vertreten, in dem er überstimmt wird. Sabine Lautenschläger, die ja dem EZB-Direktorium angehört, kommt weniger von der geldpolitischen als von der regulatorischen Seite. Man braucht an der EZB-Spitze jemanden, der akademisch sattelfest ist oder aus der Zentralbank heraus kommt. Hätte Deutschland da jemanden, man würde man sich die Finger danach lecken.- Man könnte das frühere EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen von der Investmenbank Lazard zurückholen?Asmussen wäre natürlich gut in dem Sinne, als dass er zeigte, kommunizieren zu können. Mit der großen Koalition in Berlin sind seine Chancen als SPD-Mitglied sicher etwas gestiegen, allerdings hat er sich seinerzeit ja aus privaten Gründen von der EZB verabschiedet. Ein Schwergewicht im Nachfolgeprozess ist sicher das Direktoriumsmitglied Oli Rehn aus Finnland. Ihm traut man zu, wenn es unangenehm wird – und es kann noch mal unangenehm werden -, besser zu kommunizieren. Und die Franzosen haben mit Sylvie Goulard von der Banque de France eine Frau im Rennen.- Ein zweiter EZB-Präsident aus Frankreich?Wer hätte gedacht, dass es ein Italiener wird? Die Entscheidung über die Draghi-Nachfolgte steht vor allem aber im Zusammenhang damit, was man auf fiskalischer Seite zusammenbringt. Mit der SPD sind nun Dinge möglich, die mit Christian Lindner von der FDP nicht möglich gewesen wären. Ich denke schon, dass man in Deutschland dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron entgegenkommen möchte. Es haben viele verstanden, dass die Union in der bisherigen Form fiskalisch nicht weiterexistieren kann. Jetzt ist natürlich die Frage, wie weit man dabei gehen möchte. Wenn wir uns als Europäische Union nicht von dem Modell einer Währungsunion mit dem Wettbewerb der fiskalischen Systeme auf Ebene der Nationalstaaten lösen, dann wird die nächste Krise kommen. Wenn man diese fiskalische Instanz schafft, wäre es gut, dort einen Deutschen an die Spitze zu setzen, als Euro-Finanzminister oder an die Spitze eines gestärkten ESM. Dann wäre es ganz gut, wenn man jemanden aus einem kleineren Land an die Spitze der EZB rücken würde.- Angenommen, der geldpolitische Falke Jens Weidmann würde EZB-Präsident. Wie hat sich der Markt dafür positioniert? Würde der Euro dann weiter aufwerten?Das würde ich mit einem Jein beantworten. Die Amtsübergabe ist dann halt doch erst im Herbst 2019, und der neue Präsident entscheidet erstmals im vierten Quartal 2019. Das ist schon sehr weit weg. Der Markt hat meiner Einschätzung nach eine Perspektive von rund einem Jahr. Man handelt derzeit das Auslaufen oder die Verlängerung des Quantitative Easing im September und den Zeitpunkt der ersten Anhebung der Einlagefazilität. Die Konjunkturentwicklung und die Inflationsentwicklung sind schon für das laufende Jahr mit vielen Fragezeichen versehen, und wir müssten darüber nachdenken, wie eine andere Person die Reaktionsfunktion der Geldpolitik auf Wachstum und Inflation verändern würde. Natürlich würde ein Peripherie-Vertreter wohl eine laxere Geldpolitik verfolgen und den Euro schwächen. Es ist aber noch zu früh, als dass man das handeln würde. Als Zinsspezialist sage ist: Bis dahin passiert noch sehr viel.- Spielt die Politik inzwischen wieder eine untergeordnete Rolle?Den Euro hat man zu Recht eine ganze Zeit politisch gehandelt. Schließlich wäre der Ausstieg eines Landes disruptiv, ein Game Changer, der die Währungsunion in ihren Grundfesten erschüttern würde. Das wäre ein Unsicherheitsschock und sehr teuer. Diese möglichen Unsicherheitsschocks sind in den Hintergrund getreten. Der angloamerikanische Raum unterschätzt sehr stark die europäische Idee, die uns in der Eurozone auch etwas wert ist. Der Euro ist kein reines Währungsprojekt, und das versteht man in London nicht. Da kommen sie aber auch langsam darauf und sind ganz baff, wie stark sich beispielsweise die EU-27 hinter Irland stellt.—-Das Interview führte Stefan Schaaf.