IM INTERVIEW: JEFF TAYLOR, INVESCO

"Die ganzen Schauergeschichten sind verpufft"

Der Head of European Equities der Fondsgesellschaft über Deutschland, Frankreich und Italien sowie den Charme der Finanzwerte

"Die ganzen Schauergeschichten sind verpufft"

– Herr Taylor, geht es außer Deutschland noch jemandem gut in Europa?Es geht Europa ziemlich gut. Die Binnennachfrage verbessert sich. Dabei geht es nicht nur um Deutschland. Frankreich hat sich zuletzt stark erholt und wächst momentan ein bisschen stärker als Deutschland. Spanien und auch kleineren Ländern wie Belgien geht es gut. Die Korrelation zwischen Einkaufsmanagerindizes und Gewinnen ist relativ klar.- Was schließen Sie daraus?Wir müssten normalerweise zweistellig steigende Unternehmensgewinne haben. Die Ergebnisse der vergangenen zwei Quartale haben das auch gezeigt. Es geht dabei nicht nur um ein paar Branchen, sondern um so gut wie alle. Wenn man mit Managern spricht, sind die meisten optimistisch, dass sich das auch im zweiten Halbjahr fortsetzen wird, vielleicht auch 2018. Für Europa ist das etwas Neues. Gute Nachrichten kommen nicht mehr nur aus den Vereinigten Staaten.- Es handelt sich aber oft um global aufgestellte Unternehmen.Auch weltweit kann man nicht behaupten, dass alles schiefgeht.- Ist die weltwirtschaftliche Erholung nicht die Nachricht, die im Lärm um Brexit, Trump und Le Pen untergegangen ist?Amerika bricht nicht zusammen. Asien scheint mehr oder weniger gut zu laufen. China hat sich ein wenig abgekühlt, aber die Regierung hat die eigene Volkswirtschaft unter Kontrolle.- Vor dem Parteitag im Herbst brennt da nichts an.Sowieso. Und auch in Brasilien sieht man mittlerweile eine gewisse Stabilität und erwartet, dass das Bruttoinlandsprodukt wachsen wird. Europa ist heute viel, viel stärker, als so gut wie alle Strategen und Volkswirte erwartet haben. Die politische Situation verbessert sich tendenziell. Die ganzen Schauergeschichten sind verpufft.- Haben Wirtschaft und Politik vielleicht nicht gar so viel miteinander zu tun?Die Börse leidet schon. Ab und zu gerät man blöderweise wegen der Politik in panische Angst. Im Frühjahr wurde jede Menge Quatsch über Holland und Frankreich erzählt. Das hat ab und zu zu schwachen Tagen an der Börse geführt. In Frankreich hat Emmanuel Macron auch bei den Parlamentswahlen eine Mehrheit bekommen. Damit stünde echten Reformen nichts mehr im Wege. Umfragen zufolge wollen die Franzosen einen Wandel.- Arbeitsmarktreformen? Da wäre ich nicht so sicher.Den Umfragen zufolge ist die Mehrheit der Franzosen mit dem Status quo nicht zufrieden. Das heißt ja nicht, dass es keine Großdemonstrationen geben wird. Vielleicht blockieren Lkw-Fahrer die Autobahnen oder es wird ein paar Tage in den Straßen von Paris randaliert, aber das heißt nicht, dass sich am Ende nichts tun wird. Die Bevölkerung ist größtenteils willig. Wenn sich der Reformstau auflöst, kann das Europa einen zusätzlichen Wachstumsschub geben.- Herr Macron war ja schon einmal Teil der Regierung …Nur kurz und nicht als Mitglied der Sozialistischen Partei.- … und da ist auch nicht viel passiert.Ja, aber er hatte damit keine Machtmittel in Händen.- Ist Macron nicht eher die Garantie dafür, dass der Status quo erhalten bleibt?Er ist kein Vertreter des Status quo. Seien wir fair: Vor anderthalb Jahren hat seine Partei noch gar nicht existiert. Was er seit seinem Amtsantritt gemacht hat, hat nichts mit dem Status quo zu tun.- So schlecht ist der Status quo nicht. Die Alternative wäre ja Le Pen gewesen.Ja, aber was er macht, hat nichts mit der Politik der vorangegangenen Jahrzehnte zu tun. Na gut, er ist eher vermögend. Er ist kein Außenseiter. Aber Marine Le Pen ist ein Politprofi. Sie ist auch keine Außenseiterin. Ich bin eher optimistisch, was Frankreich und was diese Regierung anbelangt. Die von ihnen gezeigte Skepsis entspricht der Konsensmeinung.- In welcher Hinsicht?Es ist nicht so wie bei Donald Trump. Nach seinem Wahlsieg waren viele, vor allem viele Amerikaner, davon überzeugt, dass sich die Räder jetzt schneller drehen und alles gut werden würde. Bei Macron gab es keine solche Euphorie. Es könnte mithin in Frankreich überraschend schnell besser laufen. Es ist ja nichts eingepreist.