GASTBEITRAG

Die Geldpolitik bleibt der dominierende Faktor

Börsen-Zeitung, 12.6.2019 Das Jahr 2018 stand ganz klar im Zeichen der Normalisierung der Geldpolitik. Die schrittweise Erhöhung der Leitzinsen in den USA, das Abschmelzen der Bilanz der US-Notenbank und das Ende der Anleihekäufe der EZB markierten...

Die Geldpolitik bleibt der dominierende Faktor

Das Jahr 2018 stand ganz klar im Zeichen der Normalisierung der Geldpolitik. Die schrittweise Erhöhung der Leitzinsen in den USA, das Abschmelzen der Bilanz der US-Notenbank und das Ende der Anleihekäufe der EZB markierten eine klare Richtungsumkehr zu den Jahren davor, in denen es eigentlich nur darum ging, wie hoch die zusätzliche geldpolitische Unterstützung ist. Entsprechend sensibel reagierten alle Risikoanlageklassen im vergangenen Jahr. Nach den starken Marktreaktionen im vierten Quartal betätigten die Notenbanken dann zum Jahreswechsel den Not-Aus-Schalter. Die Normalisierung wurde auf Eis gelegt. Der Kapitalmarkt machte daraus dann nicht nur eine Normalisierungspause, sondern läutete gleich die Kehrtwende ein. Die Fed Fund Futures preisen in den USA eine Zinssenkung um fast 50 BP noch in diesem Jahr ein und signalisieren mit einer Wahrscheinlichkeit von über 50 % mindestens einen weiteren Schritt im kommenden Jahr. In Europa signalisieren die Eonia Forwards eine Einlagensatzsenkung der EZB von 10 BP in den kommenden zwölf Monaten. Die in der vergangenen Woche angepasste Forward Guidance der EZB sowie die Aussage, dass bei unvorhergesehenen Umständen auch vor einer erneuten Einlagensatzsenkung nicht zurückgeschreckt würde, geben den Markterwartungen Unterstützung. Die Umkehr der Notenbankpolitik und die der Markterwartungen in Bund- und Treasury-Forward-Märkten hat den Anlagemärkten Luft verschafft und ist ganz klar der dominante Treiber hinter der Kurs-Rally aller Anlageklassen seit Jahresanfang.Bei der Analyse der fundamentalen Rahmenbedingungen kann, anders als bei der Geldpolitik, leider von keiner Kehrtwende die Rede sein. Sowohl das makroökonomische als auch das operative Umfeld der Unternehmen ist zwar keiner dramatischen, aber dennoch einer stetigen Eintrübung ausgesetzt. Im Vergleich zum September des letzten Jahres hat der Marktkonsens die globalen Wachstumserwartungen nach unten angepasst. Verantwortlich dafür waren insbesondere reduzierte Aussichten in den Schwellenländern und Europa, während sich die Wachstumserwartungen für die USA nahezu stabil halten konnten. Das fand mit den starken Zahlen zum Wirtschaftswachstum der USA im ersten Quartal eine Bestätigung. Die erneute Eskalation im Zollstreit ist für den volkswirtschaftlichen Ausblick nicht wirklich hilfreich. Große Abwärtsrevisionen sind allerdings nicht zu erwarten – selbst dann nicht, wenn die zusätzlichen 300 Mrd. Dollar an Importen aus China einem Zoll unterlegt werden sollten. Geschäftsmodelle gefährdetFür den Unternehmenssektor trübt sich das Umfeld deutlicher ein. Auch hier sind es weniger die Zölle, die belasten, sondern vielmehr die anhaltende Unsicherheit der operativen Rahmenbedingungen, vor allem aber die zunehmend zum Einsatz kommenden Sanktionen, die das Potenzial haben, Geschäftsmodelle von heute auf morgen zunichtezumachen. Jetzt darf man sicherlich nicht alles, was Donald Trump androht, auch für bare Münze nehmen; dafür haben wir uns in den letzten Jahren bereits zu sehr an seine verbalen Achterbahnfahrten gewöhnt. Dennoch zeichnet sich ganz klar ab, dass das Umfeld für global agierende Unternehmen bereits herausfordernder geworden ist und die Schwierigkeiten in Zukunft sogar noch zunehmen werden.Wie schwer