Anlagethema im Brennpunkt

Die Bullen sind los!

Seit Jahresbeginn weisen die meisten Aktienmärkte eine beeindruckende Wertentwicklung auf. Der Dax hat Ende März die Hürde von 15000 Punkten genommen und damit unser Jahresendziel früher als erwartet erreicht. Für viele Anleger überraschend...

Die Bullen sind los!

Seit Jahresbeginn weisen die meisten Aktienmärkte eine beeindruckende Wertentwicklung auf. Der Dax hat Ende März die Hürde von 15000 Punkten genommen und damit unser Jahresendziel früher als erwartet erreicht. Für viele Anleger überraschend entwickelten sich Aktien aus der Eurozone trotz der anhaltenden oder zum Teil sogar wieder verschärften wirtschaftlichen Beschränkungen und des im Vergleich zu anderen Ländern und Regionen nur langsamen Impffortschritts äußerst robust. Auch in den USA erreichten der Dow Jones und der S&P 500 neue Rekordstände. Dagegen gerieten die Zugpferde des vergangenen Jahres etwas ins Hintertreffen: Sowohl die amerikanische Technologiebörse Nasdaq als auch die meisten Schwellenländerbörsen verzeichneten im ersten Quartal zwar Kurszuwächse, aber von geringerem Ausmaß.

Erwartung einer Erholung

Ursache für die positive Aktienmarktentwicklung ist vor allem die Erwartung einer starken konjunkturellen Erholung. Diese beruht einerseits auf einer äußerst expansiven Geld- und Fiskalpolitik und andererseits auf der Aussicht auf eine nachhaltige Eindämmung der Corona-Pandemie im weiteren Jahresverlauf. So hat der Internationale Währungsfonds seine globale Wachstumsprognose für dieses Jahr von 5,5 auf 6,0% angehoben – dies wäre das mit Abstand stärkste Wirtschaftswachstum der vergangenen 40 Jahre. Angesichts zuletzt bärenstarker Konjunkturdaten aus den USA und China könnte diese Prognose sogar noch übertroffen werden. Insbesondere aufgrund der generösen Fiskalpolitik wird sich der wirtschaftliche Aufschwung 2022 und 2023 fortsetzen, falls die Geldpolitik nicht zu früh auf die Bremse tritt. Doch davon ist nicht auszugehen.

Für Anleger, die die Rally bisher verpasst haben, stellen sich zwei Fragen: Lohnt sich der Einstieg in den Aktienmarkt noch, und wenn ja, welche Aktien und Regionen sind besonders aussichtsreich? Gründe, nicht in Aktien zu investieren finden sich zuhauf – wie fast immer. Seien es Kursschwankungen, die die Nerven strapazieren, oder hohe Bewertungen, die als möglicher Grund herhalten müssen, warum ein Crash mit starken Kursverlusten nicht mehr lange auf sich warten lassen wird. Doch genau diese Skepsis ist ein Nährboden dafür, dass die Kurse weiter steigen. Solange die „wall of worry“ hoch genug ist, gibt es noch ausreichend Liquidität am Markt, die nicht in Aktien investiert ist. Gefährlich wird es erst dann, wenn alle euphorisch sind und glauben, dass die Kurse nur steigen können, denn dann ist oft der Zeitpunkt erreicht, wenn alle Anleger bereits investiert sind.

Die besseren Konjunkturperspektiven haben dazu geführt, dass die Unternehmensanalysten ihre Ge­winnschätzungen in den vergangenen Monaten angehoben haben. Wurde für die 30 Dax-Unternehmen im Dezember 2020 ein aggregierter Gewinn von 880 Indexpunkten für das Jahr 2021 und von 1020 Indexpunkten für das Jahr 2022 erwartet, sind die Prognosen mittlerweile auf 930 bzw. 1070 Punkte erhöht worden. Und es kommt noch besser: Wir halten es für wahrscheinlich, dass die Erwartungen für die Unternehmensgewinne in diesem und im nächsten Jahr das wahre Ausmaß der wirtschaftlichen Erholung noch gar nicht vollumfänglich widerspiegeln.

So ist der Dax ein Aktienindex, in dem sich sehr viele zyklische Unternehmen aus der Industrie befinden, deren Wohl und Wehe stark von der konjunkturellen Entwicklung beeinflusst wird. Doch weder der rekordhohe Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe noch die deutliche Verbesserung des Ifo-Geschäftsklimaindex kommen bislang adäquat in den Ertragsprognosen zum Ausdruck. Im Unterschied zu anderen Volkswirten halten wir es auch weiterhin für wahrscheinlich, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr real um 4% wächst.

Im Übrigen macht sich nicht nur für die Dax-Unternehmen der konjunkturelle Rückenwind positiv bemerkbar: Auch für die US-Unternehmen, die von einem noch stärkeren Wirtschaftsaufschwung profitieren, sind weitere positive Gewinnrevisionen zu erwarten, die den Aktienkursen weiteren Auftrieb verleihen werden. Die aktuelle US-Berichtssaison zeigt dies bereits. Von den bislang berichtenden Unternehmen haben 85% die Gewinn- und Umsatzerwartungen übertroffen. Sollte es, wie es in der Vergangenheit häufig der Fall war, nach Vorlage der Quartalszahlen zu Gewinnmitnahmen kommen, wäre dies für nicht investierte Anleger eine gute Möglichkeit, ihre Aktienquote zu erhöhen.

