GASTBEITRAG

Die Märkte bleiben politisch

Börsen-Zeitung, 4.1.2017 Die Politik hat im Jahr 2016 die schlechte Angewohnheit entwickelt, die Märkte unvermittelt aufzumischen. Die Entscheidung des Vereinigten Königreichs zum EU-Austritt und der Sieg Donald Trumps bei den...

Die Märkte bleiben politisch

Die Politik hat im Jahr 2016 die schlechte Angewohnheit entwickelt, die Märkte unvermittelt aufzumischen. Die Entscheidung des Vereinigten Königreichs zum EU-Austritt und der Sieg Donald Trumps bei den US-Präsidentschaftswahlen waren für viele so, als wäre einem unwillkommenen Gast auf einer Party die Tür geöffnet worden, die prima ohne ihn ausgekommen wäre. Ähnliches dürfte uns 2017 bevorstehen.Zwar werden die politischen Initiativen in den ersten 100 Tagen der Präsidentschaft Donald Trumps aufmerksam verfolgt werden, doch wird angesichts nationaler Wahlen in Frankreich, Deutschland und den Niederlanden in diesem Jahr wohl Europa in den Mittelpunkt rücken.Die Ergebnisse dieser Wahlen können den Sieg von Anti-Establishment- und Anti-Globalisierungs-Kräften besiegeln, die eine so wichtige Rolle beim Ergebnis des Brexit-Referendums und bei der Wahl Trumps gespielt haben. Gleichzeitig müssen sich die EU und das Vereinigte Königreich vor dem Hintergrund dieser Wahlen mit den beabsichtigten und unbeabsichtigten Folgen des Brexit auseinandersetzen.Während von westlichen Politikern die Globalisierung für die wirtschaftlichen Probleme ihrer Länder verantwortlich gemacht wird, werden die Rufe danach lauter, dass die Regierungen lokale Branchen und Arbeitsplätze vor ausländischem Wettbewerb schützen. Die Einführung von protektionistischen Maßnahmen hätte – obgleich ein Anlass zur Sorge – meiner Ansicht nach nur begrenzte Auswirkungen auf die entmaterialisierte Welt, in der wir heutzutage leben und in der ein Großteil des Handels im Dienstleistungssektor und im Internet stattfindet.Die Schwellenländer haben wohl mehr zu befürchten, vor allem nach Donald Trumps Forderung, chinesische Waren mit Handelszöllen in Höhe von 45 % zu belegen. Doch besteht selbst hier Grund zur Hoffnung, wenn man bedenkt, dass sich die Hälfte des asiatischen Handels innerhalb der Region abspielt. Nun besteht die Sorge, dass die Währungen der Schwellenländer aufgrund eines steigenden Dollar noch weiter fallen und sich die Tilgungskosten der damals in Dollar geliehenen Kredite erhöhen werden. Ich bin allerdings der Meinung, dass viele dieser Währungen dieses Jahr bereits ganz erheblich gefallen sind und den erwarteten Anstieg der US-Währung eingepreist haben. Ein Verfall, der von Schwellenland-Exporteuren gleichwohl begrüßt wurde, konnten sie doch dadurch mehr Güter zu wettbewerbsfähigen Preisen zu verkaufen. China ist entscheidendDie Gesundheit der chinesischen Wirtschaft bleibt für den Wohlstand Asiens von entscheidender Bedeutung. Es gibt sicherlich genügend Hinweise dafür, dass China sich durchwurschtelt und fleißig bemüht ist, seine Schuldenstände in den Griff zu bekommen, auch wenn sich die Trendwachstumsrate des Landes verlangsamt. Rohstoffpreise wie beim Öl zeigen sich etwas robuster, was teilweise auch auf die anhaltende Nachfrage aus dem weiter expandierenden China zurückzuführen ist.Was Indien anbelangt, den anderen Wirtschaftsgiganten der Region, so dürfte das Land kurzfristig unter der Demonetarisierung leiden. Hierbei handelt es sich um die Entscheidung der Regierung, 500- und 1 000-Rupien-Scheine quasi über Nacht zurückzunehmen und neue auszugeben. Die voraussichtliche Einführung einer Steuer