IM INTERVIEW: UWE BURKERT, LANDESBANK BADEN-WÜRTTEMBERG

"Die EZB hat ihr Pulver noch lange nicht verschossen"

Umfeld aus Null- und Negativrenditen gilt als intakt - Zehnjährige Bundrendite könnte unter minus 1 Prozent fallen - Unternehmen emittieren fleißig Bonds

"Die EZB hat ihr Pulver noch lange nicht verschossen"

Uwe Burkert, Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), sieht das Umfeld aus Null- und Negativrenditen an den Bondmärkten weiterhin als intakt an. Er kann sich durchaus vorstellen, dass die Europäische Zentralbank (EZB) das Quantitative Easing (QE) auch noch ausweiten wird. Herr Burkert, ist das Niedrig-, Null- und Negativrenditeumfeld weiterhin intakt, und welche wirtschaftlichen Gründe sprechen dafür, dass es auf Sicht von ein bis zwei Jahren intakt bleibt?Wir stecken in einer Unsicherheitsfalle fest, die die Investitions- und damit die Kapitalnachfrage lähmt. Somit bleibt es schwierig, mit Sparguthaben entsprechend Kredite zu vergeben, die Zinsen erwirtschaften und damit Ertrag bringen. Unglücklicherweise bewirkt die Unsicherheit auch ein Abfallen der Konjunkturen, so dass die meisten Zentralbanken in diesem Jahr wieder in einen Zinssenkungsmodus übergegangen sind. Beides zusammen wird die Renditen tief, wahrscheinlich im Negativbereich halten. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat in diesem Monat wieder mit Neukäufen von Anleihen begonnen. Wird das Minuszinsumfeld dadurch zementiert?Die Unbefristetheit des Ankaufprogramms zementiert die Forward Guidance der EZB und damit das Minuszinsumfeld. Hoffnung auf eine technische Zinserhöhung habe ich durch das von der EZB neu eingeführte Instrument des Staffelzinses, das über eine Heraufsetzung des Multiplikators – x-Faches der Mindestreserve – den von den Banken tatsächlich zu zahlenden Negativzins deutlich reduzieren kann, was die Wirkung einer Zinserhöhung hätte, ohne so zu heißen. Die Erhöhung auf das Zwanzigfache der Mindestreserve würde ähnlich wie in der Schweiz nahezu alle Privatkundeneinlagen bis 100 000 Euro vom Negativzins freistellen – und die unsägliche Diskussion über Negativzinsen für normale Privatkunden beenden und nebenbei die EZB aus dem Schussfeld nehmen. Wenn ich Frau Lagarde wäre, würde ich diesen Schritt sehr schnell vollziehen. Auf welchen Zeitraum von Anleihekäufen durch die EZB stellen Sie sich ein?Wir gehen zunächst bis zum Jahresende 2020 davon aus. Bis dahin klärt sich das Bild der wirtschaftlichen Entwicklung, die US-Präsidentschaftswahlen sind gelaufen, und das Tal des Konjunkturzyklus sollte durchschritten sein. Auch etwaige Fiskalimpulse sollten bis dahin Wirkungsansätze zeigen. Können Sie sich noch eine Ausweitung des QE-Instrumentariums vorstellen?Ja, denn aus unserer Sicht hat die EZB ihr Pulver noch lange nicht verschossen. Wir haben es immer wieder in der Vergangenheit erlebt, dass der Staat Mittel und Wege findet, seine Ziele auch durchzusetzen – natürlich immer verbunden mit entsprechenden Kosten und Nebenwirkungen. Die EZB könnte direkt Kredite vergeben – eine (Teil-)Verstaatlichung der Kreditvergabe quasi. Sie könnte auch Non-Performing Loans ankaufen, die bilanziell meist von den Banken verarbeitet sind, regulatorisch aber nach wie vor viel Eigenkapital binden. Sie könnte zudem bezüglich ihrer Sicherheiten neue Standards einführen und dort lenkend eingreifen, wie man jetzt an der aktuellen Diskussion zum Thema