Doch was ist von dem Argument einer Kursblase, die sich gebildet hat und die schon bald platzen könnte, zu halten? Zweifelsohne sind Aktien in den vergangenen Monaten teuer geworden, und einige Werte und Marktsegmente weisen tatsächlich Anzeichen einer Blasenbildung auf. Es ist viel spekulatives Geld im Umlauf, das von Daytradern auf Plattformen wie Robinhood oder Trade Republic, aber auch von Hedgefonds oder Family Offices, wie der jüngst in Schwierigkeiten geratenen Archegos Capital Management, eingesetzt wird – und das teilweise mit einem ordentlichen Hebel, der dazu führt, dass die Risiken für die Finanzstabilität nicht vernachlässigt werden dürfen. Allerdings ist die hohe Bewertung primär ein Ergebnis der sehr expansiven Geldpolitik der Notenbanken.

Da aber weder die Fed noch die EZB in den kommenden Monaten ihre Zinspolitik anpassen werden, wird sich an der Tatsache, dass Aktien, aber auch fast alle anderen Assetklassen hoch bewertet sind, wohl nichts ändern. Im Unterschied zur nominalen Rendite für eine zehnjährige Bundesanleihe, für die es seit Jahresbeginn zu einem leichten Anstieg von –0,58 auf –0,30% kam, ist die reale Rendite einer zehnjährigen inflationsgeschützten Anleihe zwischenzeitlich von –1,50 auf –1,75% (auch ein Rekord!) gesunken. Von daher heben wir unser Dax-Kursziel auf 16500 Punkte an.

Der ein oder andere mag sich nun fragen, ob eine Dax-Prognose von 16500 Punkten nicht etwas zu optimistisch ist, trotz eines rekordverdächtigen wirtschaftlichen Umfelds und anhaltend niedriger Zinsen. Schließlich würde dies für den Fall des Eintreffens dieser Prognose bedeuten, dass der Dax im Jahr 2021 ein Plus von 20% erzielt. Um diese mögliche Wertentwicklung historisch einzuordnen, haben wir uns alle Jahresrenditen des Dax zurückgerechnet bis in das Jahr 1965 angeschaut. Dabei treten folgende Ergebnisse zutage: In den vergangenen 56 Jahren schwankte die jährliche Wertentwicklung des Dax zwischen +66% (1985) und –44% (2002). Der einfache arithmetische Mittelwert für diesen Zeitraum beträgt +8,9%, das geometrische Mittel liegt hingegen mit +6,3% niedriger. In dem Zeitraum zwischen 1965 und 2020 erzielte der Dax in 13 Jahren einen Zuwachs zwischen null und 10% (entspricht 23% der Fälle), in fünf Jahren lag die Wertentwicklung zwischen null und –10% (9% der Fälle) und in zwölf Jahren schlechter als –10% (21% der Fälle). In fast der Hälfte aller Jahre seit 1965 erzielte der Dax jedoch einen Wertzuwachs von mehr als 10%, in rund einem Drittel der Fälle lag die Wertentwicklung sogar oberhalb von 20%. Insofern wird deutlich, dass eine sehr gute Wertentwicklung zumindest aufgrund der Statistik keinesfalls unwahrscheinlich ist.

Mehrfache Favoritenwechsel

Unter der Oberfläche mehr oder weniger gleichmäßig steigender Aktienindizes haben sich seit Jahresbeginn deutliche Veränderungen ergeben. So kam es mehrfach zu einem Favoritenwechsel, der Anlegern das Leben schwer machte. Bis Mitte Februar konnten Technologieunternehmen ihre bereits im vergangenen Jahr erzielten überdurchschnittlichen Kursgewinne weiter ausbauen. Die Aussicht auf eine sehr starke wirtschaftliche Erholung sowie aufkeimende Inflationssorgen, die vor allem in den USA für steigende Zinsen sorgten, lösten dann jedoch eine scharfe Korrektur bei Growth-Aktien aus. Profiteure dieser Entwicklung waren Value-Aktien, die vor allem in Sektoren wie Industrie, Rohstoffe sowie Banken und Versicherungen zu finden sind. Als Ende März die Schieflage des großen US-Family-Offices Archegos bekannt wurde, gerieten dann defensive Sektoren wie Nahrungsmittel und Versorger stärker in den Fokus der Anleger. Zu Beginn des zweiten Quartals hat sich das Blatt erneut gewendet, nun wieder zugunsten der Technologiewerte.

Klare und anhaltende Trends sind in diesem Jahr bislang Fehlanzeige, so dass aktives Handeln und eine regelmäßige Anpassung der Anlagestrategie erforderlich war und ist. Dass in europäischen Indizes mehr Value-Aktien als in US-Indizes enthalten sind, erklärt, warum in diesem Jahr erstmals seit langer Zeit viele europäische Aktien eine bessere Wertentwicklung aufweisen als US-Werte. Nachdem in den letzten Jahren vor allem die Technologiewerte für eine positive Börsenentwicklung gesorgt haben, dürfte sich auch in den kommenden Monaten die relativ bessere Wertentwicklung der eher zyklischen Unternehmen und Sektoren fortsetzen. Hierfür spricht die erstmals seit langem zu beobachtende relativ bessere Gewinnentwicklung von Value- im Vergleich zu Growth-Titeln. Allerdings ist dieser Trend schon voll im Gange, und es ist kaum zu prognostizieren, wie lange er anhalten wird. Von daher halten wir es für sinnvoll, momentan eine ausgewogene Mischung aus Growth- und Value-Aktien zu halten.

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