sich die Unternehmen schon heute mit den global veränderten Rahmenbedingungen tun, zeigt ein Blick auf die Unternehmensgewinne. Im abgelaufenen ersten Quartal mussten die großen Industrieländer-Unternehmen (MSCI World) einen Rückgang der Gewinne von knapp 3 % gegenüber dem Vorjahr verzeichnen, im laufenden zweiten Quartal wird ein Rückgang von 4 % erwartet. Ähnlich ernüchternd sieht die Bilanz bei den Schwellenländer-Unternehmen (MSCI EM) mit einem Rückgang von 4 % im ersten Quartal und einer erwarteten Stagnation im laufenden Jahr aus.Sowohl die Aktien- als auch die Anleihemärkte hat dies bislang in äußerst geringem Ausmaß belastet, was angesichts der verschärften Handelsstreitigkeiten erstaunlich ist. Denn mit jeder Woche operativer Unsicherheit steigt die Gefahr von Gewinnwarnungen. Hinzu kommt, dass die Einzeltitelanalysten ihre Prognosen bislang nur sehr verhalten auf den verschärften Handelsstreit angepasst haben. Die für die kommenden zwölf Monate erwarteten Gewinne erscheinen deutlich zu hoch und müssen sicherlich noch weiter nach unten revidiert werden. Somit stellt sich die Frage, wie lange die Fantasie auf eine wieder lockerer werdende Geldpolitik die zunehmend schwieriger werdenden operativen Rahmenbedingungen überdecken kann.Eigenkapitalgeber sind in diesem Umfeld einem erhöhten Risiko aus-gesetzt. Sie dürften über die Sommermonate hinweg, in einem Spannungsfeld von zurückhaltenden Unternehmensausblicken auf der einen Seite und etwas zu weit gelaufenen Hoffnungen auf Zinssenkungen auf der anderen Seite, erhöhten Schwankungen und zwischenzeitlichen Enttäuschungen ausgesetzt sein. Aber auch der Anleihemarkt wird die höheren operativen Risiken nicht dauerhaft ignorieren können. Erhöhte VerwundbarkeitDie bereits begonnene leichte Spreadausweitung dürfte sich über die kommenden Wochen noch weiter fortsetzen und vor allem belastend auf die höher riskanten Anleihebereiche wirken. Wie verwundbar diese sind, hatte sich im vierten Quartal des letzten Jahres gezeigt. Da bislang keine wirkliche Bereinigung stattgefunden hat, bleibt eine erhöhte Verwundbarkeit gegeben. Denn der Trend zu einer schlechteren Kreditqualität der Schuldner setzt sich fort. In den USA sind die Ausfallraten von Unternehmenskrediten im letzten Quartal um 25 % angestiegen und liegen mit einem Volumen von 23 Mrd. Dollar auf Niveaus von Mitte 2017. Hinzu kommt, dass die Nach-frage nach Krediten niedrig und das Emissionsvolumen in 2019, vor allem bei Leveraged Loans, regelrecht eingebrochen sind. Auch Fed-Chef Powell betont regelmäßig die Risiken, die sich aus dem Kreditbereich schlechter Qualität perspektivisch für die Stabilität des Finanzsystems ergeben könnten. In einem Umfeld, in dem die Unternehmen vor zahlreichen operativen Herausforderungen stehen und durch Zölle und Sanktionen zusätzlich belastet sind, wird die Fed aber keinerlei Interesse daran haben, zusätzliche Unsicherheit an den Märkten auszulösen, und eine Bereinigung der Situation so lange wie möglich hinauszögern. Somit muss zwar aufgrund der bereits extrem dovishen Markterwartung mit kurzfristigen Enttäuschungen gerechnet werden. Allerdings wird das Zeitfenster zum Taktieren in diesen von Unsicherheit gezeichneten Perioden extrem kurz ausfallen. Denn es besteht kein Zweifel daran, dass die Geldpolitik in den kommenden zwölf bis 18 Monaten der dominierende Faktor bleibt. Anleger müssen somit auf der einen Seite weiterhin in den sauren Apfel niedriger Renditen beißen, erhalten auf der anderen Seite aber eine wirksame Unterstützung für Risikoanlagen. Joachim Schallmayer, Leiter Kapitalmärkte und Strategie, DekaBank