"Die Aktienmärkte sind an einem kritischen Punkt"
Herr Wagner, China steht an den Finanzmärkten im Mittelpunkt. Das Wachstum im Reich der Mitte verlangsamt sich. Wird China die Weltwirtschaft zum Stottern bringen?
IM INTERVIEW: GUY WAGNER
"Die Aktienmärkte sind an einem kritischen Punkt"
CIO der Banque de Luxembourg Investments über Korrekturgefahren, die Zinspolitik der Notenbanken und die guten Aussichten für den Goldpreis
Für Guy Wagner, Chief Investment Officer (CIO) der Banque de Luxembourg Investments (BLI), sind die Aktienmärkte mittlerweile an einem kritischen Punkt angekommen. Zyklische Bereiche sollten Anleger eher meiden. Positiv gestimmt ist Wagner für den Goldpreis, der nach oben gehen sollte.
Das Interview führte Kai Johannsen.
Wenn man sich die Ergebnisse zum Beispiel europäischer Unternehmen ansieht, dann erkennt man, dass vor allem die Unternehmen im Luxusgüterbereich immer noch solide dastehen, und dann sieht man auch, dass Chinas Wirtschaft in verschiedenen Bereichen weiterhin gut läuft. Man kann die Probleme Chinas daher nicht unbedingt verallgemeinern. Aber es ist auch offensichtlich, dass sich das Wachstum in China abschwächt. Die wirtschaftliche Bedeutung und das Bruttoinlandsprodukt Chinas sind heute weitaus höher als vor zehn oder 20 Jahren. Das führt dann automatisch dazu, dass das Wachstum nicht mehr in gleichem Maße zulegen kann. Es gibt zudem in vielen Bereichen Überkapazitäten und Probleme am Immobilienmarkt. Der Wirtschaft Chinas ist der Übergang von Export hin zu privatem Konsum bisher nicht gelungen. Aber das sind eher Probleme für China selbst und weniger für die Weltkonjunktur. China ist zwar wichtig, aber ich glaube nicht, dass China jetzt der Auslöser sein könnte, der die Weltwirtschaft zum Stoppen bringt.
Die Inflation geht global weiter zurück. Bekommen wir nochmal ein Inflationsproblem in den kommenden Monaten, oder zeigt die Notenbankenpolitik in der Bekämpfung der Teuerung ihre Wirkung?
Die Inflationssituation hat sich klar verbessert. Die Lieferketten haben sich zum Beispiel einigermaßen normalisiert. Die inzwischen restriktive Notenbankpolitik sollte dazu führen, dass die Inflation unter Kontrolle bleibt. Man muss sich aber auch bewusst sein, dass die Vergleiche in der zweiten Jahreshälfte nun schwieriger werden, weil die Inflationsraten voriges Jahr in der zweiten Jahreshälfte schon gefallen waren. Aber man muss schon sagen, dass viele Faktoren nun eher in Richtung Rezession und nicht in Richtung von neuerlichem Inflationsdruck weisen.
Zur wirtschaftlichen Lage: Kommen wir zu einer sanften Landung der Wirtschaft in den USA?
Die sehr starken Zinserhöhungen über die vergangenen 18 Monate zeigen nun ihre Wirkung dergestalt, dass sich zyklische Komponenten relativ stark abschwächen. Dagegen ist der Dienstleistungsbereich relativ widerstandsfähig. Es besteht die Möglichkeit einer sanften Landung der US-Wirtschaft. Aber das wäre etwas ganz Neues, denn eine sanfte Landung nach einer Zinserhöhung von mehr als 500 Basispunkten hat es in der Vergangenheit bisher nie gegeben.
Wie sehen Sie die weitere Zentralbankpolitik? Wird global weiter an der Zinsschraube gedreht?
Es ist möglich, dass noch ein wenig an der Zinsschraube gedreht wird. Aber ich glaube, dass wir relativ nah am Ende der Zinserhöhungen angekommen sind. Vielleicht kommt noch eine Zinserhöhung in der zweiten Jahreshälfte, aber das sollte es dann mehr oder weniger gewesen sein.
Und bei der EZB? Frau Lagarde hat für September eine Zinspause zumindest als Option in den Raum gestellt – halten Sie eine Zinspause im Euroraum für möglich?
Eine Zinspause ist in der Tat möglich. Bei Betrachtung der jüngsten Wirtschaftsindikatoren, die jetzt in Europa veröffentlicht wurden, zeigt sich, dass das Wachstum in der Eurozone zunehmend leidet. Dies gilt sowohl für den Industriebereich als auch für den Dienstleistungsbereich und könnte schon als Grund dienen, um wenigstens eine Zinspause im September einzulegen.
