IM BLICKFELD

Die Formel 1 fährt gegen die Wand

Von Alex Wehnert, Frankfurt Börsen-Zeitung, 8.12.2020 Wenn am kommenden Sonntag in Abu Dhabi die 1,6-Liter-V6-Turbomotoren dröhnen und die Pirelli-Reifen quietschen, geht für die Formel 1 eine denkwürdige Saison zu Ende. Einerseits gilt das in...

Die Formel 1 fährt gegen die Wand

Von Alex Wehnert, FrankfurtWenn am kommenden Sonntag in Abu Dhabi die 1,6-Liter-V6-Turbomotoren dröhnen und die Pirelli-Reifen quietschen, geht für die Formel 1 eine denkwürdige Saison zu Ende. Einerseits gilt das in sportlicher Hinsicht, hat Lewis Hamilton mit seinem siebten Weltmeistertitel doch die als unerreichbar geltende Rekordmarke von Michael Schumacher eingestellt.Andererseits war dieses Jahr aus finanzieller Perspektive einschneidend. Zwar hat die A-Aktie der Formel-1-Mutter Liberty Media Corporation nach ihrem Einbruch im Frühjahr deutlich zugelegt, sie notiert aber noch immer mehr als 10 % unter dem Niveau von Anfang Januar. Auch die Zahlen zum dritten Quartal boten nicht eben Anlass zum Jubel. So ist der aus der Königsklasse des Motorsports generierte Umsatz gegenüber dem Vorjahr um 5,7 % auf 597 Mill. Dollar zurückgegangen. Schwerer wiegt aber der operative Verlust von 104 Mill. Dollar – im dritten Quartal des Vorjahres hatte die Rennserie vor Steuern und Zinsen noch einen Gewinn von 44 Mill. Dollar eingefahren. Grund ist die Corona-Pandemie: Diese führte nicht nur dazu, dass die Saison später startete und TV-Verträge zu günstigeren Konditionen neu ausgehandelt werden mussten, sondern sorgte auch für einen Wegfall der Ticketeinnahmen bei den meisten Grands Prix. Zudem kehrt Liberty Media die Austragungsorte der Rennen als Grund für sinkende Einnahmen heraus.So war die Formel 1 aufgrund von Reisebeschränkungen gezwungen, Traditionsstrecken wie Imola und den Nürburgring ersatzweise wieder in den Rennkalender zu heben. Zudem wurden einige Parcours, zum Beispiel im italienischen Mugello und im portugiesischen Portimao, neu aufgenommen. Deren Betreiber sind weitaus weniger zahlungskräftig als jene von Retortenstrecken in Russland oder Nahost, zumal bei Letzteren auch finanzstarke Sponsoren mit zusätzlichen Mitteln winken. Retorte bringt LangeweileDoch bei den Fans sind die europäischen Austragungsorte weitaus beliebter. Denn die dortigen Grands Prix sind aufgrund des Streckenprofils mit Kiesbetten, schärferen Kurven und Schikanen sowie größeren Höhenunterschieden und der wechselhafteren Wetterlage aus Zuschauersicht spannender anzusehen als Rennen auf Retortenstrecken mit langen Geraden und weiten Auslaufzonen, die auch grobe fahrerische Fehler noch verzeihen. Auf Letzteren verkam die Formel 1 in den vergangenen Jahren zum reinen Rundenabspulen, bei dem die Teams mit der ausgefeiltesten Technologie und der stärksten Motorenleistung einen noch größeren Vorteil hatten als ohnehin schon. Das spannende zweite Rennen in Bahrain am vergangenen Sonntag bildet nur die regelbestätigende Ausnahme. Leider werden sowohl die Nostalgierennen in der Emilia Romagna und der Eifel als auch die Publikumsfavoriten in der Toskana und an der Algarve wieder aus dem Kalender verschwinden. Stattdessen hat die Formel 1 bei ihren Zuschauern für Entsetzen gesorgt, indem sie den Großen Preis von Saudi-Arabien ins Programm genommen hat – auf einer Strecke, die so retortenhaft ist, dass sie erst noch gebaut werden muss.Riad nutzt Sportveranstaltungen gerne, um sein Image aufzupolieren. Die durchsichtigen Versuche, Menschenrechtsverletzungen zu übertünchen, führen aber üblicherweise zu einem negativen Medienecho. Die Teilnehmer verlieren darüber meist nicht viele Worte und freuen sich über die hohen Summen, die sie für ihre Auftritte einstreichen.Kurzfristig mag der Große Preis von Saudi-Arabien für die Formel 1 einen Geldregen bedeuten, langfristig fährt sie damit aber gegen die Wand – nicht nur wegen der fragwürdigen politischen Botschaft, sondern auch weil zu erwarten steht, dass die Rennen dort ebenso gähnend langweilig werden wie in Abu Dhabi. Strategisch wäre es klüger, auf Strecken zu fahren, für die sich die Zuschauer auch interessieren. Denn das Spektakel, Piloten bei halsbrecherischen Geschwindigkeiten in enge Kurven und Überholmanöver gehen zu sehen, ist letztlich das einzige Verkaufsargument der Rennserie. Fällt dieses weg, bleiben irgendwann auch die Einnahmen aus TV und Sponsoring aus. Inwieweit die ab 2022 geltenden Regeländerungen einen stärkeren Konkurrenzkampf zwischen den Teams ermöglichen, muss sich erst zeigen. In der Wahl der Austragungsorte besitzt die Formel 1 dagegen bereits ein konkretes Mittel, um die Spannung zu erhöhen.Zwar gibt es auch auf anderen Kontinenten spannende Strecken, unter anderem in Kanada oder Singapur. Zudem ist es aus wirtschaftlicher Sicht nachvollziehbar, einen Grand Prix in einem Wachstumsmarkt wie China abzuhalten. Doch das Herz der Formel 1 schlägt in Europa. Die mangelnde Attraktivität des inländischen Publikumsmarkts von Saudi-Arabien mit seinen nicht einmal 34 Millionen Einwohnern unterstreicht, wie stark die Versuchung des schnellen Geldes bei den Lenkern der Rennserie jede langfristige Planung aussticht.Ähnlich verhält es sich bei der Vergabe der Fernsehrechte. In Deutschland zieht sich RTL aus der Berichterstattung zurück, weil die Königsklasse zu teuer geworden ist. Stattdessen läuft die Formel 1 künftig nur noch beim Bezahlsender Sky – ein drastischer Einbruch der Zuschauerzahlen dürfte die Folge sein. In anderen Märkten ist die Rennserie schon längst nicht mehr frei empfangbar. Dabei ist die Formel 1, die im Zuge des gesellschaftlichen Nachhaltigkeitstrends ohnehin an Akzeptanz verliert, auf eine möglichst große Reichweite angewiesen.Schwindet ihre Relevanz weiter, dürften auch die teilnehmenden Hersteller ihr Engagement hinterfragen. Für Ferrari ist die Formel 1 seit Jahrzehnten eine wichtige Werbeplattform, bei Aston Martin soll sie dies werden. Die Nachricht über die Teilnahme an der Königsklasse hat für die gebeutelte Aktie der britischen Luxusmarke zumindest leichte Kursfantasie geweckt. Doch die Strategie, sich über Rennerfolge zu vermarkten, wird hinfällig, wenn zum Grand Prix niemand mehr einschaltet. Dass die Geldgeber aus Nahost der Formel 1 dann noch die Treue halten werden, erscheint ebenfalls höchst zweifelhaft.