IM BLICKFELD

Die Emir-Richtlinie bedeutet einen tiefen Einschnitt

Von Christopher Kalbhenn, Frankfurt Börsen-Zeitung, 12.2.2013 Die vom Regulierungs-Tsunami überlasteten Fachabteilungen der Banken werden es gerne vernommen haben. Erst im Sommer 2014 soll die Umsetzung der Emir-Richtlinie (European Market...

Die Emir-Richtlinie bedeutet einen tiefen Einschnitt

Von Christopher Kalbhenn, FrankfurtDie vom Regulierungs-Tsunami überlasteten Fachabteilungen der Banken werden es gerne vernommen haben. Erst im Sommer 2014 soll die Umsetzung der Emir-Richtlinie (European Market Infrastructure Regulation) der EU nun erfolgen, hat die europäische Wertpapier- und Marktaufsicht ESMA angekündigt. So willkommen die gewonnene Zeit auch ist, sie ändert nichts daran, dass auf die Finanzbranche erhebliche Veränderungen zukommen, die umfangreichen Vorbereitungen erfordern.Die Richtlinie wird zwei wesentliche Neuerungen bringen. Hinreichend standardisierbare außerbörsliche Derivate müssen künftig über zentrale Clearingstellen (CCP) verrechnet werden. Ferner müssen sämtliche außerbörsliche Transaktionen, also auch die nicht über CCP gelaufenen Geschäfte, an Transaktionsregister, die Trade Repositories, gemeldet bzw. dort erfasst werden. Mit den Maßnahmen sollen die potenziellen systemischen Risiken reduziert werden, die von dem nach ausstehendem Volumen rund 640 Bill. Dollar schweren außerbörslichen Derivatemarkt ausgehen.Diese Risiken, die den Aufsichtsbehörden bereits seit geraumer Zeit erhebliche Sorgen bereiteten, traten im Jahr 2008 zutage, als Lehman Brothers zusammenbrach. Die gigantischen Positionen, die die Investmentbank sowie der durch ihren Kollaps in schwere Bedrängnis geratene Versicherer AIG am CDS-Markt (Credit Default Swap) hielten, lösten Panik aus, weil eine tödliche Kettenreaktion befürchtet wurde. Dem Markt und den Aufsichten kam dann aber zugute, dass der US-Abwickler Depository Trust & Clearing Corporation (DTCC) seit dem Jahr 2007 ein Transaktionsregister betrieb und im Oktober 2008 zeigen konnte, dass die Netto-Positionen der Kreditderivate, die durch den Lehman-Kollaps gefährdet waren, nur rund 6 Mrd. Dollar statt der befürchteten 400 Mrd. Dollar betrugen.Aus der Beinahe-Kernschmelze des Jahres 2008 wurden rigorose Konsequenzen gezogen. Zukünftig, darin waren sich Regierungen und Aufsichten einig, sollen die vom Ausfall einer Gegenpartei ausgehenden Risiken dadurch auf ein Minimum reduziert werden, dass der weit überwiegende Teil des außerbörslichen Derivategeschäfts über CCP geleitet werden muss. Zudem soll durch eine Erfassung der außerbörslichen Derivatetransaktionen Licht ins Dunkel gebracht werden, damit sich die Aufsichten einen Überblick über den Markt und etwaige vom ihm ausgehende Risiken verschaffen können. So einfach die hinter den neuen Derivateregeln stehenden Überlegungen und Prinzipien auch sein mögen, so komplex und aufwendig ist ihre Umsetzung in die Praxis. Tausende von Marktteilnehmern, die ihre Derivategeschäfte bislang weitestgehend bilateral abgewickelt haben, müssen sich auf die zentrale Verrechnung mit Besicherung und die Meldepflicht vorbereiten, d. h. die entsprechenden Prozesse und technische Infrastruktur einrichten. GeschäftschancenAuf der anderen Seite müssen die Anbieter der für die neue Emir-Welt benötigten Dienstleistungen, darunter