IM INTERVIEW: NICK MAROUTSOS, JANUS HENDERSON

"Die EZB wird mit der Zombifizierung weitermachen"

Der Co-Head Global Bonds des Assetmanagers über negative Renditen, das Verhältnis von Donald Trump und Fed sowie über Ramschanleihen

"Die EZB wird mit der Zombifizierung weitermachen"

Für einen Anleihenexperten ist Nick Maroutsos recht optimistisch. Er rechnet für 2020 damit, dass sich alle Assets positiv entwickeln werden. Das Problem ist der Grund für diese Annahme: Der Co-Head Global Bonds von Janus Henderson geht davon aus, dass sich die Zinsen nach unten entwickeln werden. Herr Maroutsos, was lässt Sie nachts nicht schlafen?Die Weltwirtschaft steht vor einer ganzen Reihe von Problemen. In vielerlei Hinsicht sind es zu viele, um sie zählen. Wir beide könnten problemlos eine Liste mit 20 Punkten zusammenstellen, die uns mit Blick auf das kommende Jahr Sorgen machen. Wie würde die aussehen?Handelskriege, Unruhen in Schwellenländern, ob nun in Chile oder Hongkong, geopolitische Risiken, politische Risiken, gestörte Preisfindung, Störungen am Geldmarkt, Quantitative Tightening, Quantitative Easing, zu viel Zentralbankliquidität, der Fed Put, was auch immer. Aber ich bin trotzdem nicht übermäßig pessimistisch für die Anleihenmärkte. Was für einen Bondanleger ungewöhnlich ist.Ich weiß. Für mich war das Glas immer halb voll. Vielleicht hätte ich eine Karriere im Aktiengeschäft anstreben sollen. Wir werden schließlich dafür bezahlt, uns Sorgen zu machen. Aber der weltweite Bondmarkt ist so groß. Und unser Mandat bindet uns nicht an eine bestimmte Benchmark. Deshalb können wir uns auf die Suche nach Werten machen und müssen uns nicht an einer Reihe von “Overweight”- und “Underweight”-Vorgaben orientieren. Haben Sie Interesse an Papieren mit negativer Rendite?Nein, darin kann ich keinen Wert erkennen. Wir sehen uns die Vereinigten Staaten, Australien, Großbritannien, Kanada, Neuseeland und Asien ohne Japan als Renditequellen an. Nicht die Eurozone?Nicht die Eurozone. Das soll nicht heißen, dass dort keine Werte gefunden werden könnten. Man wird nur nicht angemessen für das Risiko entschädigt, dass man in Kauf nimmt. Wir glauben nicht, dass die Zinsen steigen werden. Ich denke, dass sich die Zinsen eher nach unten entwickeln werden, aber nicht weil wir uns auf eine Rezession zubewegen würden. Warum dann?Wir bewegen uns in einem Umfeld mit zahlreichen Problemen. Man könnte auch noch die demografische Entwicklung mit dazunehmen. Wir befinden uns in einer späten Phase des Wirtschaftszyklus. Das zieht die Zinsen insgesamt nach unten. Wir haben Zentralbanken, die als Kreditgeber der letzten Instanz gelten, aber auch einen Auffangmechanismus für die Märkte bieten. Das sollte dafür sorgen, dass es einen Boden für Risikoassets gibt. Was heißt das für Anleger?Für 2020 bedeutet das, dass sich alle Assets positiv entwickeln dürften. Man muss nur mehr Realismus walten lassen, wenn es um den Wert der Assets geht, die man erwirbt. Wird uns das dann als weltweit synchrone Erholung verkauft?Möglicherweise, allerdings glaube ich nicht, dass es notwendigerweise eine Erholung geben wird. Wir werden einfach keine Rezession bekommen. Wir werden einfach weiterwursteln, und das wird zu positiven Renditen in allen Assetklassen führen. Ob man das nun für richtig oder falsch hält: Die Zentralbanken werden für die Märkte den Backstop liefern. Weil sie keine andere Wahl haben.Sie haben keine andere Option. Sie haben sich dazu verpflichtet, das zu tun. Man kann von Moral Hazard sprechen, aber es gibt einfach zu viel kurzfristiges Denken am Markt. In welcher Hinsicht?Wenn wir alle langfristig denken würden, mit Blick auf die nächsten 20 Jahre, dann sollten wir jetzt unsere Medizin schlucken, das heißt den Preis dafür bezahlen, die Weltwirtschaft für die kommenden Generationen solider aufzustellen. Aber das wollen wir