auf Güter und Dienstleistungen im April 2017 und mögliche niedrigere Zinssätze in den nächsten zwölf Monaten dürften sich jedoch positiv auf das Land auswirken. Aktien statt AnleihenBei den Industriestaaten scheinen die Pläne Donald Trumps, die US-Wirtschaft durch Steuerkürzungen und starke Erhöhungen der Infrastrukturausgaben anzukurbeln, klar zu signalisieren, dass staatliche Konjunkturmaßnahmen und nicht die Geldpolitik der Notenbank jetzt tonangebend sein werden, um die Wirtschaft zu mobilisieren. Die britische Regierung hat Ähnliches verlauten lassen. Die Anleihemärkte reagierten entsprechend mit Kursrutschen und steigenden Renditen, davon ausgehend, dass diese Konjunkturprogramme zu einer höheren Inflation führen werden. Die Frage bleibt, ob der Ausverkauf an den Anleihemärkten wirklich den Anfang vom Ende der 35-jährigen Rallye auf dem Anleihemarkt markiert. Es könnte gut sein, dass der Tiefpunkt der Renditen auf dem Anleihemarkt erreicht wurde und sich die Anleihekurse im Jahr 2017 in einer engeren Spanne bewegen werden.Bei den Aktien dürften die Ergebnisse im Jahr 2017 zudem von Inflationserwartungen beeinflusst werden. Seit dem Ende der weltweiten Finanzkrise von 2007/08 entwickelten sich die Anlagenkurse insgesamt besser als allgemein erwartet. Die Bewertungen liegen am oberen Ende ihrer historischen Handelsspanne und Aktien gelten im Vergleich zu Anleihen als günstig. Die Rückkehr zur Inflation dürfte Branchen wie Banken zugutekommen. Sie werden mehr verdienen, da die Zentralbanken die Zinssätze allmählich anheben, um die steigenden Preise im Zaum zu halten. Aber auch die Metallbranche, der Bergbau- und der Energiesektor dürften profitieren, da eine Belebung des Wirtschaftswachstums die Nachfrage nach ihren Produkten steigert. In gewisser Weise werden wir wahrscheinlich eine Fortsetzung der Umkehrung des Wachstumshandels erleben. Dabei bevorzugten die Anleger viele Jahre lang Aktien von Unternehmen, die schneller wachsen als ihr gesamter Markt und Gewinne wieder in ihr Unternehmen stecken, um das Geschäft weiter auszubauen. Dies geschieht zugunsten von Value-Aktien, bei denen der aktuelle Aktienkurs den echten Wert des Unternehmens unter Umständen nicht vollständig widerspiegelt. Eine neue RealitätKurzum hat uns das letzte Jahr gezeigt, dass der Konsens über die Vorteile der Marktwirtschaft an Kontur verloren hat. Anleger werden sich wohl nun an eine neue politische Realität anpassen müssen, die gerade erst Form annimmt. In der Zwischenzeit sollten wir mit einer Phase erhöhter Volatilität auf den Märkten rechnen. Die Anlegerstimmung bleibt nervös und vorsichtig, besonders in Europa. Hier hat das Interesse an Risikoaktiva – Vermögenswerten wie Aktien, Rohstoffen und einigen Anleihearten, bei denen viel Preisvolatilität besteht – sichtlich nachgelassen. Die Zahl der Unternehmen, die an die Börse gehen will, ist ebenfalls gesunken, was einem weiteren Anzeichen für Nervosität gleichkommt. Abgesehen davon erscheinen die Reaktionen der Anleger eher gemäßigt als panisch – ein ermutigendes Zeichen für 2017. Im aktiven Assetmanagement nutzen Fondsmanager ihre Expertise, um Unternehmen eingehend zu analysieren und Aktien oder Anleihen auszuwählen, die sich unabhängig von den Marktbedingungen gut entwickeln dürften. Dies hat angesichts der geschilderten Umstände meiner Ansicht nach nichts von seiner Bedeutung verloren – wenn es nicht sogar in der heutigen schönen neuen Welt noch wichtiger geworden ist.—-Edward Bonham Carter, Vice Chairman bei Jupiter Asset Management