die Clearing-Häuser und die Clearing-Mitglieder, die Bedienung Tausender Kunden vorbereiten. Doch nicht nur Geschäftsprozesse, IT, rechtliche Thematiken, Dokumentation etc. sind betroffen. Hinzu kommen noch weiter gehende potenzielle Folgen bis hin zur Umwälzung von Geschäftsmodellen. Nicht gerade vereinfacht wird die Prozedur für grenzüberschreitend aktive Adressen dadurch, dass neben Emir auch noch mit Dodd-Frank das US-Pendant der Richtlinie beachtet werden muss. Doch die Lasten stellen nur die eine Seite der Medaille dar. Die andere besteht aus beträchtlichen Geschäftschancen, die sich aus den neuen Regeln ergeben. So eröffnet sich Derivatehandelshäusern, die Clearing-Mitglieder der Zentralen Kontrahenten sind, ein erhebliches Clearing-Kundenpotenzial.Geradezu elektrisiert sind die Börsenbetreiber. Auf der Suche nach neuen Geschäftsmöglichkeiten, weil das Kassamarktgeschäft immer weniger als Basis ausreicht und zudem der börsliche Derivatehandel nach jahrelangem Wachstum nun auf der Stelle tritt, wittern sie eine potenziell lukrative Gelegenheit. Reihenweise stürzen sich Börsenbetreiber derzeit auf das neue Geschäft und starten CCP und Trade Repositories. So hat nun der Chicagoer Terminbörsenbetreiber CME Group von der britischen Aufsicht FSA die Genehmigung erhalten, in London einen Zentralen Kontrahenten für den Zins-Swap-Markt zu starten. In diesem Markt, auf den mit einem ausstehenden Volumen von knapp 500 Bill. Dollar rund drei Viertel des außerbörslichen Derivatehandels entfallen, wird die CME u. a. auf die vor der Übernahme durch die London Stock Exchange stehende LCH.Clearnet als Wettbewerber stoßen.Dritter im Bunde ist die zur Deutschen Börse gehörende Eurex. Im November 2012 hat Eurex Clearing in Zusammenarbeit mit fünf führenden internationalen Banken den Service EurexOTC Clear für Zinsswaps, der auf Buy-Side-Kunden zielt und bereits erste Transaktionen für einen Hedgefonds und zwei Asset Manager verrechnet hat, gestartet. Letzteres zeigt, dass Teile des Marktes bereits vorzeitig begonnen haben, die neuen Vorschriften für den außerbörslichen Derivatehandel umzusetzen. Am weitesten fortgeschritten ist dabei der CDS-Markt, für den das erwähnte Trade Repository der DTCC besteht und der über das ICE-Clear-Clearing-Haus der amerikanischen Terminbörse Intercontinental Exchange verrechnet wird. Ob sich die Erwartungen der Börsenbetreiber erfüllen werden, ist kaum prognostizierbar, da kaum eingeschätzt werden kann, wer sich durchsetzt und wie sich der starke Wettbewerb um das neue Geschäft auf Preise und Margen auswirken wird. Zudem muss abgewartet werden, wie sich das neue regulatorische Umfeld – dazu zählen neben Emir u. a. auch die sich verändernden Eigenkapitalvorschriften – auf das Verhalten der Marktteilnehmer auswirken werden.Jenseits von Lasten und Geschäftschancen werden für alle an dem Geschäft beteiligten Akteure sowie für die Allgemeinheit als positive Veränderung eine deutliche Verminderung der Risiken und die Möglichkeit, durch erhöhte Transparenz Gefahren frühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls einzudämmen, übrig bleiben. Allerdings wird es auch in Zukunft keine absolute Sicherheit vor systemischen Risiken geben. Insbesondere auf die deutlich erhöhte Bedeutung der CCP wird in diesem Zusammenhang zu achten sein.