Deutsche Wohnen muss ein Dilemma abwenden
Von Alex Wehnert, FrankfurtDie größten Vertreter der deutschen Immobilienbranche gehören im bisher hochvolatilen Jahresverlauf zu den Börsengewinnern. So auch die Deutsche Wohnen, deren Aktie seit Anfang Januar gerechnet mit 14,9 % im Plus liegt. Vor dem sich abzeichnenden Dax-Aufstieg des Immobilienkonzerns im Rahmen der vierteljährlichen Indexüberprüfung der Deutschen Börse sahen viele Analysten selbst auf dem aktuellen Niveau von 42,44 Euro noch weiteres deutliches Aufwärtspotenzial.Die Deutsche Bank etwa erhöhte das Kursziel für Deutsche Wohnen zuletzt von 42 auf 60 Euro und empfiehlt das Papier zum Kauf. Dass sich durch einen Vorstoß des Immobilienkonzerns in die oberste deutsche Börsenliga etwas an der Branchenstruktur im Dax ändert, war aufgrund der zu erwartenden niedrigen Gewichtung zwar von vornherein unwahrscheinlich. Doch im Vorfeld erwarteten viele Marktteilnehmer durch die Ablösung des Dax-Urgesteins Lufthansa Prestigegewinne für das Unternehmen, war mit Konkurrent Vonovia bisher doch nur eine Immobiliengesellschaft im Leitindex vertreten.Restlos überzeugt sind trotz der in den vergangenen Monaten robusten Performance aber längst nicht alle Beobachter. Laut Bloomberg empfiehlt genau die Hälfte der Analysten die Aktie zum Kauf, der Anteil der Verkaufsempfehlungen ist zuletzt gestiegen und beläuft sich mittlerweile auf 19,2 %. Bei Vonovia raten hingegen immerhin 77,8 % zum Kauf. Das Konsens-Kursziel für Deutsche Wohnen liegt bei nur 40,29 Euro – und auch die eigentlich so optimistische Deutsche Bank warnt vor Risiken für den gesamten Sektor, denen auch die Deutsche Wohnen ausgesetzt ist. Druck auf SubstanzwertLaut dem Institut dürfte am deutschen Wohnungsmarkt ein beispielloser Druck auf die Immobilienrenditen entstehen. Grund dafür sei die Liquiditätsflutung der Märkte durch die großen Notenbanken infolge der Coronakrise. Zwar könne ein Mietwachstum auf vergleichbarer Basis den Effekt sinkender Renditen abmildern. Doch die Lage werde derzeit dadurch verschärft, dass die Ausgangsrenditen bereits niedrig ausfielen und der Markt heute stärker reguliert sei als in vergangenen Drucksituationen.So drohten vielen Unternehmen unter anderem aufgrund des Berliner Mietendeckels strukturelle Abschläge beim Substanzwert. Das von der rot-rot-grünen Koalition in der Hauptstadt angestoßene Gesetz ermöglicht die öffentlich-rechtliche Begrenzung von Wohnraummieten. Kritiker befürchten in der Folge unter anderem einen Investitionsstopp und Auftragsrückgänge in der Bauwirtschaft.Dass sinkende Renditen zudem nicht zwingend zu höheren Prämien der Immobilienaktien auf den Nettovermögenswert führten, hat sich laut der Deutschen Bank im vergangenen Jahrzehnt gezeigt. Die höchsten Prämien seien in den Jahren 2014 und 2015 zu beobachten gewesen. Der stärkste Renditedruck habe aber zwischen 2016 und 2019 geherrscht, als viele Privatinvestoren in den Immobilienmarkt geströmt seien. Infolge der nun drohenden Abschläge auf den Substanzwert könne es in der Branche zu Börsenrückzügen oder Übernahmen kommen.Auch die Deutsche Wohnen ist beständig Gegenstand von Fusionsspekulationen. Gerüchten zufolge plant Vonovia einen zweiten Anlauf zur Übernahme des Konkurrenten, Kostenpunkt laut Marktexperten: 18 bis 20 Mrd. Euro. Der derzeitige Börsenwert der Deutschen Wohnen beträgt 14,78 Mrd. Euro. Mit einer Entscheidung ist angeblich frühestens zum Jahresende zu rechnen, im Weg steht der Fusion wohl noch der Berliner Mietendeckel.Die Hoffnung darauf, dass die Regulierung in der Hauptstadt durch das Bundesverfassungsgericht gekippt wird, ist Ansatzpunkt vieler optimistischer Prognosen für die Aktie der Deutschen Wohnen. Doch ob die Karlsruher Richter tatsächlich zum Vorteil der Immobilienkonzerne urteilen oder nicht – die Deutsche Wohnen hat es laut Experten noch selbst in der Hand, das drohende Dilemma bei der Eigenkapitalrendite abzuwenden. Investitionen über Maß nötigDies könne über Zukäufe von Portfolios mit höheren Wachstums- und Renditechancen geschehen. Zudem könne der Verkauf gewisser Immobilien das Bestandsprofil schärfen. So hätten Berliner Wohnungen, die in den Immobilienbooms der 1970er und 1990er Jahre entstanden seien, beim Mietwachstum auf vergleichbarer Basis seit 2005 eine konstante Underperformance hingelegt. Gebäude aus dieser Periode hätten nur geringen architektonischen Wert: Unter anderem seien die Wände dünn und schwach isoliert.Um diese Immobilien dem heutigen Standard anzupassen, seien substanzielle Investitionen nötig, die aber häufig das ökonomisch sinnvolle Maß sprengen würden. Die gute Nachricht für die Deutsche Wohnen: Die stärkste vergleichbare Wachstumsdynamik haben seit 2005 die Mieten von Immobilien verzeichnet, die zwischen 1919 und 1949 entstanden sind – und diese Gruppe macht laut der Deutschen Bank den größten Anteil im Portfolio des Wohnungskonzerns aus.Zwar machen Immobilien im Großraum Berlin mit 80 % den größten Anteil am Bestand der Deutschen Wohnen im Gesamtwert von 24,2 Mrd. Euro (Stand Jahresende 2019) aus. Doch auch Verkäufe außerhalb Berlins könnten das Wachstumsprofil des Portfolios schärfen. Gerade das Rheinland und die Region Mannheim/Ludwigshafen haben laut der Deutschen Bank im vergangenen Jahrzehnt ein unterdurchschnittliches Mietwachstum hingelegt. Gemeinsam machen beide Regionen nur 5 % des Immobilienbestands aus – sollte die Deutsche Wohnen ihre Immobilien dort abstoßen, stiege das Wachstumspotenzial des Portfolios aber um 20 Basispunkte auf durchschnittlich 3,5 % pro Jahr. Das Rechenbeispiel würde allerdings nur gelten, wenn der Berliner Mietendeckel gekippt wird.Juristen und Marktbeobachter zeigen sich in weiten Teilen optimistisch, dass die Karlsruher Richter die Gesetzgebung in der Hauptstadt Ende 2021 als verfassungswidrig einstufen werden. Infolge eines solchen Urteils könnte die Deutsche Wohnen viel Rückenwind erhalten. Um in den kommenden zwölf Monaten die von der Deutschen Bank besungene Aktienrendite von 50 % zu erreichen, sind allerdings wohl einschneidende Entscheidungen der Konzernführung erforderlich.