- Zumindest keine umfassende Arbeitsmarktreform oder Steuersenkungen.Dabei ist er in seinen Aussagen zur Steuerpolitik sehr klar gewesen. Haben die Aktien der französischen Unternehmen schon reagiert, die von einer Steuerreform am meisten profitieren würden? Nein.- Wer würde denn am meisten davon haben?Alles, was eine große Frankreich-Quote hat.- Einzelhandel zum Beispiel?Ja, Einzelhandel, Finanzdienstleister. Es gibt auch internationale Unternehmen, die einen guten Teil ihres Geschäfts in Frankreich machen. Die Analysten haben ihre Gewinnschätzungen deswegen noch nicht nach oben genommen, und die Aktien haben auch nicht reagiert. Die Skepsis ist zum Konsens geworden. Wenn Macron Erfolg hat, gibt es keinen Grund mehr, warum internationale Anleger Europa nicht positiver sehen sollten.- Italien macht keine Sorgen?Italien macht immer Sorgen, weil es Italien ist. Das ist eben so. In Italien wird auf der politischen Ebene gerne geredet, aber weniger gerne gehandelt. Es gibt aber sehr viele sehr gut geführte italienische Unternehmen. Die Änderung des Wahlsystems muss kein Desaster nach sich ziehen. Was Renzi und Berlusconi vielleicht versuchen werden, ist Macron nachzuahmen. PD, der Partito Democratico, steht in den Umfragen besser da als die Bewegung Fünf Sterne. Ich halte es für eher unwahrscheinlich, dass sich daraus eine Horrorstory entwickelt.- Aus welchem Grund?Ein Austritt aus der Eurozone wäre viel zu kompliziert, auch für eine Fünf-Sterne-Regierung. Man müsste die Verfassung ändern, und wie Herr Renzi vor kurzem lernen musste, ist das nicht eben leicht.- Und die Wahlen in Deutschland?Kein Thema, finde ich. Für die Börse ist es ziemlich gleich, ob Martin Schulz oder Angela Merkel Kanzler wird. Österreich ist auch kein Thema. Die FPÖ ist “globaler” geworden. Sie spricht nicht vom Austritt aus der EU oder aus der Eurozone. Außerdem wird es in Österreich wie in Deutschland immer zu einer Koalition kommen müssen.- Besteht nicht die Gefahr, dass sich die deutsche Wirtschaft wegen der niedrigen Zinsen überhitzt?Das stimmt. Es wird wohl auch so bleiben. Vielleicht müssen sich die Deutschen an steigende Immobilienpreise gewöhnen. Wir haben nach Jahrzehnten, in denen so gut wie nichts passiert ist, einen gewissen Anstieg beobachten können. Mit der Situation in Spanien oder Irland 2007 ist das nicht zu vergleichen. Ich glaube nicht, dass sich Deutschland überhitzt. Für einen internationalen Beobachter fühlt es sich warm an, nicht heiß.- Das hat man in Spanien auch gesagt.Jeder hat gewusst, dass es in Spanien nicht dauerhaft so bleiben kann.- Die europäischen Banken, die das alles finanziert haben, sahen es offenbar anders.Das hat aber nichts mit Spanien zu tun, sondern mit schlecht geführten Banken. Ein bisschen Inflation ist nicht nur erlaubt, es muss auch nichts Schlechtes sein. Es ist viel gesünder für die Börse, die Wirtschaft und die Bevölkerung insgesamt. Inflation ist besser als Deflation. Zwischen 1 % und 2 % finde ich völlig normal. Vielleicht ist das ein Zeichen dafür, dass die Zuversicht etwas größer geworden ist. Die Gewinnwachstumsgeschichte für Europa wird dadurch glaubhafter.- Ist der Preisauftrieb denn nachhaltig, oder rutschen wir eher wieder in die andere Richtung?Ich halte die Entwicklung eher für nachhaltig. Wenn man sich die Details der jüngsten Einkaufsmanagerindizes ansieht, finden sich dort jede Menge Kommentare zu Kostendruck und zur Gehaltsentwicklung. Das zeigt, dass es bei der Teuerung nicht nur um den Ölpreis geht. Man hat sich zu lange daran gewöhnt, dass es keine Inflation gibt. Wir gehen allerdings auch davon aus, dass der Ölpreis eher steigen wird.- In Großbritannien schrumpfen mal wieder die Realeinkommen.Ich spreche hier natürlich über den Euroraum. Dort sieht es mit der Binnennachfrage ganz anders aus. Die Einkommen werden wegen der Abwertung des Pfunds und der anziehenden Inflation ziemlich stark unter Druck kommen. Die Volkswirtschaft wird anfangen zu leiden. Anleger können aber glücklicherweise auf etwas anderes konzentrieren.- Sind die Auswirkungen des Brexit denn mittlerweile erkannt?Nichts ist erkannt. Aus meiner Sicht besteht die Gefahr, dass dieses Land jahrelang leiden wird. Ich würde nicht sagen, dass das keine Nebenwirkungen auf Kontinentaleuropa haben wird. Was aber vielleicht unterschätzt wird, ist die der Stärke der Binnennachfrage in Europa.