Die "böse" Wertpapierleihe und die "guten" Fonds
Von Wolf Brandes, FrankfurtEs war ein Paukenschlag, als der japanische Pensionsfonds Anfang Dezember verkündete, dass er künftig ausländische Aktien nicht mehr verleihen werde. Begründet wurde dies mit Hinweis auf ESG-Kriterien, die der weltgrößte Pensionsfonds seit Kurzem einhält. Dabei ging es darum, wie man es mit den Stimmrechten hält, wenn Wertpapiere verliehen sind. Für den Government Pension Investment Fund (GPIF) schließen sich ESG und Leihe aus.Wenig Berührungsängste mit dem Thema hat der norwegische Pensionsfonds NBIM, der mit einem Vermögen von fast 1 Bill. Euro nach dem japanischen Fonds die Nummer 2 weltweit ist. Auch der NBIM beachtet ESG-Kriterien, und dennoch ist Wertpapierleihe erlaubt, sofern es entsprechende Sicherheiten gibt und die Bonität der Gegenpartei gut ist. Der NBIM begrenzt die Leihe auf 20 % der jeweiligen Assetklasse.Wertpapierleihe ist ein Geschäft, das nicht im Blickfeld der Öffentlichkeit steht. Es geht darum, durch das Verleihen von Aktien und Anleihen Zusatzerträge zu erzielen. Securities Lending wird von praktisch allen großen Adressen praktiziert. Vanguard setzt in ihrem Leiheprogramm nur Aktien ein und gibt an, dass der Anteil der verliehenen Papiere meist unter 2 % liegt. BlackRock betreibt Wertpapierleihe als Tool im Portfoliomanagement.Die Maßnahme des japanischen Pensionsfonds beeindruckt die Branchengrößen nicht. Anders Boutiquen wie Baillie Gifford. “Wertpapierleihe ist ein schlechtes Geschäft. Wir begrüßen es daher sehr, dass der GPIF aus Wertpapierleihgeschäften aussteigt “, sagt Scott Nisbet von der schottischen Anlagefirma.Was auf den ersten Blick unvereinbar scheint – die Wertpapierleihe und das Ausüben von Stimmrechten -, ist längst Thema für die Organisationen, die sich mit ESG beschäftigen, – etwa für die Initiative UN Principles for Responsible Investment (UNPRI). Neben den Stimmrechten geht es auch darum, die Gegenpartei im Leihegeschäft nach ESG-Kriterien auszuwählen. Die Assetmanager arbeiten in der Regel mit Investmentbanken zusammen, die die Wertpapiere an den Endkunden weiter-geben – also im Extremfall einen Hedgefonds, der die Aktien für Leerverkäufe nutzt. Ein Beispiel aus der UNPRI-Praxis liefert BNP Paribas. Die Gesellschaft überwacht die Anzahl der ausgeliehenen Aktien vor einer Abstimmung; wenn man der Ansicht sei, dass zu viele Wertpapiere ausgeliehen werden, oder wenn die Abstimmung für das Unternehmen wichtig ist, weist sie an, ausgeliehene Aktien zurückzuziehen.Viele dezidiert nachhaltige Fonds unterwerfen sich dem Europäischen Transparenzkodex des European Sustainable and Responsible Investment Forum (Eurosif). Hier wird auf Antrag der Fondsgesellschaft geregelt, wie beim Thema Wertpapierleihe zu verfahren ist. Klar ist, dass ESG die Wertpapierleihe nicht ausschließt. Für die Fonds mit Transparenzkodex müssen die Fondshäuser Auskunft geben, wie Wertpapierleihgeschäfte betrieben werden und ob es Richtlinien zum Rückruf der Wertpapierleihen gibt, damit die Stimmrechte ausgeübt werden können. Während Union Investment beispielsweise für grüne Fonds die Leihe ausschließt, gibt die Deka an, dass die Papiere rechtzeitig aus der Leihe zurückgeführt werden, um die Stimmrechte auszuüben.Technisch sind ESG und Wertpapierleihe vereinbar. Doch das Verleihen von Aktien hat für viele eine moralische Komponente. Ganz vorsichtig klingt das bei Allianz Global Investors an. “Grundsätzlich verleihen wir aber keine Aktien, sondern nur Anleihen. Der Grund dafür liegt auch darin, dass wir bei Aktien höhere Reputationsrisiken sehen”, so ein Sprecher. Mehr als Reputationsrisiken sieht Scott Nisbet von Baillie Gifford: “Fonds, die ihre Aktienbestände verleihen, erleichtern Akteuren mit destruktiven oder sehr kurzfristigen Absichten (z. B. Leerverkäufern, Aktivisten) das Spiel und heizen auf diese Weise die Volatilität der Aktien an.” Zuweilen wird Shortsellern die gezielte Streuung von Falschinformationen vorgeworfen, mit denen sie die betreffenden Kurse drücken wollen. Es gibt aber eine diametral andere Sicht auf die Dinge. Demnach erleichtert Wertpapierleihe Leerverkäufe und hilft, Probleme am Markt aufzudecken. “Enron, Herbalife und in jüngster Zeit Tesla sind bekannte Beispiele”, nennt Martin Aasly von NN Investment Partners als Beispiele. Auch die Wissenschaft hält die Möglichkeit, Wertpapiere zu verleihen, für die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte für wichtig. “Durch die Leerverkäufer können Bewertungen korrigiert werden. Für faire Preise braucht man die Möglichkeit von Leerverkäufen”, sagt Lutz Johanning von der WHU-Universität. Notenbanken verleihen auchDie EZB nutzt ebenfalls Wertpapierleihe im Rahmen ihres Programms zum Ankauf von Vermögenswerten. Wenn in großem Umfang Wertpapiere angekauft werden, muss davon ausgegangen werden, dass weniger Papiere am Markt erhältlich sind; durch Wertpapierleihe werde die Liquidität erhalten, so die EZB. Auch sie stellt damit diese Praxis nicht in Frage. “Es scheint zweifelhaft, Shortselling zu verbieten – selbst in einer Krisensituation”, so Wissenschaftler Johanning. Wie jeder Investor mit dem Thema umgeht, steht auf einem anderen Blatt. Auf die Wertpapierleihe jedoch zu verzichten mit der Begründung, sie vertrage sich überhaupt nicht mit einem ESG-Ansatz, scheint zu kurz gegriffen.