nicht. Wir wollen unsere Medizin nicht nehmen. Wir wollen, dass die Party weitergeht. Das wird vermutlich dazu führen, dass die Exzesse weitergehen. Aber die Zentralbanken haben größtenteils keine andere Wahl. Der Bullenmarkt für US-Treasuries kann also weitergehen?Er wird weitergehen. Der US-Leitzins wird innerhalb von zwölf Monaten auf 1,0 % zurückgehen. Die Fed wird weitere Zinsschritte nach unten tun, vielleicht ein oder zwei im kommenden Jahr. Nicht in diesem Jahr schon?Nein, vor allem weil die Sitzung am 11. Dezember stattfindet. Ich glaube, es besteht ein reales Risiko, dass die Probleme am Repo-Markt, die wir im September beobachtet haben, in noch stärkerer Form zurückkehren werden. Allerdings wird es wohl erst nach der Fed-Sitzung dazu kommen. Die von der Fed implementierten Lösungen werden dadurch permanent gemacht, und sie werden es wohl auch bleiben. Sie adressieren das Problem. Der Markt verlangt Liquidität. Die Fed stellt diese Liquidität zur Verfügung und wird sie für einen langen Zeitraum nicht wieder abziehen, weil die Leute von dieser Liquidität abhängig geworden sind. Wir warten darauf, dass die Fed auch noch Aktien kauft.Ich wäre nicht überrascht, wenn es einmal dazu käme. Aber davon sind wir noch weit entfernt. Sehen wir uns einmal Europa an. Sie haben es in Deutschland mit negativen Renditen zu tun. Die EZB hat sich voll und ganz zu einer Politik der negativen Zinsen verpflichtet, weil sie glaubt, dass das zu mehr Wachstum führen wird. Wie sich herausgestellt hat, ist dem nicht so, aber die EZB kann ihren Kurs nicht ändern, weil sie ihn schon zu lange verfolgt hat. Würde sie ihn aufgeben, wäre das eine absolute Kehrtwendung, die negativen Widerhall an den Märkten finden würde. Die EZB wird also mit der Zombifizierung der europäischen Anleihenmärkte beziehungsweise des Bankwesens weitermachen. Das völlige Fehlen eines Preisfindungsmechanismus wird sich wohl fortsetzen. Wie wird sich die US-Präsidentschaftswahl auf die Fed auswirken?Sie wird unabhängig bleiben wollen. Der Streit zwischen Trump und Powell geht weiter. Trump will niedrigere Zinsen. Die Fed hat den Leitzins um 25 Basispunkte gesenkt, und Trump findet, es hätten 50 sein sollen. Es ist nie genug. Aus seiner Perspektive liegt es in seinem besten Interesse, niedrige Zinsen und einen schwachen Dollar zu haben. Warum?Er kann damit den Aktienmarkt stützen und sich auf die Schulter klopfen und sagen: Seht was ich geschaffen habe! Der Aktienmarkt notiert so hoch wie nie zuvor. Und wenn sich Powell und Trump auf etwas einigen können, dann darauf, dass sie eine Rezession vermeiden wollen. Die Fed befindet sich in einer schwierigen Situation, denn sie will ihre Unabhängigkeit bewahren. Sie will nicht den Eindruck erwecken, dass sie politisch gezwungen ist, den Leitzins zu senken oder beizubehalten. Wenn sie den Leitzins zu früh senkt, etwa im ersten Quartal 2020, wird es so aussehen, als ob sie sich dem Druck von Trump beugt. Wenn sie den Leitzins dagegen stabil hält, und die Wirtschaft fängt an zu schwächeln, könnte es so aussehen, als ob sie gegen Trump und zugunsten der Demokraten handelt. Und “Das Volk gegen das Establishment” könnte in die nächste Runde gehen.Genau. Es ist ein sehr empfindliches Gleichgewicht. Wenn sie im kommenden Jahr den Leitzins senken, dann im März und – abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung – im Juni. Sind es nicht die Zinserwartungen, die die Politik der Fed bestimmen?Niemand denkt, dass die Zinsen steigen werden. Es gibt ein großartiges Zitat: Die Fed ist zugleich Brandstifter und Feuerwehr. Ich wünschte, es wäre von mir. Sie schreibt das Problem fort, aber sie versucht gleichzeitig auch, es zu lösen. Exzessive Überschussliquidität am Markt – ob man die jüngste Runde von Stimuli QE nennen will oder nicht, spielt keine Rolle. Die Fed versucht immer noch, finanzielle