FAKTOR-INVESTING - LOW VOLATILITY

Die grauen Mäuse des Aktienmarktes

Faktor-Investing (3) - Low-Vol-Strategien setzen auf unbeachtete Aktien - Effekt könnte verschwinden

Die grauen Mäuse des Aktienmarktes

In Zeiten niedriger Renditen bei Staatsanleihen und zugleich knappen Risikobudgets wünschen sich viele institutionelle Anleger Strategien, mit denen sie bei geringer Volatilität eines Portfolios ihre Renditeziele erreichen können. Im Aktienbereich versprechen Strategien für den Handel in einem Umfeld mit niedriger Volatilität den Ausweg aus dem Dilemma.Von Stefan Schaaf, FrankfurtWer am Kapitalmarkt Geld verdienen will, der muss eine gewisse Menge an Volatilität aushalten. So die Finanztheorie. In Zeiten extrem niedriger Renditen bei sicheren Staatsanleihen und zugleich knappen Risikobudgets wünschen sich allerdings viele institutionelle Investoren Strategien, mit denen sie bei geringer Volatilität eines Portfolios trotzdem ihre Renditeziele erreichen können. Im Aktienbereich versprechen so genannte Low-Volatility-Strategien (Low-Vol-Stategien) einen Ausweg aus diesem Dilemma. Sie legen gezielt in unbeliebte Aktien an, wobei deren geringe Volatilität als Zeichen der geringen Renditeerwartungen gilt. Diese Strategie ist somit das Gegenteil einer Momentum-Strategie, die jene Aktien bevorzugt, die zuletzt bereits gut gelaufen sind.Low-Vol-Strategien widersprechen somit der klassischen Annahme, dass Finanzmärkte immer effizient sind, weil alle relevanten Informationen bereits in die Kurse eingepreist sind. Somit handelt es sich bei Aktien mit unterdurchschnittlicher Volatilität um eine typische Anomalie des Marktes, wie sich auch von quantitativen Strategien abgebildet werden. Deren Ansätze bezeichnen einige Anbieter als Smart Beta, andere sprechen von Faktoren. So genannte Faktoren bilden Anlagestrategien jenseits der klassischen Orientierung an der Marktkapitalisierung von Unternehmen ab. Sie definieren Charakteristika einer Gruppe von Aktien, die deren Risiko-Rendite-Profil widerspiegeln. In Abkehr von der Markteffizienz-Hypothese geht inzwischen allerdings auch die ökonomische Theorie verstärkt von Marktineffizienzen und -anomalien aus.Einer der sechs vom Indexanbieter MSCI identifizierten Faktoren ist Low Volatility, der eine Überschussrendite zu marktbreiten Indizes verspricht. “Die empirische Evidenz für diesen Faktor ist ein Rätsel, da er eindeutig nicht mit einem der grundlegenden Prinzipien der Finanztheorie übereinstimmt, nämlich dass höhere Volatilität mit höheren Erträgen verbunden ist”, schreibt MSCI in einer Abhandlung zu seinen Indizes. Low-Vol-Aktien zeigen jedoch genau das gegenteilige Verhalten: Sie sind gemessen an ihrer Volatilität weniger risikoreich – und bieten dennoch höhere Erträge als der Markt. Diese eindeutige Anomalie wird vor allem mit verhaltensökonomischen Ansätzen erklärt. Einer davon ist der Lotterie-Effekt: Anleger neigen dazu, Wetten einzugehen, bei denen sie wenig verlieren, aber viel Gewinnen können. Übertragen auf den Aktienmarkt heißt dies, vereinfacht gesagt: Weil höhere Volatilität auch einen höheren Ertrag verspricht, bezahlen Investoren oft zu hohe Preise für volatile Aktien, während sie für wenig volatile Aktien zu wenig bezahlen, so dass diese günstig zu haben sind. MSCI spricht von “irrationaler Präferenz für volatile Aktien”.Für dieses Verhalten nennt die Verhaltensökonomie weitere Begründungen. Eine davon sei das zu starke Vertrauen von Investoren in ihre eigenen Research-Fähigkeiten, die zur Überschätzung von volatilen Aktien führten. Zudem ignorierten sie Aktien, die auch sonst wenig Aufmerksamkeit fänden. Dies führt zu dem Problem, dass sich Vermögensverwalter oft an einer Benchmark messen lassen müssen, und eine Übergewichtung von Low-Vol-Aktien die Abweichungen (Tracking Error) verstärkt.In der Realität sind Low-Vol-Indizes allerdings nicht aus unbekannten oder wenig beachteten Aktien zusammengesetzt. Die Top-Werte im MSCI World Minimum Volatility Index sind Novartis, Nestlé und General Mills. Allerdings dominieren mit den Branchen Pharma, Telekommunikation und Versorger drei klassische defensive Sektoren, hinzu kommen noch Finanzwerte. Hier setzt auch die Kritik an Low-Vol-Strategien an, da eine Investition in sie immer auch eine Wette auf einen bestimmten Sektor sei. Gerade die vier genannten Branchen unterliegen zudem starkem politischem und regulatorischem Einfluss. Zudem ist vermuten, dass die Anomalie verschwindet, wenn Anlageerfolge aus den “grauen Mäusen” des Aktienmarktes die neuen Stars machen.Auf der Performance-Seite fällt die Bilanz für Low-Vol-Strategien auch gemischt aus. Der genannte MSCI-Index hat, wenn man ihn ab November 2001 betrachtet, mit einer jährlichen Rendite von 6,8 % seinen Stammindex MSCI World geschlagen, der nur auf 5,1 % kam. Allerdings konnte der Low-Vol-Index auf Sicht einzelner Jahre nur in 5 von 14 Jahren den MSCI World deutlich abhängen.—-Zuletzt erschienen:- Der Warren-Buffet-Index (30.7.)- Die objektive Subjektivität (5.9.)