Wie stufen Sie derzeit die Lage an den europäischen Aktienmärkten ein?
Die Aktienmärkte haben sich trotz der Zinserhöhungen in den vergangenen 18 Monaten erstaunlich gut entwickelt. Der Kursanstieg in diesem Jahr beruht auf einem Anstieg der Bewertungen, nicht auf steigenden Unternehmensgewinnen. Die Bewertungen sind inzwischen eher hoch, vor allem natürlich in den USA, aber auch teilweise in Europa. Und vor diesem Hintergrund glaube ich schon, dass die Aktienmärkte an einem kritischen Punkt angekommen sind.
Am Aktienmarkt wird derzeit viel über ein deutliches Rückschlagrisiko gesprochen nach dem bisherigen Aufwärtstrend. Teilen Sie diese Einschätzung?
Es könnte in der Tat durchaus zu einer Korrektur kommen. Alles hängt natürlich auch davon ab, wie die Entwicklung der Weltwirtschaft und vor allem der USA sein wird. Der Aktienmarkt setzt im Moment ganz klar auf eine weiche Landung der US-amerikanischen Wirtschaft. Normalerweise ist eine solche weiche Landung etwas, was der Aktienmarkt sehr mag, denn das würde ja heißen, dass die Zinserhöhungen vorüber sind, die Unternehmensergebnisse aber weiterhin zulegen. Das wäre das ideale Szenario für die Aktienmärkte. Das Problem ist jedoch, dass die Aktienmärkte dieses Szenario schon größtenteils eingepreist haben. Im Falle einer Rezession würden die Aktienkurse daher wohl möglicherweise stark unter Druck geraten. Man sollte derzeit vielleicht eher die zyklischen Bereiche meiden und bevorzugt in den defensiven Bereichen investieren. Dies gilt umso mehr, da Letztere in den vergangenen Monaten eher schlecht performt haben, jedoch viele qualitativ sehr hochwertige Unternehmen vorweisen können, die zudem weit weniger unter einer Rezession leiden würden.
Der Rentenmarkt offeriert momentan auskömmliche Renditen nach Jahren der Negativzinsen: Ist das für Sie interessant und wenn ja, welche Bereiche des Bondmarktes sind attraktiv?
Man muss zwischen einer strukturellen und einer taktischen Sichtweise unterscheiden. Taktisch sind Staatsanleihen durchaus interessant. Ihre Renditen sind in den vergangenen Monaten stark gestiegen und befinden sich zurzeit wieder auf einem einigermaßen akzeptablen Niveau. Im Falle einer Rezession würden die langfristigen Zinsen wohl fallen, so dass man als Anleger Kursgewinne erzielen würde. Strukturell erscheinen Anleihen jedoch wenig attraktiv. Die Kapitalbedürfnisse der Staaten bleiben dank expansiver Fiskalpolitik hoch, so dass das Angebot an Staatsanleihen nicht abnehmen wird.
Wie sehen Sie in dieser Gemengelage den Goldpreis als Hort der Sicherheit?
Der Goldpreis sollte in den kommenden Jahren allein schon deshalb weiter nach oben gehen, weil das Angebot an Papierwährungen weiter zunehmen wird. Das Angebot an Gold kann dagegen nicht stark steigen, weil in den vergangenen Jahren wenig in neue Golderschließungen investiert wurde. Deshalb sollte sich der Goldpreis langfristig weiter nach oben entwickeln. Es gibt zudem Anzeichen, dass verschiedene Länder – vor allem China – versuchen, eine Alternative zu unserem dollarlastigen Finanzsystem aufzubauen. Und in dieser Alternative könnte Gold eine sehr interessante Rolle spielen. Deshalb bin ich für Gold weiterhin positiv gestimmt. Auch wenn man sich natürlich bewusst sein sollte, dass es am Goldmarkt immer wieder zu Korrekturen kommen kann.
Und wie sollte sich Euro/Dollar in den kommenden Monaten entwickeln?
Sollten die USA in eine Rezession gleiten und dies zugleich im Euroraum der Fall sein, dann gehe ich davon aus, dass der Dollar sich gegenüber dem Euro abschwächen wird. Man kann natürlich immer für beide Währungen ein Positiv- bzw. Negativszenario konstruieren. In den vergangenen Monaten sind wir zwischen Parität und 1,20 Dollar/Euro gependelt. Es gibt eigentlich zurzeit keinen Grund, der dafür sprechen würde, dass wir aus dieser Bandbreite ausbrechen sollten.