KREDITWÜRDIG

Die Bondmärkte und extrem niedrige Inflation

Von Kristian Tödtmann *) Börsen-Zeitung, 4.12.2014 Die wohl bedeutendste makroökonomische Entwicklung dieses Jahres war der markante Rückgang der langfristigen Inflationserwartungen. Zwar befinden sich die Inflationsraten selbst schon seit über...

Die Bondmärkte und extrem niedrige Inflation

Von Kristian Tödtmann *)Die wohl bedeutendste makroökonomische Entwicklung dieses Jahres war der markante Rückgang der langfristigen Inflationserwartungen. Zwar befinden sich die Inflationsraten selbst schon seit über zwei Jahren auf einem nach unten gerichteten Pfad. Aber erst im Verlauf dieses Jahres haben auch die an den Rentenmärkten eingepreisten sehr langfristigen Inflationserwartungen, die beispielsweise an Inflationsswaps abgelesen werden können, erheblich nachgegeben.Sinkende Inflationserwartungen beeinflussen die Erträge an den Rentenmärkten auf direkte und indirekte Weise. Sie erhöhen unmittelbar die Nachfrage nach festverzinslichen Papieren mit geringem Risiko und langer Laufzeit. Dies führt zu Kursgewinnen bei Bundesanleihen und ihren engsten Substituten, wie Pfandbriefen oder Staatsanleihen aus anderen Kernländern. Auf risikoreichere Anleihen wirken stark fallende Inflationserwartungen eher schädlich. Denn zu geringe Preissteigerungsraten schwächen die Einnahmen der Schuldner und beeinträchtigen zudem die realwirtschaftliche Aktivität. Alles in allem münden sie daher in eine Verschlechterung der Kreditqualität, die isoliert betrachtet zu höheren Risikoprämien führen sollte.Neben diesen direkten Auswirkungen auf die Erträge von Anleihen rufen sinkende Inflationserwartungen auch gravierende indirekte Effekte hervor. Denn Zentralbanken reagieren systematisch auf die Inflationserwartungen an den Finanzmärkten und in der breiten Öffentlichkeit. So hat Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), die Stabilisierung der langfristigen Inflationserwartungen zur derzeit wichtigsten Aufgabe der Geldpolitik erklärt. Solange diese zu weit unter der Schwelle von 2 % liegen, können Marktteilnehmer davon ausgehen, dass die EZB den monetären Stimulus weiter erhöhen wird. Diese indirekten Effekte kommen sowohl sicheren als auch riskanteren Anleihen zugute, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Der Blick zurückDie sinkenden langfristigen Inflationserwartungen, einschließlich ihrer Rückwirkungen auf die Geldpolitik, haben den Rentenmärkten in diesem Jahr ihren Stempel aufgedrückt. Man sieht dies sowohl an den im historischen Vergleich überdurchschnittlich hohen Erträgen als auch an der Rangfolge, in der die verschiedenen Kategorien von Anleihen das Jahr vermutlich abschließen werden. So schnitten Staatsanleihen in der Regel besser ab als Unternehmensanleihen. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass sehr sichere Staatsanleihen, wie etwa Bundesanleihen, aufgrund ihrer im Durchschnitt längeren Duration besonders stark von den direkten Effekten sinkender Inflationserwartungen profitiert haben. Zum anderen wirkten bei Unternehmensanleihen direkte und indirekte Effekte in entgegengesetzte Richtungen. Zunehmende Deflationsgefahren (direkte Effekte) haben für eine Ausweitung der Risikoprämien gesprochen, die sukzessive Lockerung der Geldpolitik (indirekte Effekte) demgegenüber für eine Einengung. Zumindest bei Schuldverschreibungen aus dem Investment-Grade-Bereich haben die indirekten Effekte überwogen, so dass sich ihre Renditeaufschläge seit Anfang des Jahres sukzessive eingeengt haben. Ein höheres Kreditrisiko hat sich im Nachhinein betrachtet nicht ausgezahlt. High Yields, die für konjunkturelle Risiken und damit für die