Klimaschutz und Geldpolitik sehen kann. Aktien- und Bankanleihenkäufe halte ich aus geldpolitischer Sicht für schwer begründbar, da dies zum einen sehr weit von der eigentlichen Transmission entfernt ist und damit die Wirkung nur sehr indirekt erfolgen dürfte. Zum anderen würden gerade Ankäufe von Bankanleihen dem Aufsichtsmandat der EZB zuwiderlaufen. Das wäre ja so, als ob der Schiedsrichter die Mannschaftsaufstellung mit bespricht. Und von Helikoptergeld halte ich absolut nichts, da ein Großteil des zusätzlichen Geldes gespart, ein weiterer großer Teil zur Entschuldung und nur rund 25 % als tatsächliche Ausgaben genutzt würde – das ist übrigens nicht nur bei den Schwaben so. Und dafür die letzte Kugel verschießen – das wäre meines Erachtens ein fatales, weil finales Zeichen. Und wann sehen Sie den Einlagensatz der EZB wieder im positiven Bereich oder wenigstens bei null Prozent?Ende 2023 sollten wir wieder bei 0 % sein. Schneller wäre besser, aber da müsste Frau Lagarde sich schon deutlich vom Kurs ihres Vorgängers abheben. Aber klar ist für mich: Von allen Instrumenten, die die EZB im Einsatz hat, ist der Negativzins das Instrument mit den stärksten negativen Nebenwirkungen und sollte daher rasch abgesetzt werden, bevor der Patient an diesen Nebenwirkungen chronisch krank und damit dauerhaft geschwächt wird. Wenn man zum Beispiel die Pensionsproblematik betrachtet, sieht man, dass diese Art Geldpolitik kontraproduktiv wirkt und zusätzlich Investitionen von Unternehmen verhindert. Bei Banken wirkt es sogar doppelt kontraproduktiv, da höhere Pensionsdotierungen zu Lasten des Eigenkapitals gehen – was die Kreditvergabe zusätzlich limitiert. Die Liquiditätslage in vielen Segmenten des Bondmarktes hat bereits gelitten. Wie wird sich die Liquidität weiter entwickeln unter dem Eindruck der Käufe der EZB, die ja marktschonend vorgehen will?Die Liquidität hat ja nicht nur durch den “Staubsauger” EZB gelitten, sondern durch weitere wichtige Faktoren. Zum einen sind die Positionierungen klar auf weiter fallende beziehungsweise dauerhaft tiefe Renditen ausgerichtet – eine Nebenwirkung der Forward Guidance und der unbefristeten Anleihekäufe. Zum anderen wirkt die Regulierung hier extrem zyklisch, da die Banken Handelsbestände nun stärker mit Eigenkapital unterlegen müssen und damit Market-Making-Bestände äußerst niedrig halten, falls überhaupt. Die Markttiefe von früher wird in diesem Regime meines Erachtens nicht mehr erreicht werden, was bei abrupten Meinungswechseln zu sehr deutlichen Zinsausschlägen führen wird. Wo sehen Sie die zehnjährige Bundrendite per Mitte 2020 und Ende 2020 und sind minus 1 % möglich?Wir müssen sehr demütig feststellen, dass die Rendite zehnjähriger Bunds alle Vorstellungen nach unten durchbrechen konnte, daher schließen wir die minus 1 % oder auch tiefer nicht aus. Dennoch halten wir negative Renditen unter minus 1 % für extrem verzerrend und nicht wirklich problemlösend für die Themen Investitionsstau und schwache Kreditvergabe, im Gegenteil. Unseres Erachtens hat auch die EZB kein Interesse an diesen Niveaus, so dass hier eventuell eine Zinskurvensteuerung à la Japan drohen könnte, sollten die Renditen zu tief fallen, insbesondere für die Laufzeiten zwischen 15 und 30 Jahre sehe ich da gewisse Risiken. Was ist Ihr Konjunkturbild für 2020 für die Eurozone?Wir sehen Europa deutlich stärker als Deutschland, weil Deutschland