Spannungen zu lösen. Aber ein Großteil ist das Ergebnis der Probleme, die sie geschaffen hat. Wie in Europa.In Europa ist es das Gleiche. Man könnte auch argumentieren, die EZB sei zugleich Brandstifter und Feuerwehr. Aber in Europa hat man keine Lösung durch den Markt zugelassen.Die USA haben in den vergangenen zwei, drei Jahren sehr viel Glück gehabt. Denn sie waren in der Lage, die Zinsen zu normalisieren. Zwar nicht auf das Niveau, das sie angestrebt haben, aber wenn man sich einmal an die Abläufe erinnert, waren die Vereinigten Staaten die Ersten, die angefangen haben, die Zinsen zu senken. Alle anderen folgten ihnen. Wir kamen aus der Krise, es gab Quantitative Easing, Bankfusionen, Bereinigung der Exzesse. Alle hielten die Zinsen über einen wesentlichen Zeitraum stabil. Dann erhöhten die USA den Leitzins. Die Erwartung war, dass die EZB, die RBA und andere bald nachziehen würden. Aber noch bevor es dazu kam, begann die Fed, den Leitzins erneut zu senken. Das bedeutete, dass kein anderer mit Zinserhöhungen beginnen würde. Der Zug ist abgefahren. Was heißt das für Europa?Europa steht vor einem wesentlich größeren Problem, denn es kann nicht im gleichen Umfang von unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen Gebrauch machen wie die Vereinigten Staaten oder Japan. In Europa kann man die Zinskurve nicht kontrollieren. Wessen Staatsanleihen würde man dafür kaufen? Man kann nur Quantitative Easing betreiben. Ob man das auf andere Assetklassen ausweitet, wird sich zeigen. Probieren geht über Studieren. Aber negative Zinsen funktionieren nicht. Ist nicht die Zeit der Fiskalpolitik gekommen?Die Europäer werden versuchen, das Problem geldpolitisch zu lösen. Aber wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen, werden sie auch fiskalpolitisch aktiv. Noch warten wir ab, ob die deutschen Wachstumsdaten für das vergangene Quartal nach unten revidiert werden.Man weiß erst, dass man sich in einer Rezession befindet, wenn man schon ein paar Quartale drinsteckt und die Daten das belegen. Die Daten verschlechtern sich, aber es ist nicht alles schlecht. Der US-Arbeitsmarkt läuft ganz gut. Wenn man sich einmal die Länge dieses Zyklus ansieht, ist es kein Wunder, wenn sich das Wachstum verlangsamt. Er hat vor einem Jahrzehnt begonnen. Die Zentralbanken werden alles tun, um die Party am Laufen zu halten. Das Problem dabei ist, dass jede weitere Runde Stimuli einen kleineren positiven Effekt zeitigt. QE1 sorgte noch für ordentlich Schub, QE2 für etwas weniger, QE3 für noch weniger. Die Wirkung lässt mit jeder weiteren Runde nach. Welche Emerging Markets sind für Sie interessant?Die einzigen Schwellenländer, in die wir investieren, liegen in Asien ohne Japan. Wir halten Staats- und Unternehmensanleihen. Die Corporate Bonds von dort stammen allerdings von Firmen, die sich entweder ganz oder teilweise im öffentlichen Besitz befinden. Das liefert zusätzliche Sicherheit. Was müsste passieren, um die Eurozone wieder interessant zu machen?Die Zinsentwicklung müsste sich normalisieren. Es bedürfte einer Form von Wachstum und der Verpflichtung, sich von der Politik des leichten Geldes wegzubewegen. Aus unserer Sicht befindet sich Europa in einer Abwärtsspirale. Es sieht fast so aus, als käme es aus eigener Kraft da nicht mehr heraus. Wer kauft Bundesanleihen?Diese Leute müssen einen Grund haben. Die Renditen haben sich ein wenig von den Tiefständen entfernt. Da gibt es aber keine Werte zu heben. Ob es sich um Deutschland, Griechenland, Italien oder Frankreich handelt: Ich sehe mir die Dinge auf einer Relative-Value-Basis an. Wie muss man sich das vorstellen?Wenn ich also eine Rendite von x auf eine italienische BTP-Staatsanleihe bekomme, dann frage ich mich, wo in der Welt ich die gleiche oder eine höhere Rendite bekommen könnte. Und dann kaufe ich lieber qualitativ hochwertige