direkten Effekte fallender Inflationserwartungen besonders anfällig sind, verzeichneten zwischenzeitlich sogar eine geringfügige Spread-Ausweitung.Im Gegensatz dazu war bei Staatsanleihen ein höheres Risiko für die Anleger von Vorteil. Man könnte zwar meinen, dass Staatsanleihen aus den Peripherieländern genau wie riskantere Unternehmensanleihen unter den direkten Effekten fallender Inflationserwartungen zu leiden hätten, weil Deflation auch die Fähigkeit der Staaten zur Bedienung ihrer Schulden in Frage stellen würde. Aber spätestens seitdem Staatsanleihekäufe als wahrscheinlicher nächster Schritt der EZB angesehen werden, sind solche Bedenken an den Märkten in den Hintergrund gerückt. Es dominieren deshalb die indirekten Effekte sinkender Inflationserwartungen: Sie bekräftigen die Aussicht auf Staatsanleihekäufe der EZB, von denen Papiere aus den Peripherieländern besonders stark profitieren würden. Nur so ist es zu erklären, dass sie trotz eines sich verschlechternden wirtschaftlichen Umfelds höhere Erträge abwerfen konnten als Bundesanleihen. Der Blick in die ZukunftEs ist davon auszugehen, dass die äußerst niedrigen Inflationserwartungen noch für lange Zeit einen prägenden Einfluss auf die Rentenmärkte ausüben werden. Dennoch dürften die Erträge geringer ausfallen und auch anders zwischen den verschiedenen Anleihekategorien verteilt sein als in diesem Jahr. Denn die oben beschriebenen direkten und indirekten Effekte beruhen vornehmlich auf einem Rückgang der Inflationserwartungen und nicht auf ihrem niedrigen Niveau. Man sieht dies am deutlichsten an Bundesanleihen, die nur dann an ihre überdurchschnittlichen Erträge dieses Jahres anknüpfen können, wenn die langfristigen Inflationserwartungen weiter sinken. Dann aber sollten die von der Geldpolitik hervorgerufenen indirekten Effekte irgendwann nicht mehr ausreichen, um die stärker risikobehafteten Anleihen vor den Folgen zunehmender Deflationsgefahren zu schützen. Riskantere Unternehmensanleihen und selbst Staatsanleihen der Peripherieländer würden unter einer Ausweitung ihrer Risikoprämien leiden. Die bisher außergewöhnlich breite Rally am Rentenmarkt würde sich nach und nach auf Bundesanleihen und ihre engsten Substitute fokussieren.Genau das Gegenteil sollte eintreten, falls die langfristigen Inflationserwartungen auf niedrigem Niveau wieder zu steigen beginnen. Die direkten Effekte kehren sich dann im Vorzeichen um. Risikoarme Staatsanleihen mit hoher Duration verlieren ihre wichtigste Unterstützung. Gleichzeitig lassen Deflationsängste nach und damit auch die von ihnen ausgehenden Belastungen für risikoreichere Papiere. Im Endeffekt dürften Unternehmensanleihen anders als in diesem Jahr höhere Erträge abwerfen als Bundesanleihen. Staatsanleihen der Peripherieländer sollten irgendwo dazwischen landen, solange sich der Anstieg der Inflationserwartungen langsam vollzieht und noch Fantasie für eine weitere Lockerung der Geldpolitik lässt. Bedeutende TriebfederDer Rückgang der langfristigen Inflationserwartungen war in diesem Jahr die bedeutendste Triebfeder für die Rentenmärkte. Genauso dürfte es ein wichtiger Wendepunkt für die Anleihemärkte werden, wenn die Inflationserwartungen ihre Talsohle durchschreiten. Die Rally langlaufender Bundesanleihen sollte sich dann nicht mehr allzu weit fortsetzen können, selbst wenn die EZB die Stabilisierung der langfristigen Inflationserwartungen mit umfangreichen Staatsanleihekäufen erzwingen muss. Demgegenüber haben Anleihen mit höherem Kreditrisiko noch einen gewissen Nachholbedarf und sollten daher zumindest im Vergleich besser abschneiden.—-*) Kristian Tödtmann ist im Makro Research der DekaBank tätig.