- Wie könnte sich das praktisch auswirken?In England zu produzieren, ist keine Pflicht. Viele Unternehmen in Großbritannien sind Filialen von internationalen Konzernen, die nicht dort ansässig sind. Wo sind die britischen BMW oder Siemens? Okay, es gibt sie, aber die Liste ist nicht lang. Ein Großteil der britischen Industrie ist in ausländischer Hand.- Manche Leute halten das für Fortschritt und Industrie für eine Sache von gestern.Jein. Ein Land ohne Industrie wird eine ziemlich unausgeglichene Volkswirtschaft haben. Frau May glaubt zum Beispiel, dass das Finanzwesen in Großbritannien viel zu groß geworden ist. Ein bisschen von allem gehört dazu.- Wären nicht zumindest in der Finanzbranche die Nachteile für Kontinentaleuropa größer, wenn man nicht mehr wie bisher auf London zurückgreifen könnte?Finanzindustrie ist auch mobil.- Sagt man immer.Nein, das stimmt. Das weiß ich von Kontakten in einigen Großbanken, wo man schon jetzt Verlagerungen vorbereitet. Das ist eine Tatsache. Bürogebäude werden gekauft, zum Beispiel in Dublin. Ich will ja wirklich nicht sagen, dass hier alles verschwinden wird. Die Volkswirtschaft von Großbritannien wird ja nicht auf null gehen. Aber wenn man sich fragt, wo die Schwierigkeiten am größten sein werden, dann würde ich sagen hier.- Ist die Frage nicht eher, wo die Risiken unterschätzt werden? In Großbritannien eher nicht.Doch, sehr unterschätzt! Von den Politikern, und die haben die Hebel in den Händen. Hoffentlich lügen sie uns alle an und verstehen in Wirklichkeit doch, wie der Hase läuft. Wenn man sie hört, hat man wirklich nicht den Eindruck, dass sie die Lage richtig interpretieren. Haben Sie gelesen, was Ryanair zuletzt veröffentlicht hat? Wenn wir im März 2019 ohne Übereinkunft aus der EU ausscheiden, darf man laut Gesetz zwischen Großbritannien und Europa nicht mehr fliegen.- Ich glaube nicht, dass es so sein wird.Ich auch nicht. Alles, was ich sagen will, ist dass die Qualität, die Nachhaltigkeit und Stärke von Kontinentaleuropa ziemlich unterschätzt wird.- Deutschland?In mancher Hinsicht hat Deutschland die Krise börslich vielleicht zu gut überstanden. Nichts gegen Deutschland, aber in meinem Fonds hat Deutschland die größte Untergewichtung. Ich stehe der deutschen Volkswirtschaft und deutschen Unternehmen nicht negativ gegenüber, aber ich habe einfach anderswo bessere Möglichkeiten gefunden. Die Auswahl ist in Deutschland auch beschränkt. Wenn ich zum Beispiel auf steigenden Konsum setzen möchte, ist das in Deutschland nicht so leicht.- Da ist Frankreich interessanter.Da habe ich meine Gewichtung um einiges gesteigert.- Wie ist das denn mit Finanzwerten? Die Zinsen steigen ja nicht.Die Zinsen steigen noch nicht. Das heißt aber nicht, dass sie auch in Zukunft nicht steigen dürfen. Schauen Sie mal, wo der Euribor im Vergleich zu vor sechs oder neun Monaten jetzt steht. Da sieht man schon Anzeichen eines Anstiegs, auch wenn der Diskontsatz unverändert bleibt. Das wäre für mich der Zuckerguss auf der Torte.- Wenn man sich die Bilanzsummen ansieht, sind sie seit der Krise nur wenig geschrumpft.Aber die Bilanzen sind viel gesünder geworden. Ich bin nicht der Meinung, dass auf der Ebene der faulen Kredite überhaupt nichts gemacht worden ist.- Ist im Vergleich zu den USA in Europa nicht wenig passiert?Stimmt nicht. Wir befinden uns in einer ganz anderen Welt: viel stärkere Bilanzen, viel ausgeglichenere Liquiditätspositionen. Es gibt keine Abhängigkeit von Fremdkrediten – Wholesale Lending – mehr. Die Bilanzen der Banken sind im Schnitt sehr viel besser als vor der Krise. Die Möglichkeit von Gewinnwachstum ist auch vorhanden. Wir sind ganz am unteren Ende, was die Eigenkapitalrenditen anbelangt. Wie man bei ING oder Caixabank sehen kann, bricht die enge Korrelation zwischen EZB-Zinssätzen und Nettozinsmargen der Banken zusammen. Das Kreditwachstum kehrt zurück, die Provisionseinnahmen sind eher gut, und der Rückstellungszyklus wird immer positiver – weil in der Vergangenheit so viel gemacht wurde und weil ein bisschen Wirtschaftswachstum da ist. Deshalb sage ich Ja zu Banken. Aus meiner Sicht ist das eine gute Art und Weise, auf eine zyklische Erholung der Eurozone zu setzen.—-Das Interview führte Andreas Hippin.