amerikanische, australische oder britische Bonds als BTP. Obwohl die EZB als Kreditgeber letzter Instanz auftritt, gibt es da weniger Volatilität und weniger politische Risiken. Ich will meine Anlageentscheidungen nicht mit Blick darauf treffen müssen, was in der Politik geschieht. Deshalb halten wir uns von den Papieren aus der europäischen Peripherie fern. Viele Investment-Grade-Unternehmen haben die niedrigen Zinsen genutzt, um sich reichlich Schulden aufzuladen. Ist das ein Problem?Noch ist das aus meiner Sicht kein Problem, aber wie gesagt: Anleger müssen realistischer sein, was den Wert der Assets angeht, die sie kaufen. Wenn man mit Fixed Income noch einmal Renditen von 8 % erzielen will, müsste der US-Leitzins unter 1 % fallen. Ist das möglich?Klar, aber ich glaube nicht, dass die Zinsen derart weit unter 1 % sinken werden. Man wird immer noch eine positive Rendite erhalten. Alles in allem denke ich, dass das Zinsniveau generell zurückgehen wird. Bei den Spreads gibt es allerdings Grenzen dafür, wie eng sie werden können. Wir kommen langsam an den Punkt, wo die Bewertungen hoch wirken. Man sollte einfach nicht davon ausgehen, dass man bei einer Rally der Spreads wesentliche Kursgewinne erzielen wird. Sie mögen Unternehmensanleihen also nicht.Keineswegs. Aber ich glaube, dass man hochwertige, defensive Anleihen halten sollte, Papiere, die sich auch in einer Rezession gut entwickeln. Man sollte das mit etwas Tail Risk ausgleichen, einen Teil der Kreditrisiken weghedgen und etwas taktischer und beweglicher vorgehen, damit man seine Positionen auch dann noch halten will, wenn dunklere Wolken aufziehen und die Liquidität am Markt versiegt. Eine lange Kapitalbindungsdauer bei US-Anleihen ist also kein Problem?Nein, das möchte man haben. Wir finden auch australische und neuseeländische Papiere mit hoher Duration gut. Das sind alles Zentralbanken, von denen wir glauben, dass sie im ersten Halbjahr 2020 die Zinsen senken werden. Aus diesen Ländern will man auch das Front End haben. Sollten wir falschliegen, ist man ansonsten weniger immun gegen die Volatilität, die mit Zinsrisiken einhergeht. Interessieren Sie auch exotischere Dinge wie Verbriefungen?Nein, wir hatten mal MBS und ABS. Es waren qualitativ hochwertige Papiere, jeweils aus der ersten oder zweiten Tranche. Aber unser Portfolio unterscheidet sich sehr stark von anderen Anbietern, weil wir sehr konservativ sind. Wir wollen die Volatilität so gering wie möglich halten. Deshalb halten wir auch wenig High-Yield-Bonds, vielleicht 1 % des Portfolios. So hoch sind die Renditen ja auch nicht mehr.Ja, vielleicht sollte man wieder von Ramschanleihen sprechen. Womit wir wieder beim Thema Bewertung wären. Es gibt da draußen nichts, was als besonders günstig hervorstechen würde. Wir erwarten keine großen Kursgewinne für die Assets, die wir halten. Starren Sie die ganze Zeit auf die Zinskurve?Wir sehen die Form der Zinskurve natürlich an und es fließt auch in unsere Anlagestrategie mit ein. Aber warum ist die Zinskurve vor kurzem abgeflacht? Es ist eine Funktion der Zinserhöhungen der Fed am kurzen Ende und des exzessiven Verschuldungsniveaus. Das impliziert nicht notwendigerweise, dass wir in eine Rezession steuern. Nicht jeder Verflachung der Zinskurve folgt eine Rezession, aber jeder Rezession ging eine Verflachung der Zinskurve voraus. Das bewegt sich auf dem Niveau von “Sell in May”.Die Zinskurve ist flach. Sie schwankt zwischen dem positiven und dem negativen Bereich hin und her. Man könnte es den Medien vorwerfen, aus dem Umstand, dass es eine Abflachung um ein oder zwei Basispunkte gegeben hat, eine Sensation unter dem Motto “Hier kommt die Rezession” gemacht zu haben. Dabei sind eine ganze Reihe von Faktoren am Werk. Das schiere Ausmaß der Verschuldung hat erheblich zur Verflachung beigetragen. Das Interview führte Andreas Hippin.