Geldpolitik

Die Angst vor einem zweiten 2018

Mit dem Auslaufen der Basiseffekte bei der Teuerungsrate sowie der Bestätigung einer immer noch sehr lockeren EZB-Geldpolitik sollten sich die Credit Spreads wieder stabilisieren oder leicht einengen, erwartet die DZ Bank.

Die Angst vor einem zweiten 2018

Von Thomas Weber*)

Die Europäische Zentralbank (EZB) wird mittlerweile für viele extreme Preisentwicklungen verantwortlich gemacht. Strafzinsen für Guthaben auf dem Girokonto, Minirenditen bei italienischen Staatsanleihen oder Rekordpreise auf dem Immobilienmarkt. Alles ist – zumindest zu einem großen Teil – auf die Geldpolitik der Notenbank der Eurozone zurückzuführen. Und auch am Markt für Euro-Unternehmensanleihen sind Risikoaufschläge von rund 50 Basispunkten (BP) für fünfjährige Schuldverschreibungen von Industrieunternehmen nur durch das Eingreifen der EZB zu erklären. Denn angesichts der Risiken, die sich aus der Coronasituation, den Problemen bei globalen Lieferketten und einer seit vielen Jahren nicht mehr zu beobachtenden Preissteigerung ergeben, wären unseres Erachtens höhere Credit Spreads durchaus gerechtfertigt.

Doch die EZB argumentiert, dass die Finanzierungsbedingungen für europäische Unternehmen und Haushalte möglichst günstig sein müssen, um die Konjunktur anzukurbeln und die mittelfristigen Inflationserwartungen anzuheben. Daher kauft die Zentralbank seit 2016 – mit einer kurzen Unterbrechung – Corporate Bonds für mehrere Milliarden Euro pro Monat. Zuletzt waren es ca. 6,5 Mrd. Euro, zu Beginn der Coronakrise sogar mehr als 10 Mrd. Euro an monatlichen Nettokäufen. Durch das Eingreifen verknappen die Währungshüter das Angebot im Markt und sorgen durch ihre Nachfrage für künstlich hohe Preise und engere Spreads. Bis Ende November ist der Bestand an Corporate Bonds bei der EZB auf rund 350 Mrd. Euro angewachsen. Allein etwa 155 Mrd. Euro davon sind seit dem Beginn der Coronakrise im März 2020 hinzugekommen. Nach unseren Berechnungen hält die EZB heute bereits rund ein Viertel des relevanten Markts an hochbonitären Unternehmensanleihen, Tendenz weiter steigend.

Aufwärtsdruck

Viele Institute, einschließlich der EZB selbst, gehen von einem robusten Wirtschaftswachstum in der Eurozone von deutlich mehr als 4% im kommenden Jahr aus. Mit einer Inflationsrate, die sich seit Monaten oberhalb der Zielmarke von 2% befindet, mehren sich die Stimmen, die eine Reduktion der expansiven Geldpolitik fordern. Auch wir gehen davon aus, dass das Krisenanleihekaufprogramm PEPP 2022 auslaufen wird. Die Unterstützung der Notenbank nimmt ab, selbst wenn das zweite Kaufprogramm APP, wie wir erwarten, bis weit in das Jahr 2023 fortgeführt wird. Diese Entwicklung dürfte in den kommenden Monaten Aufwärtsdruck auf Credit Spreads ausüben.

Allerdings handelt es sich um eine graduelle Entwöhnung von der Fürsorge der EZB. Mit etwa 5 Mrd. Euro pro Monat dürften die Corporate-Bond-Käufe 2022 auf einem signifikanten Niveau bleiben, womit allzu starke Spread-Ausweitungen vermieden werden sollten. Viele Anleger werden sich an dieser Stelle an das Jahr 2018 erinnern, als die Währungshüter ihre Anleihekäufe Schritt für Schritt auf null herunterfuhren. Damals stiegen die Risikoaufschläge von vorrangigen Unternehmensanleihen innerhalb eines Jahres von rund 33 BP auf fast 95 BP an, was vielen Anlegern Verluste bescherte. Mit einer solchen Entwicklung rechnen wir 2022 nicht.

Gegen einen starken Anstieg der Risikoprämien spricht unseres Erachtens die gute operative Entwicklung der meisten Unternehmen. Trotz gestiegener Energiepreise und Engpässen bei Vorprodukten ist es der Wirtschaft gelungen, die Umsätze und Gewinne gegenüber 2020 deutlich zu steigern. Dank der im vergangenen Jahr ergriffenen Kostenmaßnahmen, einer Priorisierung höhermargiger Produkte sowie aufgestauter Nachfrage bei den Konsumenten liegen die Gewinnmargen im Durchschnitt sogar über dem Vorkrisenwert. Sofern die Firmen die Gewinne nicht nur für Ausschüttungen an Aktionäre oder teure Zukäufe verwenden, sondern auch den Abbau der Verschuldung im Blick haben, sollten die bilanziellen Risiken 2022 tendenziell abnehmen. Diese Entwicklung sollte sich auch in einer fortgesetzten positiven Ratingentwicklung widerspiegeln. Bereits jetzt gibt es bei Unternehmensanleihen deutlich mehr Hoch- als Herabstufungen.

Anspannung lässt nach

Wie ein Damoklesschwert schwebt allerdings die Omikron-Variante über dem Markt. Als wäre die Coronasituation in den deutschsprachigen Ländern nicht auch so schon schwierig genug, gab es Ende November Meldungen zu einer neuen Virusvariante. Ersten Informationen zufolge ist Omikron nicht nur deutlich übertragbarer als die derzeit vorherrschende Delta-Variante. Es besteht durch die Vielzahl der Mutationen zudem die Gefahr, dass die derzeit vorhandenen Impfstoffe in ihrer Wirksamkeit deutlich schwächer sind. Die Nachrichten versetzten die Märkte in Aufregung, was bei Unternehmensanleihen zu einer Spread-Ausweitung von etwa 8 BP an nur einem Tag führte. Seither hat die Anspannung wieder deutlich nachgelassen, was unter anderem auf Berichte zu milderen Krankheitsverläufen und zu einem gewissen Schutz einer Dreifachimpfung gegen schwere Verläufe zurückzuführen ist. Das Vertrauen, dass, falls es anders kommt, die Zentralbank zur Stelle ist und die Märkte unterstützen würde, dürfte bei der Erholung im Dezember ebenfalls eine Rolle gespielt haben.

Hohe Inflationsraten in der Eurozone, die Straffung der Geldpolitik in vielen Regionen der Welt und das Auftreten der neuen Omikron-Variante dürften in den nächsten Wochen zu weiter volatilen Risikoaufschlägen bei Unternehmensanleihen führen. Auch eine moderate Spread-Ausweitung ist denkbar. Mit dem Auslaufen der Basiseffekte bei der Teuerungsrate, die bis Mitte des Jahres 2022 wieder unter 2% fallen sollte, sowie der Bestätigung einer zwar weniger ultraexpansiven, aber immer noch sehr lockeren EZB-Geldpolitik sollten sich die Credit Spreads dann wieder stabilisieren oder leicht einengen. Kurzfristige und regional begrenzte Lockdowns sollten an diesem Bild nichts ändern, sofern die Karten durch Omikron nicht gänzlich neu gemischt werden. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn erneut monatelange Beschränkungen flächendeckend notwendig würden.

*) Thomas Weber, CFA, ist Senior-Corporate-Bond-Stratege bei der DZBank.