weiter unter dem schwierigen Umfeld für die Industrie leiden wird. Die Unternehmen werden mit den Erfahrungen und dem Instrumentarium aus der 2009er Rezession gegen die Negativeffekte anarbeiten. Allerdings wird dies zunächst zu einer weiteren Schwächung 2020 führen, so dass wir aus der konjunkturellen Talsohle erst 2021 herauskommen sollten. Rechnen Sie in den USA mit weiteren Zinssenkungen der Fed und wenn ja, wie viele Zinsschritte erwarten Sie für kommendes Jahr?Für 2019 erwarten wir keine weitere Zinssenkung. Die Fed muss aber weiterhin gute Miene zum bösen Spiel des US-Präsidenten machen und die Zinsen nach unten nehmen. Wir gehen von zwei Zinsschritten 2020 aus. Wenn die Wirkung der Zinssenkungen aus 2019 nachlässt, werden die Märkte wieder neuen “Stoff” einfordern. Wo sehen Sie die zehnjährige US-Treasury-Rendite per Mitte und Ende 2020?Per saldo erwarten wir eine Seitwärtsbewegung. Zur Jahresmitte 1,90 %, zum Jahresende 2 %, was bei zwei Zinssenkungen durchaus eine Kurvenversteilerung mit sich bringen würde. Erwarten Sie, dass der US-Handelsstreit mit China 2020 gelöst wird?Wir erwarten nur eine Teileinigung. Der strategische Konflikt zwischen den beiden Mächten bleibt und damit auch das Potenzial weiterer Streitigkeiten, egal wer in USA Präsident wird. Dieses Umfeld ist für Unternehmen mit Blick auf die Refinanzierung sehr attraktiv. Wie sind Ihre Erwartungen für den Primärmarkt in der Eurozone 2020?Die Marke von 400 Mrd. Euro für Corporate Bonds in Euro ist fast geknackt, das Volumen könnte in diesem Jahr ca. 420 Mrd. Euro erreichen. Nach dem schwächeren Jahr 2018 dürfte 2019 damit ein neues Rekordjahr werden. Wir erwarten eine sehr starke Emissionstätigkeit der Unternehmen, da aus Vorsichtsgründen Liquiditätshaltung beziehungsweise weiterhin lange Laufzeiten gesucht sind. Wir erwarten auch, dass Unternehmen wieder mehr bereit sind, Liquiditätsprämien zu bezahlen. Für 2020 rechnen wir weiterhin mit einem hohen Niveau an Neuemissionen und erwarten rund 400 Mrd. Euro. Auch für Schuldscheindarlehen sind wir vor diesem Hintergrund sehr positiv gestimmt. Und welche Fälligkeiten kommen auf den Markt der Unternehmensanleihen 2020 zu?Das erwartete Neuemissionsvolumen liegt zwar deutlich über dem Volumen der Bondfälligkeiten – 2020 ca. 248 Mrd. Euro, 2021 ca. 262 Mrd. Euro. Im Vergleich zu 2019 dürften aber die Nettoneuemissionen niedriger als 2019 ausfallen, so dass sich die Nachfrage der EZB stärker in den Spreads bemerkbar machen dürfte. High Yield liegt zum Teil bereits ebenfalls im Minus. Ist das ein Trend, der sich fortsetzt?In diesem Bereich des Konjunkturzyklus ja. Dennoch zeigt sich in diesem Jahr, dass High Yields wirklich hohe Renditen beschert haben, bei sehr geringen Ausfällen. Das könnte sich 2020 drehen. Wie wird sich der Green-Bond-Markt 2020 emissionsseitig entwickeln – auch unter dem Eindruck von Corporates?Green-Bonds-Emissionsvolumina werden massiv davon abhängen, wie die EU “grün” in ihrer Taxonomie definiert. Stand heute werden wir mehr Emissionen 2020, vor allem aber mehr Emittenten – gerade aus dem Unternehmenslager – erwarten dürfen, allerdings sind die zugrundeliegenden Finanzierungsgegenstände endlich. Für mich ist aber klar: Die Lenkung hin zu mehr Klimaneutralität wird die Politik über die Finanzmärkte einsteuern und die Notenbanken freuen sich schon auf ihre neuen Aufgaben. Das Interview führte Kai Johannsen.